Wechselt direkt vom Cockpit eines Airforce-Kampf-Jet in eine US-Rock-Band
Der Bereich Country-Rock ist inzwischen auch unübersehbar verzweigt und die Grenzen zu anderen Genres verschwimmen bei einigen Künstler-Gruppen sehr stark. Vielleicht auch deshalb weil sich die vom US-Country-Rock beeinflussten, meist Einzel-Interpreten als Liederschreiber, ihre eigenen vielfältigen von der Ami-Kultur geprägten Geschichten erzählen. Das können beide Geschlechter gleich gut und das ist auch nicht nur auf Nordamerika beschränkt. Auch im benachbarten Kanada und hier in Europa haben wir diese Barden und die agieren in einigen Fällen auch sehr erfolgreich. Leider gehören Lee Clayton und Cowboys On Dope, die zwar im ähnlichen Fahrwasser und beide jeweils professionell agieren, nicht dazu. Beide unverdient recht unbekannt.
Lee Clayton (geboren als Billy Schatz) ist wie beispielsweise Nils Lofgren, Moon Martin oder John Cougar Mellenkamp schwer in nur einen Bereich des Country-Rock einzuordnen. Schon im Alter von nur sieben Jahren begann er angespornt von seinem Vater (Country-Musik-Fan) Mund-Harmonika und Gitarre und mit neun Jahren Pedal-Steel-Gitarre zu spielen. Seine Diskografie ist mit fünf Studioalben und den beiden Live-Werken »Another Night« (1989) und »Live At Rockpalast« (2014) überschaubar. Nichts desto trotz hat er immerhin weltweit bis heute fast 25 Millionen Einheiten seiner Alben verkauft. Seine Album-Trilogie bei Capitol Records ist sicher sein starkes Vermächtnis an die Musikfreunde in der ganzen Welt. Diese Alben »Border Affair« (1978), »Naked Child« (1979) und »The Dream Goes On« (1981) sind 2007 als Doppel-CD »Capitol Years: Border Affair« bei dem US-Reissue-Label Evangeline Records erschienen. Diese Ausgabe ist sehr empfehlenswert. Dazu das recht durchschnittliche selbstbetitelte Debüt von 1973 (MCA) und das ebenfalls gute »Spirit Of The Twilight« (1994) und das Studio-Gesamt-Paket ist geschnürt. Aber unabhängig von seinen eigenen Veröffentlichungen ist die Stärke dieses Künstlers die hohe Qualität seiner Lieder in Text und Melodie, die von vielen Größen der US-Country-Szene genutzt wurden. Hier sind Namen wie Waylon Jennings (Ladies Love Outlaws), Jerry Jeff Walker (Lone Wolf), Willie Nelson (If You Could Touch Her At All), Highwaymen und Cat Power (Silver Stallion) zu nennen.
Wer sich einmal auf die schöne Musik von Lee Clayton eingelassen hat, er hat eine eigene Art des Gitarrenspiels und eine prägnante Stimme, der hat es schwer davon los zu kommen. Mir geht es auch bei einigen anderen großen Barden so, wie beispielsweise Nick Drake, Jeff Buckley oder Roy Buchanan (weitere Beiträge Tragische Rocker sind in Arbeit). Lee war jung verheiratet und schnell wieder geschieden, nahm aus Langeweile Flugstunden und war dann bis 1968 bei der US-Airforce Trainer für Starfighter-Piloten. Wie er selbst sagt: Grenzerfahrungen die mich prägten. Nach der Zeit als Soldat ging er nach Nashville, nahm dort sein ersten Long-Player auf. Nach der Enttäuschung mit seinem recht unbeachteten Debüt folgte ein mehrjähriger Rückzug in die Einsamkeit des Südens des großen US-Landes (unter anderem Joshua Tree, Süd-Kalifornien), nur mit seinem Hund Elvis Firewolf, dem alten Cadillac und seinen Instrumenten. Dann ist er plötzlich wieder da, mitten in der Nashville Country Szene. Er formiert seine Band um den irischen Killer-Gitarristen Phillip Donnelly, startet die Arbeit an der genialen Capitol-Album-Trilogie.
Naked Child (1979) – Die vier Musiker die im Januar 1980 etwas verloren in der Markthalle in Hamburg stehen, nehmen dieses wunderbare Album »Naked Child« in Los Angeles (Capitol Studio B) und Nashville (CBS Studio A und Young’n Sound Studio) auf. Schon der Vorgänger »Border Affair« ist ein Kracher, Musik auf den die echten Fans der klassischen Rockmusik gewartet haben, die auch von der wilden Musik der jungen Generation der 80iger nicht verdrängt werden kann. Insgesamt ist das komplette Album brillant, wie aus einem Guss. Lee Claytons Texte sind geradeaus, grundehrlich, poetisch und absolut passend. Die Instrumentierung untermalt die Lyrik und den Gesang. »I Love You« ist ein schönes und nicht kitschiges Liebeslied, »A Little Cocaine« eine sanfte Ballade getrieben von einer akustischen Gitarre und Harmonika sowie dem unverwechselbaren Gesang von Lee Clayton. Der Rocker »I Ride Alone« wird dominiert von verschiedenen elektrischen Gitarren, für mich ist aber der Höhepunkt des Albums das zweiteilige »10.000 Years – Sexual Moon«, der alle Facetten dieser intensiven Musik genial zum Ausdruck bringt. Das Album ist melancholisch, traurig, teilweise düster, aber diese Gefühlswelt gehört ebenso zu der Welt der Menschen wie die bunte Welt des Sommer-Pop oder Karnevalsmusik. Textzeile: I am, but a naked child, composed of pure white light.
