Gene Vincent

Gene Vincent’s Stern war längst untergegangen als er 1969 auf  John Peels Label Dandelion die Comeback-LP I’m Back And I’m Proud veröffentlichte. Nach dem Autounfall von 1960 in England, bei dem sein Freund Eddie Cochran ums Leben kam und Vincent selber schwer verletzt wurde, kam ein brutaler Karriereknick. In jener unheilvollen Nacht anno 1960 versprach Gene den Ärzten eine Million Dollar wenn sie seinen Kumpel Ed retteten. Er bettelte, Ed dürfe nicht sterben, Ed könne nicht sterben. Alles Flehen nützte nichts, Eddie Cochran überlebte nicht, Gene hingegen prallte danach mit aller Härte im realen Leben auf, sollte sich nie mehr erholen, sein Leben ging langsam aber stetig auf Sinkflug. Und dann zum Schluss seiner Karriere nochmals dieses Aufbäumen mit diesen grossartigen, aber leider vergessen gegangenen Platten. Eddie wäre stolz auf seinen Kumpel gewesen.

Ich erlaube mir hier mal einen Blick auf die wenig bekannte letzte Dekade im Schaffen von Gene Vincent, seine erfolgreichen frühen Jahre mit den Blue Caps Jahre sind andernorts schon ausreichend dokumentiert.

Wie viele andere Rock’n’Roller der Fifties ging Gene auf Tauchstation, er kämpfte mit dem Etikett auf ewig “Mr. Be-Bop-A-Lula“ zu sein, verpasste die aktuellen Trends, versank in einem Sumpf aus Drogen und privaten Problemen. Einzig in der frankophonen Heimat von Johnny Hallyday war Eugene Vincent Craddock auch Mitte der 60er noch ein gefragter, wenn auch gesundheitlich ziemlich ramponierter Star, dort lagen ihm die Fans nach wie vor zu Füssen. In USA hingegen war er wie viele der alten Rock’n’Roller von der Landkarte komplett verschwunden, fristete ein bescheidenes Dasein. Kein Wunder griff er zu, als ihm das kleine kalifornische Label Challenge Aufnahmen offerierte. In Los Angeles entstanden in einigen Sessions Aufnahmen, die zusammengefasst auf LP allerdings nur in England und Frankreich veröffentlicht wurden (CD-Reissue REV-OLA, 2008).

Der legendäre DJ John Peel hatte hingegen Gene Vincents noch immer vorhandenes Potential erkannt und ermöglichte ihm die LP „I’m Back And I’m Proud“. Als Produzent fungierte übrigens Kim Fowley, ich denke das spricht schon mal Bände.

I’m Back And I’m Proud erwuchs für Gene Vincent zwar nicht zum „Phoenix aus der Asche“, ist aber trotzdem ein äusserst stimmungsvolles Album. Der alte Rockabilly/Rock’n’Roll wurde hier ergänzt durch Ausflüge in die Country-Music wie bei „Scarlett Ribbons“, einem herrlichen Duett mit der jungen Linda Ronstadt. „Be-Bop-A-Lula“ erhielt eine Frischzellenkur, hier klang Gene schon fast wie Dandelion-Kollege Kevin Coyne, aus Rock’n’Roll wurde knorriger, bassbetonter Rhythm & Blues mit herumtanzendem Honkytonk-Piano. Desgleichen Leiber/Stollers „Ruby Baby“ und „White Lightning“, vielleicht schon fast Vorläufer der späteren Kiste „Pubrock“. Und dann dieses betörende „Rainbow At Midnight“, ein Kracher den sich Freunde des unbehauenen, ursprünglichen und auf den Punkt gebrachten Countryrocks der ausgehenden Sixties nicht entgehen lassen sollten… ich kann nicht anders, bei solchen Sachen gerate ich ins Schwärmen…

   

Nach I’m Back And I’m Proud nahm Gene Vincent noch zwei Alben für Kama Sutra auf, Gene Vincent (1970) und The Day The World Turned Blue (1971) denen aber ebenso wenig Erfolg beschieden war. Die beiden Alben am Ende seiner Karriere zeigten Gene allerdings in anderem Licht: Hier war er längst nicht mehr der wilde mysteriöse Rocker, stattdessen gab es Americana pur, in allen möglichen Farbtönungen, Countryrock, bluesige Songs, Laidback-Grooves im Stil von Tony Joe White oder CCR. Bei “Slow Times Comin“ und „Tush Hog“ überliess er seiner aus Mitgliedern des Sir Douglas Quintet bestehenden Begleitband auch mal ein paar Minuten länger das Ruder damit sie so richtig abrocken konnte. Gene selbst hatte auf diesen beiden Alben grossartige Szenen, sein an Buddy Holly angelehntes „The Day The World Turned Blue“ beispielsweise, „High On Life“, „Boppin’ The Blues“ oder „500 Miles“ – allesamt Seelenspiegel und Seelensegel – Gene ein fast erloschener Stern der hier nochmals zu absoluter Hochform auflief, mit manchmal nicht so sicherer Stimme vielleicht, aber mit extrem viel Heart & Soul…

