Jacques Dutronc

Nein, keine Chansons, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn, auch wenn der Name JACQUES DUTRONC unweigerlich an schmalzige Liebeslieder denken lässt. Nein, der Typ war und ist ein überaus schräger Zeitgenosse der ab Mitte Sechziger der französischen Popmusik eine erfrischende neue Note verpasste. Bei der Plattenfrma Vogue wurde der Musiker und Produzent (der mit seiner Band EL TORO ET LES CYCLONES ab 1964 mehrere EP’s veröffentlicht hatte) mit dem Texter JACQUES LANZMANN zum Autorenduo fusioniert. Der Plan sah vor, dass die beiden Songs für andere Interpreten des Labels schreiben sollten, ein von DUTRONC besungenes Demo des Titels „Et Moi, Et Moi, Et Moi“ stellte 1966 die Weichen dann allerdings in eine andere Richtung: JACQUES DUTRONC wurde zum Solokünstler berufen.

Das LP-Debut JACQUES DUTRONC (1966) ist ein unglaublich explosiver Husarenritt durch verschiedene Stile. Es wirkt aber in keiner Sekunde zerfasert und glänzt mit unkonventionellen Ideen. Neben komprimierten Riffrockern wie dem vorab erwähnten „Et Moi…“ und der zynischen, ans Midsixties-Lebensgefühl andockenden Hymne „Mini-Mini-Mini“ gibt es noch viel mehr zu entdecken, und irgendwann wird einem klar, dass man hier auf eines der wenigen ausserhalb Britanniens entstandenen Werke der damaligen Modernisten gestossen ist. Stimmlich ist DUTRONC gar nicht mal so weit weg von einem wie RAY DAVIS, auch textlich, hier werfe ich frech den Namen DYLAN ins Gelände, die Songs sind eine erfrischende Gratwanderung zwischen „Sympathie für die Beat-Bewegung“ und ihrer gleichzeitigen Hinterfragung. Optisch gab JACQUES DUTRONC damals eher den schüchternden, netten Schwiegersohn ab (daneben präsentierte er sich in typischen Dandy-Posen, oft mit Zigarre, aber auch mit dünneren Glimmstengeln), den Müttern der begehrten Mädchen blieb dann aber spätestens beim Text von „La Fille du Père Noël“ (eine Nummer die DUTRONC dann später zum rudimentären Bluesrocker ummodelte) das Croissant im Halse stecken. Naja vielleicht auch nicht, Französinnen gelten ja seit jeher als ziemlich aufgeschlossen und experimentierfreudig.

Im Nachhinein – mit der Distanz von 50 Jahren betrachtet – ist dieses Album nach wie vor eine zündelnde Granate und Rocker wie „La Fille du Père Noël“  prädestiniert für die Endlosschlaufe. Die Scheibe nimmt vieles vorweg, ich erkenne Spuren späteren Punkrocks und der darauf folgenden New Wave, ist sozusagen ein Meilenstein französischer Rockmusik, meilenweit entfernt vom Pathos eines JOHNNY HALLYDAY.

Bis 1970 blieb JACQUES DUTRONC seiner Linie treu, die nachfolgenden Alben und Songs (z.B. 1968, „Il Est Cinq Heures, Paris S’eveille“ mit dem klassischen Flötisten ROGER BOURDIN) stehen dem ersten Longplayer in nichts nach, sind allesamt atemberaubende Tondokumente einer ausserhalb des französischen Sprachraums kaum bekannten Szene. Ab den frühen 70ern zog es DUTRONC dann vermehrt ins Schauspielfach, 1992 feierte er einen riesigen Kino-Erfolg als bildliche Verkörperung von VINCENT VAN GOGH. Der Musik ist DUTRONC allerdings immer treu geblieben, einzig die Abstände zwischen den Veröffentlichungen wurden länger, gemeinsam ist ihnen, dass sie alle ausgezeichnet sind.

1967 angelte sich FRANÇOISE HARDY diesen unkonventionellen Kerl aus dem Teich der um sie herumschwirrenden Verehrer und ist tatsächlich bis zum heutigen Tag mit ihm liiert. Der Beziehung entstammt ihr Sohn THOMAS DUTRONC, der sich wie seine Eltern der Musik verschrieben hat.