Live At Rockpalast (1980) – Was für ein großartiger Moment für Liebhaber von Musik im Grenzbereich !! Über fast 35 Jahre musste die kleine Schar von Fans auf die Veröffentlichung dieses Konzerts von Lee Clayton (Gesang, Gitarre, Harmonika) aus der Markthalle Hamburg vom 09. Januar 1980 warten. Dann erblickte es aber doch 2014 endlich als CD und DVD Combo als »Live At Rockpalast« bei Repertoire Records das Licht der Musikwelt. Sicher war für den lange Zeitraum auch das Sichern der Rechte ein Grund, ein anderer den scheuen Musiker aufzustöbern, der seit Ende der 80iger bis heute praktisch aus der Musik-Szene verschwunden war/ist !! Lee Clayton hat viele schöne Lieder komponiert, die andere bekanntere Musiker interpretierten und dafür auch die Lorbeeren einfuhren. Der prominente Ire Bono nennt ihn als wichtigen Einflussgeber auf die Musik von U2. Nicht von ungefähr, denn bei den meisten die vorgetragenen Stücke heult endlich die grandiose Gitarre vom Iren Philip Donnelly durch die Boxen (Bass: Colin Cameron, Drums: Tony Newman). In dieser Kern-Besetzung wurden auch fast alle der bekannten Kompositionen der drei Capitol-Alben zwischen 1978 und 1981 aufgenommen. Auch die beiden Titel Draggin’ Them Chains und The Dream Goes On vom kommenden Album »The Dream Goes On« (1981) waren damals schon mit in der Set-Liste. Die vierköpfige Band zeigt bei diesem legendären TV-Rockpalast-Show von 1980 welche überschwängliche Energie in der Band steckt, zu sehen und hören ist das Quartett um Gitarrist und Sänger Lee Clayton, unterstützt von Philip, Colin und Tony, wenn sie sich mit Songs wie »Tequila Is Addictive«, »Ladies Love Outlaws« und auch mit dem umstrittenen, düsteren »Naked Child« (10.000 Years – Sexual Moon) in knallharte Country Rocker verwandeln. Rebellische Songs von vorgestern und Balladen wie »My True Love«, die das Publikum begeistern und auch für moderne Ohren immer noch großartig klingen. Doch jetzt, obwohl Lee einer der ganz großen der amerikanischen Country-Rock Singer-Songwriter-Szene war, hat er sich klammheimlich aus dem Staub gemacht und heult jetzt wahrscheinlich wieder mit den Kojoten in den Wüsten der Südstaaten um die Wette, statt die Konzerthallen mit seinem markanten Country-Rock auszuverkaufen !! Warum macht er das ?? Vielleicht sieht er das Musikbusiness so wie seine geistigen Brüder, wie beispielsweise Roy Buchanan, Moon Martin (am 11. Mai 2020 verstorben in Encino) oder vor allem wie der 2013 verstorbene Minimalist und Begründer des Tusla-Sound John Weldon JJ Cale. Mehr Details siehe im Rockpalast-Archiv !!
Leider war Lee Clayton für Country zu Rockig, für Blues zu sehr Western Style, für Rock zu Folklastig und über alles zu sehr zwischen allen Stühlen. Aber gerade das ist das Markenzeichen was ihn und seine Musik zu etwas Besonderem macht. Diese Mucke wird noch viele Strömungen in der Musik überleben, weshalb ich so sicher bin, weil sie zeitlos und wunderschön ist. Leider ist über den scheuen inzwischen 77-jährigen US-Boy nicht so viel bekannt, einiges habe ich hier aber zusammengetragen können. Wer tiefer eindringen möchte in die Welt vom Allround-Künstler aus dem Süden Nordamerikas dem sei das englischsprachige Taschenbuch »The Streets Of Nashville – The Little Book« (Tennessee Fire Music) empfohlen. Leider hat das Druckwerk nur 76 Seiten, die spiegeln aber dennoch das Leben des Alleskönners gut wieder. Lee Clayton hat seine sehr wechselhafte Lebensgeschichte in Kompositionen, Texte, Lyrik gegossen. Prädikat: Wertvoll !!
