Neu! 2

Neu! 2

 

Die drei LPs von Neu! kamen alle auf dem Label Brain raus und die hatten einen sehr guten Vertrieb. Die Platten des Labels und damit auch von Neu! standen in jedem Laden im Regal. Aber natürlich war das die Zeit vor dem Internet und den wechselnden Shitstorms alle fünf Minuten. Das Tempo war entspannter, die Themen vertiefter und nur die wirklich grossen Probleme der Zeit schlugen Wellen. Die Nachrichtenlage betreffend Populärmusik beschränkte sich auf zwei oder drei Publikationen (nicht mal an Undergroundfanzines kam man wirklich ran – woher auch die Kontakte?) und obwohl Neu! wirklich nicht stiefmütterlich in den deutschen Printmedien behandelt wurden, Neuigkeiten waren spärlich gesät. Bei Neu! passierte es mir bei jeder folgenden Veröffentlichung, dass ich erst davon erfuhr, als ich das Produkt im Laden im Regal sah.

 

So erging es mir auch mit Neu! „2“ welche mir damals erst in einem Laden in die Hände kam (mit Laden waren damals wirklich neben Spezialgeschäften auch Warenhausketten in der Lage ein differenzierte Produktepalette anzubieten). Entweder hatte ich es total verschlafen oder in dem von mir konsumierten Musikmagazinen war tatsächlich keine Bemerkung zum neuen Album zu lesen gewesen. Ich habe so eine leise Ahnung, dass ich wusste, wie es mit Neu! weitergehen würde. Und richtig … and now for something completely different (Monty Python). Aber das war o.k. für mich.

 

Der Vergleich zu Kraftwerks ikonischem Cover auf deren Debut und dem Folgealbum zog sich auch hier durch. Der schräg gestellte Schriftzug Neu! überschrieben mit einer grossen 2 auf der Frontseite und das selbe auf der Rückseite ergänzt mit Labelangaben. So weit, so gut. Das aufklappbare Innencover bemühte sich ebenfalls das vorherige Thema weiter zu verfolgen, wenn auch hier die Schrift über Schreibmaschinentype eingebracht wurde. Das leicht (schwer?) Dilettantische ist aber auch hier Programm. Die Schreibmaschinenschrift ist ausgebleicht, dahingeschludert und offensichtlich gewollt primitiv gehalten. Die handschriftlichen „Korrekturen“ sind dann, obwohl irgendwie passend, dann schon fast des Guten zuviel. Die Selbstreferenziererei driftet schon fast in die Parodie ab. Dazu kommen wieder die vorsätzlich schlechten Portraitaufnahmen der beiden Musiker die wie in einem Scrapbook eingeklebt wirken (inklusiv eingedrucktem Klebestreifen).

 

Die Musik selber war, nach dem Debut, nicht wirklich eine Ueberraschung. The same old same, aber im positiven Sinne. Dazu muss man auch wissen, dass Klaus Dinger und Michael Rother ziemlich grosszügig mit ihrem Vorschuss auf diese Platte umgingen und alles aus dem Fenster bliesen und damit doch nur eine Hälfte der LP fertig stellen konnten. Das führte dann dazu, dass von Tracks wie „Neuschnee“ oder „Super“ mehrere Versionen auf dieser Platte auftauchten. Das war im Nachhinein gesehen ein ziemlich genialer Schachzug, und ich möchte hier nicht von Beutelschneiderei gegenüber dem Konsumenten sprechen.

 

Mit Ausnahme von „Für Immer“ (welches mit 11:00 das längste Stück ist auf der LP) kamen alle anderen Tracks viel kürzer daher, das ging dann von 1:00 bis 4:58 und fertig. Obwohl mit der „2“ eine gewisse Fortführung des Debuts anstand, ging der ganze Aufbau, wohl auch wegen den erwähnten „Schwierigkeiten“ in eine leicht abweichende, nun ja, nicht Richtung, aber war bisschen weniger strukturiert. Jedenfalls war dieses Folgealbum ein würdiger Zweitling (viele Bands sind wirklich ausgeschossen nach ihrem Debut) und auf Grund der Geschichte könnte man nicht denken, dass das Album im Kanon von Neu! solch eine Stellung einnimmt.

