Japanische Frauenrockbands

Im Westen hat sich die Metall-Chose längst selber ins Abseits gestellt, spätestens als den grossen Szene-Monstern und ihren unzähligen Kopisten die Ideen ausgingen kippte die Kiste um, bum. Viele der alten Heroes bemerkten nicht wie peinlich sie wurden als sie sich im hohen Alter in Nieten und Leder gewandet noch immer auf die Bühnenbretter wagten. Parallel dazu verlor ein Grossteil der jüngeren Generation das Interesse am Bespielen von realen Instrumenten und bastelte lieber Soundgrooves auf Mobile-Phones um dann irgendwelche gereimten Ungereimtheiten darüber zu schwätzen. Natürlich, die Rockmusik verschwand im Abendland nicht gänzlich, es ging ganz einfach dem Heavy Metal an den Kragen, von allen musikalischen Sparten wohl diejenige die mit Alterungsprozessen am schlechtesten umgehen kann. Jugendliche die Rap und Mobile-Phones weniger prickelnd fanden spielten weiterhin Instrumente, einfach den Poser- und Gitarren-Kult dem ihre Väter und Mütter verfallen waren liessen sie nun aussen vor, sie positionierten sich lieber im Punk-, Prog-, Stoner- oder Independent-Bereich in dem die Musik normalerweise wichtiger ist das dazugehörige Macho-Gehabe.

Metal überlebte in Europa in diversen Gothic- und Symphonic-Unternehmungen die sich heutzutage nur noch wenig voneinander unterscheiden. Es sind meist die gleichen Muster die angewendet werden, sprich im Mittelpunkt steht eine elfenhafte singende Prinzessin die von bärtigen Sidemen flankiert wird, einheitlich einfältig und ungeheuer protzig präsentiert, der Spass bleibt da leider auf der Strecke.

Japan war einst das gelobte Land für Rockbands aus dem Westen und ist es vermutlich auch heute noch. Weshalb auch immer, harter Rock war im Land der aufgehenden Sonne immer besonders beliebt und hat auch heutzutage noch einen besonderen Stellenwert. Mittlerweile finden sich die Stars aber längst in den eigenen Reihen was vor allem daran liegt, dass der westliche Metal Schiffbruch erlebt hat.

Noch viel erstaunlicher ist die Legion von reinen Frauenbands die durch die Szene geistert. Wer westliche Pendants aufzählen will der braucht vermutlich noch nicht mal die Finger einer Hand, die Namen werden ihm vorher ausgehen. Die Runaways werden sicher erwähnt werden auch wenn die Jahrzehnte in der Vergangenheit operierten (Grossmütter-Rock?), Girlschool und vielleicht kennt ja noch jemand Rock Goddess (die sind ja wieder aktiviert worden) aus London, aber dann? Okay, vor ein paar Jahren sah ich mal das Schwedinnenquartett Crucified Barbara in einem Club.


Mary’s Blood

Woran es liegt, dass in Japan eine solche Dichte an weiblichen Rockbands (querbeet durch alle Genres) existiert ist mir noch nicht ganz klar. Vielleicht waren irgendwelche Manga-Comics der Auslöser, von einer speziellen weiblichen japanischen Emanzipations-Bewegung in der Musikszene habe ich jedenfalls noch nie gehört. Der Hardrock war vermutlich auch in Japan den muskelbepackten Macho-Männchen vorbehalten, irgendwann bewaffnete sich Frau aber mit Stromgitarre und schlug zurück. Ich meine jetzt nicht Mädchenbands à la 5 6 7 8’s (bekannt aus Kill Bill) die relativ ungelenk agierten und deshalb in die Punk-Kiste gesteckt wurden (Shonen Knife waren da schon einiges flinker unterwegs), sondern Flitzefingermädchen, Powerdrummerinnen, Bassistinnen und Sängerinnen in Schulmädchenuniform oder kollektivem Rotkäppchenlook (die Punks hingegen fast immer in gemütlichen Freizeitklamotten) die sich trauen den Volumenregler der PA und ihrer Amps auf Windstärke 10 zu drehen, Hauptsache Power und die Zuhörer werden vom Druck aus den Schuhen geblasen. Klar manchmal geht das auch daneben, die drei Lolitas des Aushängeschildes Babymetal (mit männlicher Begleitband) sind für mich jedenfalls ungeniessbar, das ist übelster klischeebehafteter Kommerz, kalkulierte Industrieware aus der Massenfabrikation.