Die Songs wurden mehrheitlich von den Songwritern der Plattenfirma gestellt, Gene blieb für einmal ohne Credits, die Musiker wurden aus der eigenen Studioband rekrutiert. Einige bekannte Namen fanden sich darunter, die Gitarristen Glen Campbell, Dave Burgess und Al Casey, Saxophonist Jimmy Seals, Drummer Dash Crofts. Die beiden Letztgenannten wurden in Übersee ein paar Jahre später als „Seals & Crofts“ bekannt.

Die festgehaltenen Songs gingen weg vom traditionellen Rock’n’Roll, hier kam wie bei „Born To Be A Rollin’ Stone“ eher die neue, von den Byrds beeinflusste Countrymusic zum Zug. Der damals aktuelle „Westcoast“-Sound hinterliess natürlich auch seine Spuren, Crofts’ „Love Is A Bird“ erinnert mich jedenfalls stark an diese eine Band aus San Francisco, die Truppe mit dem im Namen eingemeisselten Flugzeug. „Bird Doggin’“ dagegen ist ein hypnotischer Garage/R&B-Track, anzusiedeln Dunstkreis der Seeds und der Yardbirds. Zum Schluss dann Gene Vincent’s andere Seite, der gefühlvolle Balladensänger der sich gekonnt durch „Lonely Street“ und „Am I Easy To Forget“ schmachtet, harte Schale weicher Kern sozusagen, der Rocker der immer wieder gestattete, ein klein wenig den Vorhang zu lüften und einen Blick auf sein Seeleninneres zu werfen…

Die beiden Alben sind als Twofer A Million Shades of Blue bei REV-OLA erschienen.

Gene Vincent’s Einfluss auf die populäre Musik ist im Nachhinein betrachtet wohl grösser als man sich denken kann. Alleine seine Bühnenshow, sein Bad-Boy-Image, seine rebellischen Lederoutfits und sein unvergleichlicher Gesangsstil mit denen er nachfolgende Bewegungen und Künstler beeinflusst hat, von den Beatles in ihrer Frühphase bis zu Jim Morrison, den Punks und der ganzen Gothic-Generation im den 80ern. Remember Ian Durys „Sweet Gene Vincent“…

Auf dem CD-Reissue White Lightning trifft man auf Gene’s letzte Recordings (Johnnie Walker Evening Session von 1971), vier gelungen Titel, unter anderem eine schmutzige Version von Chuck Berrys „Roll Over Beethoven“.

Am 12. Oktober 1971 starb Gene Vincent kurz nachdem er noch seinen Vater besucht hatte, in einem Spital in Newhall Kalifornien aufgrund einer Magenblutung. Das wilde Rock’n’Roll-Leben hatte seinen Tribut gefordert, Gene Vincents Vermächtnis allerdings strahlt noch immer in goldhellem Glanz.

LONG LIVE ROCK AND ROLL!
mellow

 

Lesetipp:
GENE VINCENT – There’s One In Every Town“
von Mick Farren (The Deviants), The Do-Not Press, 2004

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2 Kommentare

  1. Leider ist Gene mit seinem Spätwerk nicht sonderlich bekannt, aber wie gesagt, wer sich auch mal abseits des Mainstreams umschaut, der wird belohnt werden. Und schön, dass meine Rezi Gefallen gefunden hat, aus genau diesem Zweck mache ich das ja, auf Musik hinzuweisen die sonst vergessen geht…

  2. Das ist der Fund, der mir den Namen mellow (damals im alten Forum) auf ewig einmeißelte.
    “A million shades of blue” – zeitlos hörenswert – “die millionen Arten der Einsamkeit”, melancholisch aber nicht trübsinnig.
    Irgendwann in den Mit70ern geriet mir “the day the world turn blue” auf Kassette.
    Irgendwann in den Mit80ern nahm ich das Bananenalbum der Velvet Underground auf und mich plagte die Frage, woher ich diesen Spieluhrsound von “Sundy morning” bloß kenne. (Gene Vincent hatte ich zu dem Zeitpunkt vorübergehend völlig vergessen.)
    Aber dann las ich Mellows Rezi, kaufte prompt die CD und die liegt nu seit Jahren mit 6 oder 7 anderen “ImmerwiederCDs” gleich neben dem Player. Wegräumen lohnt nicht.

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