Shane (DVD)
Natürlich handelt es sich hier um Shane MacGowan (ex Nipple Erectors, Pogues und Popes). Einer derjenigen Menschen, die die Kerze von beiden Enden anzündeten und dabei noch in Führung lag. Ich bin mit mir selber uneinig, ob sein Leben eine Katastrophe war oder ob es genau so gelaufen ist, wie er sich das vorgestellt und vorgenommen hatte. Vom Standpunkt eines Fans hatte, zumindest für mich, diese Selbstzerstörung nichts, was ich auch nur im entferntesten als Ausdruck einer Lebenseinstellung klassifizieren würde, aber die Psychologen und Psychiater sitzen auf einer anderen Bank.
Als ich von Shane’s Tod erfuhr, da ging mir irgendwie der Laden runter. Leute sprechen davon, dass ihnen klar wurde, dass nach Jerry Garcia’s Tod die 60er endgültig vorbei waren und mir war klar, so einer kommt nie wieder. Die Nipple Erectors sind wohl eine Fussnote in der Pop- und Rockgeschichte, da ändert auch ein Shane MacGowan nichts dran. Gute Songs, aber nicht etwas wo man dran hängen bleibt. Das änderte sich erst mit den Pogues und übertrug sich dann auch auf die Popes. Letzteres war wohl ein cleverer Marketingtrick, aber es hat ja auch niemandem weh getan. Die Pogues habe ich einige Male live gesehen und gehört, das erste Mal tatsächlich noch mit ihrer Original Bassistin (die spätere Ehefrau von Elvis Costello). Und schon damals waren die Auftritte und das Drumherum im Vorfeld chaotisch, da musste man schon mal mit fünf Stunden Verspätung auf den Auftritt der Band warten (Zürich) oder konnte in Winterthur an einem gleissend hellen und heissen Sommertag in der Festivalstrasse die Pogues beim Soundcheck erleben (und beim tanken).
Als Shane MacGowan damals bei den Pogues ausstieg und diese mit Joe Strummer weitermachten, war mir klar, den Shane kann man nicht ersetzen. Obwohl Joe Strummer für mich als Musiker (Clash, 101ers etc.) ebenfalls gesetzt war, ein bisschen Skeptik blieb, bis zu dem Konzert in Freiburg i. Br. wo mich Joe Strummer aber so was von überzeugte. Naja, die Clash Einlagen (Klasse Band im übrigen) lagen schon etwas quer in der Landschaft. Bei Shane MacGowan gings weiter mit den Popes und auch diese Kapelle war völlig auf der Höhe ihres Könnens und war irgendwie ein Pogues 2.0, was nicht abschätzig gemeint ist. Und dann war Funkstille, als wäre er abgetaucht. Bis dann irgendwann die Meldung kam, er würde wieder bei den Pogues mittun. Aber wie dann mal klar wurde, daraus ergab sich nichts. Wahrscheinlich ein paar wenige Liveauftritte und in seinem immer schlechter werdenden Gesundheitszustand. Sein Tod und das anschliessende Begräbnis war eine nationale Tragödie in Irland und der letzte Gruss von Shane an seine Fans (die 10’000 Pfund, die er testamentarisch an einen Pub-Landlord vermachte, damit sich die Fans in seinem Pub die Lampe füllen konnten) passte dazu.
Shane MacGowan der Poet? Der Dichter? Die Seele Irlands? Ja, ja, weiss nicht aber eher positiv! Uebertreibungen gehören mal zum Geschäft. Und wenn der irische Präsident (Michael Daniel Higgins aka Mícheál Dónal Ó hUiginn) Shane zum 60sten auf der Bühne gratulierte, dann ist klar welchen Stellenwert dieser Mann in Irland besass und besitzt. Da kann man ruhig davon sprechen, dass eine Ära zu Ende gegangen ist. Allerdings denke ich, die Wertschätzung, die Shane MacGowan entgegen gebracht wurde (und wird) ist meistens aus den falschen Gründen da. Die Wertschätzung an sich ist aber auf jeden Fall berechtigt. Und nun zum Film:
Die Dokumentation ist jetzt natürlich schon ein paar mal im öffentlichen Fernsehen gelaufen, aber ich habs immer wieder geschafft die Ausstrahlung zu verpassen und habe höchstens mal die letzten 20 Minuten mitgekriegt. Die über zwei Stunden Filmmaterial plus die Bonusteile verlangen schon mal volle Konzentration, aber Julian Temple (u.a. Wilko Johnson, Oil City Confidential, Joe Strummer etc.) weiss wie man Dokumentationen im Umfeld von Rock etc. auf die Leinwand bringt. Ohne viel Brimborium, aber aussagekräftig. Die Gespräche mit Shane MacGowan selbst, seinen Freunden und Familienangehörigen, seinen Geschäftspartnern etc. sind teilweise schwer zu ertragen, vor allem der Verfall des Shane MacGowan ist nicht schön anzusehen. Und trotzdem, er scheint, wenn auch nur langsam, ziemlich auf der Höhe zu sein. Irgendwie hat man auch das Gefühl, er gibt noch immer den Spielverderber und geniesst das. Die Gespräche sind nicht einheitlich in einem kurzen Zeitabschnitt aufgenommen worden, da ist manchmal z.B. ein jüngerer Shane in Interviews zu sehen und da ist der körperliche Verfall noch ein paar Jahre hin. Auch sehr eindrücklich, die Interviews mit seiner Schwester, die den Ball ziemlich flach hält, aber nichtsdestotrotz ein differenziertes Bild ihres Bruders anspricht.