ЯeaL


Band-Maiko

Wenn man etwas tiefer eintaucht in die Szene die von erfolgreichen Acts wie Bridear, Lovebites oder Mary’s Blood angeführt wird, dann stösst man teilweise auf unglaublich guten Rock in allen möglichen Variationen. Die Stilrichtung kann dabei variieren, neben Metal gibt es auch Hardrock, eine Menge Gothic, progressiv angehauchten Rock, enorm viel Punk und Garagerock, Powerpop, Independent (z.B. Scandal aus Osaka), Avantgarde und Experimentalrock der häufig mit klassischer japanischer Folklore interagiert, mit Flöten, Trommeln und seltsamen Harfen angereicherter Folk-Metal wie ihn etwa die Wagakki Band im Angebot hat, ein musikalisch wie optisch unglaublich dicht gewebtes Spektakel, da fühlt man sich auf Anhieb in einen Monumental-Film von Akira Kurosawa versetzt.



Wagakki Band

Optisch gibt es wie gesagt keine Grenzen, oft gewandet Frau sich natürlich in Rock, Fate Gear sind der Steampunk-Mode verfallen, Band-Maid agieren manchmal als Band-Maiko, dann kleiden sie sich in knallbunter Umgebung in atemberaubend knallbunte Kimonos, ein Farbenmeer das einen beinahe erschlägt. Manchmal trifft man auch auf die Shamisen (unterschiedliche Schreibweise), eine dreiseitige Laute die wie eine Gitarre gehalten wird.


Tokyo Groove Jyoshi

Ein schönes Beispiel demonstriert diesbezüglich die Coverversion „What Is Hip?“ (im Original von Tower Of Power) von Tokyo Groove Jyoshi, ein Bandprojekt der Funkbassistin Juna Serita und den Studiomusikerinnen Emi Kanazashi (Keyboards) und Yuriko Seki (Drums) die bei diesem Titel der Shamisen-Spielerin Shinobu Kawashima einen heissen Groove-Teppich ausrollten. Nicht nur vom Stil her unterscheidet sich Tokyo Groove Jyoshi von anderen Frauenbands: Sie schlagen sich instrumental durch während der Grossteil der Szene auf Gesang setzt. Und zwar nicht wie man vermuten könnte auf Englisch, nein, weit gefehlt, normalerweise kommt die japanische Sprache zum Zug. Von textlicher Seite ist es im J-Rock natürlich rein sprachlich bedingt schwierig die Lyrics zu verstehen, manchmal werden die Texte in Videos zwar auch in Englisch eingeblendet, allerdings bin ich so noch nie über Text-Konstrukte gestolpert die haften bleiben, schlussendlich ist es die Musik und die Gesamtpräsentation mit denen Gefangene gemacht werden.


Mutant Monster

Die Sprache macht den grossen Unterschied zum klassischen Rock angelsächsischer Prägung aus, auch wenn der elektrische Background eigentlich derselbe ist, die Botschaften werden in der Muttersprache verfasst und präsentiert und erst noch flächendeckend. Das gibt es in Europa selbstverständlich auch, aber harter Rock in Deutsch, Französisch oder Italienisch vorgetragen ist bis heute eher ein Nischenprodukt geblieben selbst wenn manchmal internationaler Erfolg damit erzielt wird, siehe Rammstein.

Viele der nachfolgend notierten japanischen Bands existieren immer noch und einige haben es mittlerweile sogar bis nach Europa und die USA geschafft, sie profitieren dabei ziemlich sicher ein Stück weit vom Exoten-Bonus, dem eingangs erwähnten Dinosauriersterben der westlichen Schwermetaller und dem allgemeinen Desinteresse der westlichen Jugend am Musizieren.

Als Suchhilfe hier nochmals (wild durcheinander, wie die ganze Japan-Szene) ein paar Namen von J-Frauenrockbands, respektive J-Rock-, J-Punk- und J-Pop-Bands mit Frauenbeteiligung:

Wagakki Band
Mary’s Blood
Rivini
Bridear
Lovebites
Yousei Teikoku
DOLL$BOXX
Band-Maid
Tokyo Groove Jyoshi
Elephant Gym
Gacharic Spin
Fate Gear
Blistar
Show-Ya
Burst Girl
Aldious
Silent Siren
Stereopony
Bish
Scandal
Girlfriend
Tokyo Groove Jyoshi
Elfin Planet
Unlucky Morpheus
The Peggies
Brats
Double And
Anarchy Stone
Nakanamori Band
Destrose
Cyntia
Chu’s Day
Disqualia
Yonige
Necronomidol
Exist Trace
Broken By The Scream
Mutant Monster
Tricot
PassCode
Ja Naimon!
Rick Rack
Whiteberry
Lucie,Too
Ganglion
Shisamo
Lulileela
Disacode
Negoto
Drop‘s
Vivid Undress
ЯeaL
Sekirara
Eu Phoria
Longman
Malcolm Mask McLaren
Hump Back
Dizzy Sunfist
Tetora


