Chuck Berry & Rocking Horse, 29. März 1972, BBC Theatre

BBC 4 ist einer der TV-Kanäle den ich regelmässig ansteuere, die bringen da immer Musik aus ihrem Archiv, jedenfalls an den Wochenenden. Gestern bin ich über Chuck Berry (1926-2017) gestolpert, ein fast eineinhalbstündiger Live-Auftritt von anno 1972 im schon fast intimen Rahmen des BBC Theatre, ein Club-Konzert sozusagen. Der Gig dokumentiert eindrücklich Chucks furioses Comeback in England in dessen Rahmen er im Vormonat seine London Sessions produziert hatte. Als Begleitband wurde dem Maestro Rocking Horse (auf ihrer einzigen LP schrieben sie sich ohne „g“, nur Rockin‘ Horse) zur Seite gestellt, die Band um den Liverpooler Gitarristen und Sänger Jimmy Campbell, siehe auch den entsprechenden Artikel im Rockzirkus-Blog. Die Rolling Stones wären natürlich prädestiniert gewesen für diesen Job, leider waren sie zu der Zeit nicht in Britannien, sie erkundeten damals gerade die Steuerparadiese dieser Welt. Okay, unpassend, Chuck war ja bekanntlich wegen solcher steuerlichen Angelegenheiten hinter schwedische Gardinen gewandert.

Wie dem auch sei, Jimmy Campbell und seine Band hatten wirklich nur Begleitdienst zu verrichten, Star des Abends war ganz klar und unbestritten der alte Rock’n’Roller aus St. Louis. Chuck Berry hatte zwar immer den Ruf ein Ekel zu sein, bei diesem Auftritt aber präsentierte er den vielleicht besten Berry aller Zeiten, den grandiosen Entertainer, den Spassvogel, den Charmeur, den straighten Rock’n’Roller, den einfühlsamen Bluesman. Berry von A bis Z in allen Variationen, von „Roll Over Beethoven“ bis zum Rausschmeisser „Johnny B. Goode“, inklusive Chuck-Duck-Walk und Berry-Grätsche. Mit seinem Gitarrenspiel bewegte er sich nicht immer auf der sauberen Seite (auch der Gitarrensound war bei diesem Gig enorm „schmutzig“, das lag wohl am verwendeten Marshall-Verstärker), aber solche kleinen Unsauberkeiten waren eh schon fast sein Markenzeichen.






Den schillerndsten Moment des Auftritts bestritt Chuck dann ohne die engagierte Begleitband, er alleine und sein Publikum das ihm zu Füssen lag und das er mit seinem Charme um den Finger wickelte. So wie er seinen neuen Hit „My Ding-A-Ling“ hier verkaufte sucht das seinesgleichen, das Weiblein-Männlein-Singspiel mit Chuck als Vorsänger und Dirigent ist wirklich famos. Chuck der Geschichtenerzähler, der Alleinunterhalter als anzüglicher Humorist und Kabarettist in Hochform, eine eher unbekannte Berry-Seite die man bloss erahnen kann wenn man „Ding-A-Ling“ nur hört, die bewegten BBC-Bilder sind da die perfekte Unterstützung für den Song. Überhaupt, „Ding-A-Ling“ sollte man zwingend in der Extended-Versionen konsumieren, diese hier oder diejenige der London Sessions die Chuck einen Monat zuvor am Lanchester Arts Festival in Coventry live aufgezeichnet hatte, die 4minütige Single-Version die in meiner Jukebox steckt ist da schon fast ein Affront. Naja, wenn die Party am Dampfen ist fragt niemand nach der Länge des Tracks, man drückt den Titel einfach nochmals oder dann eben die B-Seite, das 3minütige „Let’s Boogie“.

Ob es bei Chuck Berry immer so ausgelassen, fröhlich und dynamisch abging kann ich nicht beurteilen, aber bei dieser Show gab er vor den Kameras alles und verstärkte damit – zumindest für die Zeit Anfang 70er in England – den Sockel seines Comebacks.

LONG LIVE ROCK’N’ROLL!
mellow

 


Setlist:
1. Roll Over Beethoven
2. School Days
3. Sweet Little Sixteen
4. Memphis Tennessee
5. Too Much Monkey Business
6. South Of The Border (Chuck Solo)
7. Beer Drinking Woman
8. Let It Rock
9. Mean Old World
10. Carol
11. Rock And Roll Music
12. Liverpool Drive
13. Promised Land
14. Reelin‘ And Rockin‘
15. Nadine
16. My Ding-A-Ling  (Chuck Solo)
17. Bye Bye Johnny
18. Bon Soir Cherie
19. Johnny B. Goode

Chuck Berry – Guitar & Vocal
Rocking Horse:
Michael Snoe – Piano
Jimmy Campbell – Guitar
Billy Kinsley – Bass
Dave Harrison – Drums

Bilder: Screenshots

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