Auffällig für mich aber auch, dass die Mitglieder der Pogues, bis auf wirklich nur einige wenige und kurze Einsprengsel, praktisch aussen vor bleiben. Die Zäsur war wohl der Rauswurf Shanes aus der Band während einer Tour in Japan. Ich konnte schon damals die anderen Bandmitglieder verstehen, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten konnten, wollten oder was auch immer. Wobei, und das geht aus dem Film ebenfalls hervor, die anderen Mitglieder der Pogues ebenfalls einen ausschweifenden Lebensstil führten (um es mal irgendwie neutral zu formulieren).
Die dritte LP „If I Should Fall From Grace With God“ muss schon der entscheidende Wendepunkt gewesen sein, bezeichnet doch Shane MacGowan diesen Zeitraum als Abwendung ihrer Irisch-Punk (er sieht die Pogues selber in einer Fortsetzung zur irischen Musiktradition – nix da Punk) Wurzeln zu einer normalen Rockband. Ich hätte es jetzt etwas milder formuliert, aber sogar als Fan musste es einem auffallen, dass da ein Richtungswechsel angesagt war und, milde gesagt, die Pogues wurden musikalisch etwas beliebiger. Aber das ist Erbsenzählerei. Obwohl die Songs austauschbarer wurden, waren sie noch ziemlich in der Pogues DNA verankert und nicht zu vergessen, sie hauten noch immer bemerkenswerte Tracks raus. Allerdings weiss ich bis heute nicht wie man „Summer In Siam“ einordnen soll. Ich hatte so eine Ahnung, der Song (obwohl von Shane MacGowan geschrieben) war wohl eben nicht das, was sich der Komponist vorgestellt hatte. Was zu beweisen wäre. Und der Beweis waren nach den Pogues die Popes, bei denen die Gangart wieder schneller, sehr viel schneller wurde.
Für mich eindrücklich auf wievielen Filmmetern Shane anno domini bereits aufgenommen wurde, so z.B. an einem Sex Pistols Gig wo er im Publikum war (und ich glaube auch bei einem Clash Gig – aber da müsste ich nochmal durch den Film gehen). Julian Temple, der viele dieser Gigs damals gefilmt hatte, äussert sich auch über das Zustandekommen. Er filmte die Band und driftete dann ab ins Publikum und da war dieser Typ der die ganze Front aufmischte mit seinem Verhalten. Was manchmal zu einem gewissen Blutverlust führte. Shane MacGowan war wohl damals Stammgast in den Konzertvenues Londons. Das Gespräch zwischen Julian Temple und Johnny Depp (Bonus) ist erhellend, aber auch gleichzeitig berührend. Die Gespräche zwischen Shane MacGowan und Gerry Adams sind ein Zeichen der Umstände und das Irlands. Ich habe das Gefühl bekommen, Gerry Adams hat nie wirklich den Draht gefunden zu Shane MacGowan, ausser wenn man auf die Troubles und Irland zu sprechen kam. Auch nicht weiter verwunderlich.
Ursprünglich war ich etwas irritiert, dass der Film gefühlt 100 Songs anspielt, aber keinen einzigen davon durchlaufen lässt, aber schlussendlich ist es ja auch kein Konzertfilm (von denen habe ich einige im Regal) sondern eine Dokumentation zu Shane MacGowan. Zurück zum Poeten: Lyrics wie zu „Fairytale Of New York“ oder „A Pair Of Brown Eyes“ oder … sind tatsächlich einzigartig und bevor ein Robert Zimmermann den Literaturnobelpreis erhält, hätte man besser an Shane MacGowan gedacht. Prädikat: Empfehlenswert!