Ganglion

Von vielen der erwähnten Künstlerinnen wird man keine Tonträger finden, ihre Musik lässt sich aber anhand der kursierenden Videoclips erforschen. Reizvoll sind meiner Meinung nach vor allem die liebevoll in Eigenregie gestalteten Clips der Garagenfraktion die oftmals auf Schul- und Hinterhöfen, analog den Beatles auf Dächern, im Proberaum, in leer stehenden Industriehallen oder irgendwo am Beach mit einfachsten Mitteln abgedreht wurden, hier spürt man ganz besonders die Hingabe mit der sich Japaner ins Abenteuer Musik stürzen.

Geh mir bloss weg mit Yoko Ono:
LONG LIVE FEMALE ROCKBANDS FROM JAPAN!
mellow

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6 Kommentare

  1. Wieso sollte man keine CDs mehr bekommen? In keinem Land der Welt verkaufen sich heute mehr CDs als in Japan und das gilt natürlich auch für die Rock-Szene. Einige Gruppen sind inzwischen ja sogar auf Amazon.de zu finden. Für den Rest nimmt man halt cdjapan oder yesasia.
    “da fühlt man sich auf Anhieb in einen Monumental-Film von Akira Kurosawa versetzt.”
    Ähm, davon gibt’s nur zwei. Kurosawa ist sicher nicht dafür bekannt, Monumental-Filme gedreht zu haben auch wenn er regelmäßig Zeit- und Budgetpläne über den Haufen geworfen hat. 😉

    1. Klar kriegt man CD’s von japanischen Künstlern, zwar nicht von allen aber von vielen. Allerdings können solche Importe ganz schön den Geldbeutel strapazieren.

      mellow

    2. Es ist richtig, einige japanische CDs sind in Deutschland zu finden. Wobei das eher die Spitze des Eisbergs ist und die restlichen 90 % sind immer noch unter Wasser, sprich, nur in Japan erhältlich. Und das Problem, dass viele japanische Verkäufer nicht nach Europa verschicken, ist nur ein weiterer Stolperstein. Dann kommt noch der Informationsfluss hinzu, bis man endlich merkt was es da alles hat, dann ist man viele Male ganz einfach zu spät dran (OOP). Wenn ich für Alben aus Japan nur von europäischen Anbietern leben müsste, dann hätte ich schlechte Karten.

      CDJapan war mal ganz gut, ist aber durch die Jahre ein ziemlicher MOR Laden geworden. Oder anderst gesagt, die haben eine angebliche Riesenauswahl, aber der grössere Teil der Angebote sind nicht mehr zu haben. Zehn Alben einer Band und du kannst davon genau zwei bestellen, das ist so etwa der Standard dort.

      Bei einigen der international grossen Anbieter mit Ableger in Japan dürften die Erfolgschancen ungleich höher sein (auch wenn man dort Bestellungen mit der Faust im Sack macht). Yesasia kenne ich nicht, muss mir das mal ansehen. Komisch, dass die bei mir unter dem Radar fliegen.

      Cheers

      Roland

      1. Habe mir Yesasia mal angesehen. Erster Eindruck: Da siehts in meinem lokalen Brockenhaus besser aus. Punkt zwei: Ich habe mir etwa 20 japanische CDs im Zufallsprinzip aus dem Regal gezogen und die im Suchfeld eingegeben. Kein einziger Treffer (und in 18 von 20 Fällen nicht mal die/den entsprechende/n Band/MusikerIn gefunden). Drittens: Ich verstehe nicht ganz, ob diese Website als Proxybuyer funktioniert (sieht mir schwer danach aus), aber dann hätte ich definitiv bessere Alternativen.