 

Unverzichtbare DUTRONC-Tonträger:

 

JACQUES DUTRONC – 1er Album (LP, 1966, Disques Vogue / CD, 2009, Culture Factory)

Paris, die unumstrittene Kulturhauptstadt der Grande Nation,  schon immer. Und sie wird es bleiben,  auch nach der Attacke auf CHARLIE HEBDO, auch nach dem Angriff auf die französische Gesellschaft am 13. November 2015, auch nach Geschehnissen die vielleicht noch in der Zukunft verborgen sind.  Paris ist und war schon immer ein zentraler Punkt für Frankreichs Kulturschaffende, ein Angelpunkt an dem man sich trifft und austauscht, ein Ort mit magischer Anziehungskraft für Maler, Poeten, Schauspieler und Musiker. Paris steht kulturell mit anderen globalen Metropolen wie London, Berlin oder New York auf einer Stufe, es ist eines der Herzen der populären Kultur der westlichen Welt.

1968 – Europa in Aufruhr – Studentenproteste, Jugendrevolte, Strassenschlachten, auch Paris blieb davon nicht verschont, JACQUES DUTRONC veröffentlichte sein zweites Album und es beinhaltete die (vorgängig bei 1er Album erwähnte) bezaubernde Liebeserklärung an Paris: „Il Est Cinq Heures, Paris S’eveille.

 

Wenn man sich ein erstes Mal durch diesen Longplayer einhört, kann man leicht den Eindruck kriegen man stehe vor einer verschlossenen Tür:  DUTRONCS LP No. 2 ist auf Anhieb längst nicht so eingängig wie der Erstling, aber bei genauerem Studium enfaltet das 2eme Album (LP, 1968, Disques Vogue / CD, 2010, Culture Factory) dann Schritt für Schritt seine wunderbare Vielfalt, es ist eine einzige atemlose Achterbahnfahrt durch die Abteilungen jazz/punk-beinflusstes Chanson („La Publicité“), hyperventilierendem Folkrock („Fais Pas Ci, Fais Pas Ça“) und damals angesagten Rock mit progressivem Einschlag. Irgendwie fühlt es für mich an, als sei DUTRONC bei dieser Platte geistgleich auf Barrikaden gestiegen um das pulsierende Leben um ihn herum aus sicherer Distanz zu betrachten, sich Gedanken zur aktuellen Lage zu machen und darüber zu singen (naja, vielleicht eher die Gedanken seines Texters JACQUES LANZMANN, und „singen” ist bei JACQUES DUTRONC auch nicht immer gleichbedeutend mit „Gesang“). Das 2eme Album (eigentlich schlicht JACQUES DUTRONC betitelt, die Allgemeinheit nummerierte sie unterscheidungshalber, siehe LED ZEPPELIN)  ist in diesem Sinne trotzdem keine soziopolitische Mahnfinger-Scheibe, kein Aufruf zur Revolution, es ist stattdessen vollgestopft mit überbordender Poesie und verrückten Monologen, wie bei DUTRONC üblich natürlich immer leicht schräg, zynisch, überspitzt, es ist mehr so etwas wie ein französisches Pendant zum britischen SGT. PEPPER: Vielschichtig, neuartig, ungewohnt, grenzüberschreitend und ebenso bestechend präzise auf den Punkt gebracht. Trotz des Anspruches Kunst zu sein, spürt man in jeder Zeile die Lebenslust, das Verlangen sich kopfüber ins Leben zu stürzen, verrückte Dinge auszuprobieren und ein Teil der allgegenwärtigen Kulturlandschaft zu sein.  Wie ich finde ist das dem Wolf im Schafspelz gelungen.

 

Stellvertretend für die späteren DUTRONC-Jahre würde ich das LIVE-Album ET VOUS, ET VOUS, ET VOUS… (2010, Sony Music) empfehlen. Der Meister zeigt sich hier in glänzender Form und knurrt und stampft und rockt sich mit ausgezeichneter Begleitband durch ein Programm das seine sämtlichen Hits und Gassenhauer beinhaltet.

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