Humble Pie

Humble Pie – Street Rats (1975)

Irgendwie hatten sie das Ende der Fahnenstange erreicht, in den Staaten waren Humble Pie zu einem grandiosen Stadionact geworden, waren ein Garant für brandheisse Konzerte mit ausufernden Jams. Ihre Musik hatte sich jedoch auch verwandelt: Steve Marriott liess je länger je mehr tiefschwarzen Soul anstelle des zuvor bevorzugten Blues in die Songs einfliessen. Schon das Album Thunderbox (1974) geriet zu einem groovy Black-Music-Feuerwerk, die Verkaufszahlen belegten jedoch, dass der Zenit überschritten war, nichtsdestotrotz ein furioses Soul-Rock-Album. Street Rats von 1975 geriet dann zum Schwanengesang, wurde von Kritikern und Fans gleichermassen zerzaust, ungerechtfertigterweise möchte ich mal behaupten, die meisten hatten ganz einfach die weniger gelungene Version gehört.

Zurück in England stellte die Band fest, dass trotz erfolgreicher Tourneen auf ihren Bankkonti nicht viel hängen geblieben war, unverständlich eigentlich wenn man sich den Erfolg der Truppe in den USA Erinnerung ruft. A&M wollten jedoch ein neues Album und Humble Pie wieder auf Tour schicken und so entstanden in Steve Marriotts Clean Sounds-Homerecordingstudio in Essex erste Aufnahmen (u.a. mit Pianist Tim Hinkley, Drummer Ian Wallace und Pie-Bassist Greg Ridley) die der Bandleader allerdings für ein Solo-Album verwenden wollte. Bei der Record Company hingegen war man unzufrieden mit dem Resultat und, die Bänder wurden dem Produzenten Andrew Loog Oldham zur Überarbeitung in den Londoner Olympic Studios übergeben. Ob hier auch die klasse soulgetränkten Lennon/McCartney-Covers “We Can Work It Out”, “Rain” und “Drive My Car” aufgenommen wurden? Ein paar Jahre später erinnerte sich niemand mehr an die Entstehung dieser Beatles-Covers, scheinbar ein Fall von kollektivem Gedächtnisverlust.

Steve Marriott sprach im Nachhinein von einem Diebstahl durch A&M, denn den Titelsong “Street Rats” hatte er eigentlich für sein erstes in Planung befindliches Soloalbum vorgesehen. Clem Clempson und Greg Ridley zeigten sich ebenfalls wenig begeistert ob den Nachbearbeitungen Oldhams. Welches schlussendlich nun die Original-Pie-Arbeit war lässt sich nur schwer ergründen da zwei Album-Versionen existieren, eine amerikanische und eine europäische Variante, auf allen Versionen wird das Producer-Trio Marriott/Ridley/Oldham gelistet. Die LP Street Rats die in Europa veröffentlicht wurde kam mit massiver Bläser-Veredelung von Mel Collins daher (ich vermute deshalb es handelt sich um die Oldham-Tapes), eine massive Wand im Gegensatz zur unfertig und blutleer wirkenden US-Variante. Das Berry-Cover “Rock And Roll Music” beispielsweise wurde so zu einem mitreissenden Brass-Rocker währenddem die offizielle US-Version mit einem armseligen Klimperpiano ausgestattet war und ziemlich durchsichtig wirkte. Der krachende, explosive Track “Funky To The Bone” wurde auf der amerikanischen LP durch das eher durchschnittliche “There ‘Tis” ersetzt. Es ist mir ein Rätsel weshalb, die schnitten mit diesem Vorgehen eines der Filetstücke aus der Platte, deshalb rate ich von allen überseeischen StreetRats-Editionen ab, ausser man zieht sie zum Vergleich heran.

Street Rats blieb allenthalben ein ungeliebtes Baby und kurz nach der Veröffentlichung der LP schloss Marriott ein erstes Mal das Kapitel Humble Pie, er hauchte stattdessen den Small Faces wieder Leben ein. Street Rats wurde schon mehrfach auf CD veröffentlicht, meistens leider in der US-Version, hier lohnt sich die Anschaffung der britischen Version mit “Funky To The Bone” von Universal Japan, am besten die Edition mit den 4 Bonustracks:

Big Black Dog (UK, Single, 4:04)
Mister Ring (UK, Single, 4:23)
Outcrowd (Germany, Single, 2:51)
I Don’t Need No Doctor (US, Single, 3:57)

Noch eine kleine Anmerkung, eine Portion Marriott-Humor gibts am Ende von “Queens & Nuns”, da kriegt Produzent Andrew Oldham eins übergebraten:

“Andrew, don’t put me on like this again. Just because, I’m the oldest has-been, according to the itinerary, you should have done it, not me. John, Paul, George, Ringo or Linda or Yoko were on this bloody record in the first place…”

Steve mochte die UK-Scheibe im Gegensatz zu mir erheblich weniger und der eigentliche Grund ist wahrscheinlich, dass die Qualität seiner in Eigenregie gemachten Aufnahmen (Scrubbers Sessions) kritisiert wurde, er fühlte sich dadurch automatisch als Produzent angegriffen und war mächtig beleidigt, deshalb auch sein Dauerfeuer Richtung Oldham und dessen Resultat von Street Rats. Naja, jedem das seine, ich mag sie (die UK-Bläser-Version), inklusive der Lennon/McCartney-Coversongs…

LONG LIVE ROCK’N’SOUL!
mellow


Humble Pie – Street Rats (1975)
1. Street Rat
2. Rock And Roll Music
3. We Can Work It Out
4. Scored Out
5. Road Hog
6. Rain
7. There ‘Tis (US) / Funky To The Bone (UK)
8. Let Me Be Your Love Maker
9. Countryman Stomp
10. Drive My Car
11. Queens And Nuns

Hilfreich beim Vordringen zum Kern von Street Rats können auch The Scrubbers Sessions sein welche teilweise Steve Marriotts ursprüngliche Essex-Sessions darstellen.

Humble Pie – The Scrubbers Sessions
(1974/1975, erstmals 1996 veröffentlicht)
1. The Shake
2. I Need A Star In My Life
3. Lend Us A Quid
4. Send Me Some Loving
5. She Moves Me Man
6. Street Rat
7. Captain Goatcabin’s Balancing Stallions
8. High And Happy
9. Be My Baby
10. It’s All Over
11. Bluegrass Interval
12. Don’t Take But Few Minutes
13. Louisiana Blues
13. You’re A Heartbreaker
14. Mona
15. Cocaine
16. I’ll FInd You
17. Lord Let Me Hold Out
18. Hambone
19. Signed Sealed

LONG LIVE ROCK!
mellow

 

 

 

 

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2 Kommentare

  1. Wie geschrieben, es war mit Abstand die chaotischste aller Pie-Phasen. Für mich sind es Welten die zwischen den zwei Bearbeitungen liegen, für die UK-Brass-Version lege ich die Hand ins Feuer.

  2. In der Vinyl-Box wird als alleiniger Produzent Andrew Oldham auf dem Cover des Albums genannt, auf der Platte sind es dann Oldham und Marriott. Leider liegt der Box die US-Version von Street Rats bei, also mit „There Tis“. 😒

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