Capitol Years: Border Affair (Acadia – ACAD 8184) vom US-Reissue-Label Evangeline Records
Border Affair (Recorded at American Studio, Nashville, Tennessee, VÖ: 1978)
1-1 Silver Stallion 4:48
1-2 If You Can Touch Her At All* 4:35
1-3 Back Home In Tennessee 4:33
1-4 Border Affair 3:47
1-5 Old Number Nine 3:07
1-6 Like A Diamond* 4:36
1-7 My Woman My Love 5:02
1-8 Tequila Is Addictive* 4:32
1-9 My True Love* 4:36
1-10 Rainbow In The Sky* 3:33
Naked Child (Recorded at Capitol Studio B, Los Angeles, VÖ: 1979)
1-11 Saturday Night Special* 3:11
1-12 I Ride Alone* 5:14
1-13 10,000 Light Years / Sexual Moon* 6:23
1-14 Wind And Rain* 2:40
2-1 I Love You 5:06
2-2 Jaded Virgin 4:14
2-3 A Little Cocaine 5:26
2-4 If I Can Do It (So Can You) 4:44
The Dream Goes On (Recorded at Young’n Sound, Nashville, VÖ: 1981)
2-5 What’s A Mother Gonna Do 2:54
2-6 Industry 7:27
2-7 Wont You Give Me One More Chance 3:22
2-8 Draggin’ Them Chains* 3:31
2-9 Where Is The Justice 4:48
2-10 Whatcha Gonna Do 4:06
2-11 Oh How Lucky I Am 3:41
2-12 The Dream Goes On* 4:47 (*Live At Rockpalast)
Weiterlesen RZ: Brit-Barden X – Tragische Rocker X – US-Rock-Cowboy X
Zeitlose und Klingende Grüsse, Der SchoTTe
…hier meldet sich noch ein Besitzer von NAKED CHILD. Dachte ich jedenfalls. Aber nach 2 Tagen vergeblicher Suche nach dem Album ist ist mir im Laufe der Zeit wohl abhanden gekommen. Ich habe es mir damals vor allem wegen des Songs 10,000 Year / Sexual Moon gekauft und des eindruckvollen, endlosen Gitarrensolos am Ende (wer spielt das eigentlich? Ich glaube der Hüllentext schweigt sich aus). Gitarrensoli gehörten damals noch zum guten Ton auf jeder Rock-Platte – man kann es heute kaum mehr glauben. Nach 1-2 mal Durchhören empfand ich das Album allerdings einen persönlichen Fehlkauf und hörte es nicht wieder. Ich wollte ihm jetzt – nach fast 40 Jahren – eine zweite Chance geben, aber es soll wohl nicht sein. Gruß – Ronald;-)
Lieber mellow, es gibt DOCH ein paar alte Rock-Fans die diese Mucke kennen. Ich bin leider erst nach der 1980-Tour auf Lee aufmerksam geworden. Ich beneide dich um dieses Erlebnis. Vielleicht hilft unser Dialog einigen Besuchern sich mal etwas intensiver mit dem Cowboy aus Alabama zu beschäftigen, verdient hat er es. Klingende Grüße, Der SchoTTe aus Venezia
14. Februar 1980, im Volkshaus in Zürich gastierten Roger McGuinn & Chris Hillman. Auf dem Konzertplakat bekam Hillman sogar ein Bonus-“n” verpasst, wurde also mit doppeltem “nn” verewigt, ich regte mich damals schrecklich darüber auf. Trotzdem, da musste ich hin, die zwei Ex-Byrds hatten für mich schliesslich “Gott-Status”. Was die beiden mit ihrer Band an jenem Abend ablieferten war exzellent, atemberaubend, “I’ll Feel A Whole Lot Better”, “Eight Miles High” aber auch die neuen Songs vom Album City waren überragend.
Mein Kumpel kam in erster Linie wegen dem Anheizer-Act Lee Clayton mit zu dem Konzert, er war 1978 über Border Affair gestolpert und seither ein Riesen-Fan des Singer/Songwriters. Der Gig ging völlig überraschend los, denn als das Saallicht ausging drehten sich die vermeintlichen Roadies (die auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum die Gitarren gestimmt hatten) um und legten los. Nein, definitiv keine Roadies, das waren der Chef plus Band höchstpersönlich! An die Einzelheiten seines Auftrittes erinnere ich mich nicht mehr, aber die Eingangssequenz mit Überraschungseffekt vergesse ich nicht mehr.
Mit der LP The Dream Goes On überschritt Clayton bereits den Zenit, die Scheibe hatte in meinen Ohren nicht mehr die gleiche Magie wie Border Affair und Naked Child.
Über 20 Jahre später präsentierte der eine Gitarrist meiner damaligen Band einen Song den er mit “kennt ihr natürlich nicht” ankündigte. Hallo? Klar kannte der Bassist (also ich) “A Little Cocaine”, und zwar schon seit Erscheinen anno 1979.
mellow