Labelle – Nightbirds (1974)

Das brandheisse «Lady Marmalade» mit der legendären Textzeile «Voulez-vous coucher avec moi (ce soir)?» war die Verbeugung vor einer Prostituierten. Der rudimentäre Text sollte ganz bewusst provozieren und Tabus brechen (nicht ungewöhnlich im Soul), selbstverständlich auf die Gefahr hin von der ein und anderen Radiostation boykottiert zu werden, die amerikanische Gesellschaft war Mitte 70er ja trotz vorangegangener Hippie-Bewegung schon wieder auf einen ziemlich konservativen Kurs eingeschwenkt. Die Rechnung ging trotzdem auf, Labelle schafften es mit dem Song nicht nur in der USA sondern weltweit auf Platz 1, ein paar Jahre später wären sie damit eventuell auf dem Index gelandet.

So richtig ging der Lyrics-Stress erst 1985 los als die von Ehefrauen amerikanischer Senatoren (angeführt von Tipper Gore die sich über Texte von Prince aufregte) gegründete Organisation Parents Music Resource Center gegen ihrer Meinung nach «anstössige Liedtexte» vorging. Als Antwort darauf zogen Musiker wie Frank Zappa und John Denver zur Verteidigung der künstlerischen Freiheit in die politische Schlacht. PMRC setzte sich schlussendlich aber durch, die Recording Industry Association Of America (RIAA) kuschte und stattet seit 1986 Tonträger mit «jugendgefährdenden Aussagen» die auf den US-Markt gelangen mit dem berüchtigten Warnaufkleber Parental Advisory – Explicit Content aus, selbst im digitalen Vertrieb werden ausgewählte Titel mittlerweile gekennzeichnet.

Zurück zu «Lady Marmalade»: Patti LaBelle behauptete in späteren Interviews sie hätte aufgrund mangelnder Französischkenntnisse keine Ahnung gehabt was sie da singe, respektive worum es in dem Song überhaupt gehe. Naja, irgendwie nehme ich ihr das nicht ab, sie wollte sich im Nachhinein mit einer solchen augenzwinkernden Aussage vermutlich ganz einfach etwas aus der Schusslinie nehmen von wegen «ältere Dame singt unanständige Lieder».

Wie dem auch sei, 2014 präsentierte Patti die Nummer an einer Gala-Show (Grammy Hall Of Fame Recording) bei der auch der damalige Präsident Barack Obama und seine Gattin zugegen waren. «Lady Marmalade» scheint mittlerweile also bereits zum erweiterten Repertoire des Great American Songbook zu gehören, jedenfalls hatten der Präsident und die weiteren Gäste sichtlich Spass am Vortrag von Patti LaBelle.

Hey sister, go sister, soul sister, go sister
Hey sister, go sister, soul sister, go sister

He met Marmalade down in old New Orleans
Struttin’ her stuff on the street
She said “Hello, hey Joe, you wanna give it a go?”
Mmm… mmm…

Itchi gitchi ya ya da da
Itchi
gitchi ya ya here
Mocha-choca-lata ya ya
Creole Lady Marmalade

Voulez-vous coucher avec moi ce soir?
Voulez-vous
coucher avec moi?

Hey, hey, hey
Touching her skin feelin’ silky smooth
The
colour of cafe au lait
Made the
savage beast inside
Roar
until it cried, more, more, more

Now he’s back home doing nine to five
Living his grey
flannel life
But when he
turns off to sleep
Old
memories creep, more, more, more

Itchi gitchi ya ya da da da
Itchi
gitchi ya ya here
Mocha-choco-lata ya ya
Creole Lady Marmalade

Voulez-vous coucher avec moi ce soir?
Voulez-vous
coucher avec moi?
Voulez-vous
couchez avec moi ce soir?
Creole Lady Marmalade

(Bob Crewe / Kenny Nolan)

 

«Lady Marmalade» mit den leckeren kreolischen Zutaten aus der Songschmiede von Bob Crewe und Kenny Nolan geriet unter den Fittichen der Produzenten Vicki Wickham und Allen Toussaint plus der Unterstützung erstklassiger Musiker zu einem zeitlosen und explosiven Crossover-Monster. Ein solides Fundament aus Soul, Funk, R&B und Rock bildete den Unterbau für die Stimmen von Patti LaBelle (eigentlich Patricia Louise Holt), Sarah Dash und Nona Hendryx und zwar nicht nur auf besagtem Abräumer «Lady Marmalade», sondern durchs Band auch auf einer weiteren Perle der Southern Music, dem dazugehörigen umwerfenden Album Nightbirds, notabene eine der vielleicht unterschätztesten Schallplatten des Jahres 1974.