        Cheers

        Roland

  2. Great… I’m not alone!

    Ich habe mir vor einiger Zeit vorgenommen ausgetretene musikalische Pfade zu verlassen und bin als Resultat dieses Vorhabens einmal mehr in Japan gelandet, ein Gebiet in dem ich infolge meines Faibles für die Ventures schon oft unterwegs war, allerdings interessierte ich mich bislang meistens für Instrumental-Sounds oder ich beschäftigte mich mit Vintage-Gitarren “Made in Japan”. Zur Eingrenzung “Japanische Frauenrockbands” (obwohl ich nicht ganz zufrieden bin mit der gewählten Überschrift) griff ich wegen der gigantischen Dimension der Szene, da kann man sich leicht verlieren, deshalb habe ich (für mich persönlich) schon recht bald die Genre-Grenzen aufgehoben: In jeder musikalischen Unterschublade stösst man auf weiteres atemberaubendes Zeug, da sind ideologische Barrieren nur hinderlich.

    Das klassische Tonträgersammeln wie man es vielleicht bislang praktizierte geht im Zusammenhang mit der japanischen Szene definitiv nicht mehr, egal in welche Szene-Abteilung man sich verirrt. Die Bands produzieren selbstverständlich nach wie vor Ton-Aufnahmen (mit heutigem Equipment ist das für jedermann/frau erschwinglich) aber oftmals keine Hardware-Tonträger mehr, stattdessen setzt man auf Video oder Download-Portal, man sollte sich deshalb vielleicht eher Playlists anlegen um seine favorisierten Clips ohne Stress geniessen zu können.

    mellow

  3. Der Mellow auf dem Japan-Trip! Wer hätte das gedacht? Ich jedenfalls garantiert nicht. Bei mir ist Japan spätestens seit den 80ern GANZ GROSS GESCHRIEBEN. Anfangs “nur” wegen der dortigen Noise/Avantgarde-Szene und dann schnell mal auch auf die Freejazzszene rüber. Was gab und gibt es da auch heute noch zu entdecken? Die Noisesachen wurden übrigens damals von John Zorn nach USA und Europa geschleppt, ohne den wären die Japaner im eigenen Land versauert.

    Auf die Rock-/Popschiene bin ich dann erst via Shonen Knife gekommen und ich kauf mir heute noch jede Veröffentlichung (und wenn ich das Zeug in Japan bestellen muss – und das auch mache). Aber schön, dass du auch über die “all female bands” in Japan schreibst. Ein absolutes Minenfeld und ich liebe das Zeug. Vieles verstehen wir halt nicht, die ganze Schulmädchenoptik z.B., aber das scheint in Japan normal zu sein. Ich bekam mal eine Tonne Musikvideos von jemandem aus Japan (ja genau, VHS) und da hatten wir dann einen E-Mailaustausch über die Optik der Konzertmitschnitte und ich hab dann irgendwann angedeutet(!), dass ich nicht in der Gynäkologie arbeite und mir das dann doch nach Stunden etwas auf den Zeiger gegangen wäre (fast die kompletten Gigs immer aufwärts unter die Miniröcke gefilmt). Naja, sie hat sich in Japan scheckig gelacht und gemeint, sie wisse schon was ich meine.

    Bei vielen Bands (nicht nur “all female” Truppen) bin ich mir aber ziemlich sicher, dass die sogar mehr als hier in Europa auf dem Reissbrett entworfen wurden. Bei Shonen Knife habe ich jetzt nicht so den Eindruck, aber Baby Metal? Wobei, ehrlich gesagt, so schlecht tönt das gar nicht. Gefällt mir noch irgendwie, aber hab dann doch nichts davon gekauft. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich aus obiger Liste weniger als ein Drittel kenne, obwohl bei mir diese Bands ganz oben anstehen. Mir ist aber aufgefallen, dass meine Liste (vielleicht in ähnlicher Länge) ganz anderst aussehen würde.

    Vor allem fehlt da Thee 50’s High Teens (lass dich nicht verwirren wegen dem Namen, das ist Rock) und als neuere Combo The Let’s Go’s. Aber das zeigt nur die enorme Masse an Bands die in Japan auf dem Markt sind, wobei die wenigsten jemals in Richtung USA oder Europa sich bemerkbar machen. Viele Bands sind dort drüben aber auch extrem kurzlebig, eine CD (wenn überhaupt), vielleicht ein Jahr Existenz und gut ist.

    Shonen Knife haben übrigens kürzlich wieder ein Studioalbum rausgebracht. Hier ein Link wo fast 700 “all female” Bands aus Japan gelistet sind. Viel Spass (und Geduld) beim Stöbern. https://rateyourmusic.com/list/sandiron/a-list-of-japanese-all-girl-bands/

    Cheerds

    Roland

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