Glass Harp

Wenn man die oberste Schicht Staub die auf der Musikszene der späten 60er und frühen 70er-Jahre liegt mal wegbläst und die sattsam bekannten Szenehirsche gleich auf der ersten Ebene darunter ausser Acht lässt, dann wird man schon bald auf relativ unbekannte Fundstücke stossen. Viele dieser Artefakte sind natürlich völlig zu Recht im Sand der Zeit versunken, manche aber sind wunderbar funkelnde Juwelen die aus unterschiedlichen Gründen vergessen wurden von der Geschichtsschreibung.

Glass Harp wurden 1968 in Youngstown/Ohio/USA vom Gitarristen und Sänger Phil Keaggy, von John Sferra (Drums, Flute, Vocals) und dem Bassisten Steve Markulin gegründet. Nach einer ersten Single – „Where Did My World Come From?“ – verabschiedete sich Markulin Richtung The Human Beinz, sein Nachfolger wurde Daniel Pecchio.

Der anfänglich gespielte Psych-Rock wurde schon bald harmonischer und komplexer, jedenfalls fand Produzent Lewis Merenstein Gefallen an den Demo-Tapes die er zu hören bekam, er verfrachtete Glass Harp in Hendrix‘ New Yorker Electric Lady Studios wo mit Unterstützung des Violinisten John Cale (Velvet Underground) das Debutalbum Glass Harp entstand das 1970 bei Decca veröffentlicht wurde. Die auf dem Album enthaltene Musik ist einfach nur überwältigend, Songs auf höchstem Niveau, Klang, Dynamik und Vortrag der Band ganz einfach atemberaubend. Ein einziger ausufernder progressiver Seiltanz der keine Kritik zulässt, hier passen ganz einfach alle Puzzleteile aus zusammen und noch selten habe ich so exquisit arrangierte Strings gehört wie diejenigen die vom Arrangeur Larry Fallon  und von John Cale eingewoben wurden. Einzelne Songs hervorzuheben wäre ungerecht, man sollte die LP unbedingt als Einheit ihre Wirkung entfalten lassen.


Glass Harp (1970, LP, Decca)
1. Can You See Me
2. Children’s Fantasy
3. Changes (In The Heart Of My True Love)
4. Village Queen
5. Black Horse
6. Southbound
7. Whatever Life Demands
8. Look In The Sky
9. Garden
10. On Our Own

Glass Harp wurden nach dem Erscheinen des Debuts als Anheizer für Grössen wie Alice Cooper Band, Humble Pie, Yes, Traffic, The Kinks und Grand Funk Railroad verpflichtet. Bereits 1971 glänzte die Band mit dem zweiten Lonplayer Synergy der neben dem furiosen Opener „One Day At A Time“ aber auch ruhigere Folksongs wie „Coming Home“ oder „Just Always“ im Angebot hatte. Insgesamt ist Synergy etwas songorientierter als das Debut und enthält dafür etwas weniger Jamrock, nicht schlecht, erreicht aber doch nicht ganz das Niveau des Erstlings.



Synergy (1971, LP, Decca)
1. One Day At A Time
2. Never Is A Long Time
3. Just Always
4. Special Friends
5. Coming Home
6. Song Of Hope
7. Child Of The Universe
8. Mountains
9. The Answer
10. Dawn Of A New Day

Mit It Makes Me Glad (1972) bogen Glass Harp bereits auf die Zielgerade ein. Die LP ist eine weitere mehrheitlich unbekannt gebliebene Glanztat, verzaubert nichtsdestotrotz den Zuhörer mit hochmelodiösen Songs und traumhaft schönen Gitarrenklängen wie beim faszinierenden  Instrumental „David & Goliath“. Wer die Ecke mit James Gang und Guess Who mag, der erhält mit diesem Album eine Vollbedienung.


It Makes Me Glad (1972, LP, Decca)
1. See Saw
2. Sailing On A River
3. La De Da
4. Colt
5. Sea And You
6. David & Goliath
7. I’m Going Home
8. Do Lord
9. Song In The Air
10. Let’s Live Together

Kurz vor der Veröffentlichung der Platte verabschiedete sich allerdings Phil Keaggy zugunsten einer Solokarriere im Bereich „Christliche Musik“. Seine erste, absolut hörenswerte Soloplatte What A Day erschien 1973, hier spürt man noch gut den Nachhall von Glass Harp. Weiterführend würde ich ausserdem die Phil Keaggy Band und deren einziges Album Emerging (1977) empfehlen, es beinhaltet grandiosen, erfrischenden und leichtfüssigen Rock mit grandiosen jazzigen Passagen, textlich übrigens nicht viel religiöser als Bob Dylan, Neal Morse oder Gospelmusic im Allgemeinen.

Zurück zu Glass Harp: Um die geplanten Verträge und Konzertverpflichtungen zu erfüllen, engagierten Sferra und Pecchio als Ersatz den Gitarristen Tim Burks, im Herbst 1973 löste sich die Band dann allerdings auf. Keaggy, Sferra und Pecchio blieben immer freundschaftlich verbunden und schon in den 1980ern spielten sie bereits ein erstes Mal einen Reunion-Auftritt unter dem Namen Glass Harp.

Ab dem Jahr 2000 mehrten sich die bis heute andauernden Aktivitäten, mit Hourglass erschien 2003 dann auch ein ausgezeichnetes neues Studioalbum, daneben wurden auch mehrere Live-Shows auf CD festgehalten. Das manchmal um zusätzliche Musiker erweiterte Trio findet immer wieder mal zusammen, normalerweise nach dem Lust-und-Laune-Prinzip und Terminkalendern die solche Aktivitäten zulassen.

Als erste kostengünstige Annäherung oder Einstieg in die Musik von Glass Harp würde ich das Live-Video „Children’s Fantasy“ von 2013 empfehlen, Glass Harp waren da zu Gast auf der Fur Peace Ranch von Jorma Kaukonen in Pomeroy Ohio. Der Titel vom Debutalbum ist ein göttlicher, elektrisierender Vortrag der ganz einfach begeistert, Jamrock war nie schöner!

Wie eingangs geschrieben, es lohnt sich herumliegende Scherben aufzuheben, zu entstauben und eingehender zu studieren, im Falle von Glass Harp wird man belohnt mit einem Füllhorn aus zeitloser Musik der man das Alter absolut nicht anhört.

LONG LIVE ROCK!
mellow

 

PS.
Die originalen LP’s wurden schon mehrfach wiederveröffentlicht, meistens mit zusätzlichem Bonusmaterial. Auch wenn nicht immer einfach erhältlich, die Beschaffung von Tonträgern von Glass Harp zahlt sich in jedem Fall aus.

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Ein Kommentar

  1. Danke für den Tipp. Die Band sagte mir bislang nichts – jetzt habe ich aber doch mal rein gehört. Auf der ersten LP sind ein paar erstaunlich gute Songs drauf, ich empfehle CHANGES und SOUTHBOUND. Gruß – Ronald;-)

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