Yé-Yé

Yé-Yé… das war in den Sixties die französische Spielart des britischen Beats, der Begriff leitete sich von gesungenen „Yeah-Yeah‘s“ in Songs der Beatles ab, z.B. in „She Loves You“. Die Genre-Beschreibung ist allerdings ziemlich unscharf skizziert, Yé-Yé umfasst ein riesiges Spektrum, beinhaltet neben Musik, Literatur, Film, bildender Kunst und französischem Lifestyle selbstverständlich auch die Mode, auf jeden Fall war man in der Grande Nation äusserst kreativ. Yé-Yé ist übrigens nicht gleichzusetzen mit Chanson, Yé-Yé kommt normalerweise frischer, frecher, weniger traditionell und wesentlich rockiger daher, verzichtet oft auf die für Chansons typische  Orchestrierung mittels Streichern (da oft in kleinen Studios produziert wurde ist das auch irgendwie logisch), kann aber rein aus lyrischer Sicht die Nähe zum Chanson haben, französischunkundige Hörer werfen allerdings meistens alles was aus Frankreich kommt in einen grossen Kochtopf in dem sämtliche Zutaten wild durcheinander schwimmen. Die Definition von Yé-Yé also keine einfache Sache, vieles muss vom geneigten Gutachter von Fall zu Fall entschieden werden. Ob die französischen Rock’n’Roller wie Johnny Hallyday, Edy Mitchell oder Dick Rivers auch Yé-Yé  waren ist mir nicht ganz klar, eigentlich nein da sie ihre Wurzeln ja eher in den 1950ern und bei Elvis Presley & Co. hatten.  Wie geschrieben, einfach ist die Eingrenzung nicht, ein Bereich in dem man auf mehr Fragezeichen als Antworten stossen wird. Okay, 1966 war Hallyday sicher auch irgendwie Yé-Yé

                 

Yé-Yé entwickelte sich in Frankreich zu etwas gigantisch grossem Unfassbaren, in der Sparte Musik tauchen da vor allem Namen wie Jacques Dutronc, Francoise Hardy, Nino Ferrer, die genreüberschreitende France Gall, Sexsymbol Brigitte Bardot oder Serge Gainsbourg auf. Ein paar Bekanntheitsebenen tiefer wird das Terrain dann gefährlich, extrem gefährlich, geneigtem Forscher tut sich eine unüberschaubare Szene auf die der Nachwelt unzählige Tonträger hinterlassen hat. Alleine an die Yé-Yé-Mädchen kann man da sein Herz verlieren. Im Zuge des Erfolges von Francoise Hardy zerrten einschlägige Produzenten in Frankreich so ca. jedes französische Mädchen das mindestens 16 war vor ein Mikro, immer in der Hoffnung das nächste grosse Ding an der Angel zu haben. Okay, manchmal waren diese Lolitas auch jünger und manchmal hatten sie sogar wirklich Talent. Für die Cover der EP’s und Singles wurde für Coiffeur, Schminke, Boutiquenbesuch für die passenden Outfits und die entsprechenden Fotosessions wohl oft mehr Zeit aufgewendet als für die Arbeit im Tonstudio und doch haben gerade viele dieser „Nichtstimmen“ grossen Anteil am Kult und machen genau deshalb den Reiz aus, denn manche dieser Stimmen sind schlicht atemberaubend und bloss unbekannt geblieben weil sich der Hit nicht einstellte dem sie doch alle nachjagten.

Schon mal „Tu ne comprends rien aux filles“ von Annie Philippe (das gespiegelte Mädchen im Yé-Yé-Beitragsbild) gehört? Schlicht atemberaubend!
Pussy Cat?
Mon dieu, das Mädchen rockt wie die Hölle!
Oder die leicht schräge Stella?
Eigentlich war sie  Anti-Yé-Yé – also eher Underground, Gegenbewegung – um 1968 herum schmiss die extravagante junge Singer/Songwriterin den Bettel hin weil sie dachte sie werde zu kommerziell. Ein paar Jahre später tauchte sie an der Seite ihres Ehemannes Christian Vander bei Magma wieder auf.
Jocelyne? Die klang mindestens so ungehobelt, frech und dynamisch wie Lulu, Britanniens erste eigentliche Rocksängerin in den Sixties.