Auf Nightbirds rückte vor allem Nona Hendryx (trotz «y» im Namen eine entfernte Cousine von Jimi Hendrix) als Songwriterin ins Zentrum, der kreativen Lady kullerten die Songs reihenweise aus der Feder, die hochexplosive Wahnsinnsnummer «Are You Lonely?» etwa oder «Space Children» das mit Reggae-Grooves experimentierte und dessen Titel natürlich perfekt zu den futuristischen, gewagten und extravaganten Kostümen der Damen passte die so aussahen als seien sie eben einem Science-Fiction-Streifen entsprungen. Aber auch ohne optische Unterstützung ist Nightbirds ein wirklich bezaubernder, zehn Tracks umfassender Flug ohne einen einzigen Absturz, es ist ein akustischer Trip der tief hinein ins Nervenzentrum der Soulmusik führt.

 

Labelle – Nightbirds (LP, 1974, Epic)

A1) Lady Marmalade
A2) Somebody Somewhere
A3) Are You Lonely?
A4) It Took A Long Time
A5) Don’t Bring Me Down

B1) What Can I Do For You?
B2) Nightbird
B3) Space Children
B4) All Girl Band
B5) You Turn Me On

Die beteiligten Musiker:

Patti Labelle – Vocals
Sarah Dash – Vocals
Nona Hendryx – Vocals

Rev Batts – Guitar
Leo Nocentelli – Guitar
George Porter, Jr. – Bass
Walter Payton – Bass
Herman Villere Ernest III – Drums
Smokey Johnson – Drums
Art Neville – Organ
Bud Ellison – Piano
Allen Toussaint – Keyboards, Guitar, Percussion
Clarence Ford – Saxophone
Earl Tubinton – Saxophone
Alvin Thomas – Saxophone
Carl Blonin – Saxophone
Lon Price – Saxophone, Flute
Lester Caliste – Trombone
Clyde Kerr Jr. – Trumpet
Steve Howard – Trumpet

Produziert wurde Nightbirds in Allen Toussaints Sea-Saint Recording Studio in New Orleans, die Location wurde auch von Paul McCartney & Wings, Dr. John. Joe Cocker, Paul Simon, The Meters, Jean Knight, John Mayall, Etta James, James Cotton, Neville Brothers und etlichen anderen benutzt, die Hausband war Art Neville & The Sounds. 2005 wurde das Studio durch den Hurrikan Katrina komplett zerstört und danach aufgelöst.

Weshalb Labelle bis heute immer wieder als Disco-Attraktion abgestempelt werden ist mir schleierhaft. Also nichts gegen Discosound (da gibt es unglaublich gutes Zeug zu entdecken), aber die Musik von Labelle umfasst so ca. sämtliche Black-Music-Färbungen ausser dem Genre Disco, so kommen denn die Aufnahmen von Labelle auch gänzlich ohne das typische Disco- und Philly-Drumming aus. Da die Definition aber scheinbar nicht gerade einfach ist, werden Labelle aus Unwissenheit oft in die komplett falsche Kiste gepackt, der eine Musikologe definiert und der nächste schreibt ohne Faktencheck ab.

Wenn einem Nightbirds einfährt, dann wird man sich unweigerlich der Timeline entlang hangeln und die weiteren Labelle-Platten verinnerlichen. Wer es ganz genau nimmt, der startet seine Recherche natürlich schon in den Sechzigern als sich die Gesangstruppe noch Patti LaBelle And The Bluebells nannte. Mit Labelle (1971, mit einer mit einer göttlich genialen Version von Jagger/Richards«Wild Horses») startete die zweite Phase. Der Longplayer Gonna Take A Miracle von 1971 war eine Kollaboration mit der Songwriterin Laura Nyro, die 72er LP Moon Shadow («Won’t Get Fooled Again» von The Who wurde ein hysterisches Sax implantiert, göttlich) eine zu Unrecht vergessene Perle und der Dampfkochtopf Pressure Cookin’ von 1973 war in etwa so etwas wie die Aufwärmrunde für Nightbirds.

Die ausgezeichnete LP Phoenix (1975) konnte den Erfolg von Nightbirds nicht überflügeln und nach dem hervorragenden Album Chameleon (1976, mit dem funky Killergroove «Get You Somebody New») trennten sich Labelle zugunsten von Solokarrieren. Patti Labelle wurde zur gefeierten Soul-Diva (ich liebe ihren Funk/Discostampfer «Release» von 1980), Nona Hendryx zur unberechenbaren und äusserst wandlungsfähigen Einzelkämpferin in Sachen Funk, Rock und Fusion während Sarah Dash neben gelungenen Soloplatten wie Oo-La-La Sarah Dash (1980) vor allem als Studiosängerin begehrt war. Ihre Klientel umfasste die Rolling Stones, David Johansen, Nile Rodgers, die O’Jays und andere, Ende der 80er schloss sie sich Keith Richards & The X-Pensive Winos an. 2009 feierten Labelle eine Reunion, die CD Back To Now reichte aber trotz prominenter Beteilung nicht mehr ganz das Niveau der alten Glanztaten heran.

Der einzige negative Punkt im Zusammenhang mit Labelle ist, dass ihre Tonträger oft «out of stock» sind, am ehesten findet man noch Pressure Cookin’ und Nightbirds, bei Neuauflagen lohnt es sich also sofort zuzuschlagen.


(Sarah Dash, Nona Hendryx, Patti LaBelle)

LONG LIVE FUNKY MUSIC!
mellow

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