Le Orme Collection

Le Orme

Nehmen wir mal an du erwischt jemanden beim Klauen, wie verhältst du dich?
Hältst du den Dieb fest, machst du dem Delinquenten eine Riesenszene oder rufst du den Ladendetektiv? Oder schaust du weg und willst von nichts wissen? Schliesslich ist das ja nur ein armer Teufel der um zu überleben auf das Diebesgut angewiesen ist…

In der Musik verhält es sich natürlich anders.
Da wird im kompositorischen Bereich geklaut und geraubt was das Zeug hält und normalerweise geht das ja auch gut. In früheren Epochen war man noch nicht so vernetzt wie im 21. Jahrhundert, das konnte man problemlos eine Vorlage 1:1 kopieren und als eigenes Werk ausgeben, das ging in den Sixties noch. Ausser man landete einen Hit mit der „eigenen“ Nummer und flog auf. DEEP PURPLE mussten irgendwann ja auch eingestehen, dass sie sich die Melodie von „Child In Time“ bei IT’S A BEATIFUL DAY von deren „Bombay Calling“ ausgeliehen hatten. Die waren aber auch selber schuld, hätten die Nummer ja nicht zu spielen brauchen als sie das Vorprogramm von DP bestritten. Egal, ein Check schaffte das Problem schnell aus der Welt.

Auf der 2-CD-Collection LE ORME – Studio Collection 1970-1980 wurde ich bereits beim zweiten Compilation-Track „I Ricordi Piu Belli“ (Single, 1970) hellhörig: Hey, den Refrain kenn‘ ich doch, das muss eine italienisch gesungene Coverversion von LES SAUTERELLES‘ „Heavenly Club“ von 1968 sein, der Song war ein veritabler Hit, hatte sich satte 6 Wochen auf Platz 1 der offiziellen Schweizer Charts gehalten, und das erst noch zu Zeiten allerhärtester Konkurrenz aus dem Vereinigten Königreich. Cool, denk‘ ich mir, das ausgezeichnete beiliegende Booklet schreibt die Nummer allerdings dem Saitenartisten der Band zu denn als Komponist hatte sich ALDO TAGLIAPETRA eintragen lassen. Ha, erwischt, ich scheine einer der wenigen Forscher zu sein der beide Bands unter die Lupe genommen hat und dem dieser Raub aufgefallen ist. TONI VESCOLI würde garantiert einen Lachanfall kriegen wenn ich ihm „I Ricordi Piu Belli“ vorspielen würde, sein damaliger Mitautor ROLF ANTENEN kann sich leider nicht mehr dazu äussern, er ist 1990 verstorben. Anyway, die geklaute Passage ist göttlich, kein Wunder dass sich da jemand bedient hatte, ausserdem lagen ja schon damals die Alpen zwischen Italien und der Schweiz.

LE ORME („Die Fussspuren“) stammten aus dem Raum Venedig. 1966 unter dem Einfluss britischer Beatbands  gegründet, passten sie sich schon schnell den neuesten Trends an und veröffentlichten nach einigen Singles im Jahr 1969 das psychedelisch angehauchte Album AD GLORIAM. Die Platte zerriss keine Stricke und LE ORME erfuhren eine radikale Umbesetzung, schrumpfte analog internationalen Vorbildern zum Trio und wechselte in die Sparte des progressiven Rocks. ELP müssen wohl gewaltigen Eindruck hinterlassen haben bei den Italienern, auf alle Fälle legten sie sich auf die gleiche Besetzung fest: Keyboards, Bass, Drums und da und dort akustische Gitarre, gesungen wurde allerdings in italienischer Sprache.

Der eingangs erwähnte „Kunstraub“ wurde die erste Veröffentlichung bei ihrem neuen Label PHILIPS dem sie die ganzen Siebziger hindurch die Treue halten sollten.  Trotzdem LE ORME häufig als ELP-Epigonen bezeichnet werden, verfolgten sie meiner Meinung nach eigene musikalische Pfade. Ein erstes Ausrufezeichen war 1971 der Longplayer COLLAGE, ein wirkliche Alternative zu dem was KEITH EMERSON und Co. machten. Insgesamt weniger kopflastig und ohne Klassikadaptionen dafür mit ausgezeichnet rockenden Jampassagen, zudem ein Album das auch aus tontechnischer Warte aus betrachtet bald 50 Jahre später noch vollumfänglich überzeugt. Das Trio bestehend aus Frontmann ALDO TAGLIAPIETRA (Bass/Gitarre/Vocals), Keyboarder ANTONIO PAGLIUCA und Trommler MICHI DEI ROSSI brauchte sich für seine erste Langrille in Triobesetzung nicht zu schämen.

Die nachfolgenden Alben erschienen dann fast im Jahrestakt und ab Mitte 70er wurden LE ORME auch in Europa wahrgenommen, wohl auch im Zuge des Erfolges von P.F.M. und BANCO.

Für die LP FELONA E SORONA (1973) wurde deshalb auch eine englische Version produziert und für die Produktion von SMOGMAGICA ging es nach Los Angeles, ausserdem wurde die Besetzung mit Gitarrist TOLO MARTON (später dann GERMANO SERAFIN) erweitert. Beim Album FLORIAN (1979) verzichteten LE ORME auf das rockhandelsübliche elektrische Instrumentarium, sie setzten stattdessen auf klassisches Gerät, es entstand ein umwerfendes Ba-Rockalbum.

Wie so viele andere Progbands durchlebten in den 1970ern LE ORME eine gewaltige Entwicklung, am Ende des Jahrzehnts angekommen war die Band nicht mehr die gleiche wie zu Beginn der Reise, da erging es ihnen in etwa gleich wie GENESIS, NOVALIS oder YES.

1982 lösten sich LE ORME zwar auf, mit neuer Mannschaft betrieb dann aber ALDO TAGLIAPIETRA seine LE ORME ab Mitte 80er doch weiter, schlussendlich zog er sich 2009 endgültig zurück um sich auf seine Soloaktivitäten (bei denen jedoch oft in Klammer gesetzt der Name LE ORME auftaucht) zu konzentrieren. Auch wenn sich das letzte verbliebene Originalmitglied verabschiedet hat, LE ORME gibt es immer noch, als Ersatz für TAGLIAPIETRA holte sich die Truppe JIMMY SPITALERI von METAMORFOSI.

Ein akustischer Trip nach Italien zu LE ORME lohnt sich in allen Belangen, vorausgesetzt man mag progressive Musik und Überraschungen. Und Pasta. Und italienischen Wein. Und da unten im Stiefel brauen sie übrigens auch ausgezeichnetes Bier. Also, Römersandalen angeschnallt und nichts wie los, ab in den Süden, da gibt es was zu entdecken und erleben…

Mellow

 

Meine Einstiegsempfehlung:
LE ORME –  STUDIO COLLECTION 1970-1980 (Universal, DoCD, 2005)

Und eine Gewinnwarnung:
Die DoCD LIVE ORME mit Aufnahmen aus den 80ern,
leider übelste Bootlegqualität.

 

 

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