Die Liste geht ins Endlose, man gebe bei Discogs mal irgendeinen weiblichen Vornamen ein und lasse sich dann nach Frankreich entführen. Suchvorschläge: Clothilde, Elsa, Dani, Cleo, Zouzou, Stone… ach, letztere sind ja gar keine Vornamen, trotzdem sind beide Sängerinnen eine Entdeckungsreise wert.

    

Begleitet wurden die meist jugendlichen Chanteusen von labeleigenen  „Orchestres“, sprich das waren normalerweise Studiomusiker oder Musiker die sich so neben ihren eigenen Unternehmungen ein Zubrot verdienten. Ihre Namen blieben zumeist unbekannt, ihre in Vinyl gepressten Hinterlassenschaften können sich aber durchaus hören lassen, sie orientierten sich oftmals stark an den britischen Beatbands, es entstanden immer wieder auch eigenwillige Variationen bekannter Beat- und R&B-Schemata, da und dort mit Jazz vermengt, manchmal wurde Riffrock im Stil der Kinks genagelt, an anderer Stelle konnte man das schon fast als Garage, also die Frühform von Punk durchgehen lassen, die ganze Suppe konnte aber auch jederzeit in den Jazzbereich kippen.

Yé-Yé beschränkte sich geografisch nicht nur auf Frankreich, die Szene verbreitete sich auch in die Westschweiz (eben konnte ich wieder eine R&B-bestäubte 66er-EP der Fribourgerin Arlette Zola erwerben), nach Belgien, Italien, Spanien und nach Portugal, selbst in Nordafrika wusste man was Yé-Yé war und schickte eigene Artisten ins Rennen. Jacqueline Taïeb hatte tunesische Wurzeln, Les Missiles – mit brutal starkem Modrock auf der EP „Deux mois, c’est long“ (1966) – kamen aus Algerien. Selbst der französischsprachige Teil Kanadas wurde von der Yé-Yé-Welle heimgesucht.

Viele dieser Artisten wurden tonträgertechnisch betrachtet nicht sehr alt, nach ein paar EP’s oder Singles verloren die oft kleinen Plattenfirmen das Interesse, die Sänger und Sängerinnen kehrten zurück in ein bürgerliches Leben, Yé-Yé blieb einzig eine Episode in ihrem noch jungen Leben, ihre Spuren verloren sich.

Jahrzehnte später sind die alten Yé-Yé-Schallplatten wieder gefragt, sie werden von Sammlern regelrecht gejagt, die Plattenhüllen sind mindestens so begehrt wie die eigentlichen Tonträger, sprich je unbekannter die Künstler (vor allem die Künstlerinnen), desto höher kann der Preis gehen.

Im Zuge der Erkundung von Yé-Yé ist mir mittlerweile schon einiges klarer geworden, allerdings berfürchte ich, dass mich meine diesbezüglichen Forschungen (wie schon bei beim Instro-Rock der Sixties) auf Jahre hinaus vom detaillierten Studium anderer Musiksparten abhalten wird.

Meine Eltern sprachen in den frühen Seventies im Zusammenhang mit Popmusik immer von Yé-Yé-Musik, meinten aber wohl eigentlich Beatmusik dessen weltweite Verbreitung sie in den Sixties ja auch mitbekommen hatten. Ich vermute sie hatten diesen Begriff irgendwo aufgeschnappt und dann auf alles angewendet was jung, langhaarig und für sie unheimlich war.
Jedenfalls war mir die Bezeichnung Yé-Yé schon lange bekannt, allerdings tun sich mir erst jetzt die Zusammenhänge auf.

mellow

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