 

Für Immer

Mit den angesprochenen 11:00 der längste Track setzt wieder mal auf Motorik, aber weicht schon vom Tempo ab und nähert sich dabei etwas an konventionelle Rockmusik an. Gerade Klaus Dinger spielt das Schlagzeug ziemlich in den Vordergrund gemischt und mit der Performance wäre er tatsächlich auch bei einer Rockband gut aufgehoben gewesen. Was ich damals aber noch nicht wusste, die Richtung war damit für eine weitere zukünftige Platte bereits vorgegeben.

 

Spitzenqualität

Ich kenne auf den beiden ersten Alben von Neu! kein wirklich schlechtes oder uninteressantes Stück, aber während ich das hier schreibe läuft gerade „Spitzenqualität“ und ich habe etwas Mühe die passende Schublade zu finden. Sehr experimentell und wohl eher auf der Industrial Schiene als wo anders (nicht vergessen, ich kenn die LP in- und auswendig). Vielleicht nicht das beste Beispiel mit dem Track anzufangen, wenn man sich mal mit Neu! beschäftigen will.

 

Gedenkminute

Repetitive Sounds (abgesehen von erwähnter Motorik) haben ja in einigen Genres eine Daseinsberechtigung. Hier gibt es, nicht zum ersten Mal, wieder Windgeräusche und Glockenschläge. Es ist definitiv kein 08/15 Track, aber ich muss gestehen, ich kenn den Hintergrund dazu auch  nicht. Und ich würde mir die „Gedenkminute“ (die 1:00 dauert) auch nicht zu meinem Lieblings Neu!-Stück auserwählen.

 

Lila Engel

Auch hier wieder, das Schlagzeug ist ziemlich nach vorne abgestimmt und mit der unverständlichen Stimme von Klaus Dinger und dem droneartigen Hintergrund von Michael Rother ergibt das eine ziemlich eigenartige Mischung von Irrenanstalt und „Scheiss drauf, das lassen wir jetzt so stehen“. Schlussendlich ist das wohl der Track der am nächsten an einer konventionelle Rockdarbietung steht. Kann sein, dass das nur durch das Schlagzeug und die völlig irren Vocals suggeriert wird.

 

Neuschnee / Neuschnee 78

Völliger Umstieg. Akustische Gitarre und das Schlagzeug und wieder ein repetitives Motto. Dazu passend im Arsenal der Instrumente gegraben. Wenn man so will, dann ist dieser Track, trotz allen schrägen Vergleichen, so etwas wie ein Ambient Stück. Zurückgenommen, leicht (auch wenn das Schlagzeug hier wieder mal den dicken Max markiert). „Neuschnee 78“ tönt (nach dem Schallplattengekratze am Anfang) wie auf 78 RPM abgespielt (was es wahrscheinlich auch ist). Kann man machen und hat auch seine Berechtigung, aber als Gag oder Statement funktioniert das nur ein Mal.

 

Super 16 / Super 78 / Super

Ich merke gerade, die Platte ist doch eher nicht gedacht für Leute die sonst der leichten Muse frönen. Bei „Super 16“ muss ich bereits in den dunkleren Ecken meiner Industrial- und Avantgarde-Sammlung graben. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das eine verlangsamte Version der „Super“ Einspielung ist. Womit wir dann bei der Highspeed Version „Super 78“ angelangt wären. Entweder man kann damit umgehen oder hört sich Robert Zimmermann an. Ich bevorzuge Ersteres. Aber das ist auch hier wirklich die extremere Ecke. „Super“ gibt’s dann die Vorstellung auf korrektem Tempo (aber was korrektes Tempo ist, das ist dann wieder eine andere Frage, da haben viele Künstler damit experimentiert und tatsächlich nicht, weil man den Konsumenten vergaggeiern will).

 

Cassetto

Verwaschener Sound mit unklarer Instrumentation und Breaks. Ich kann schon ein bisschen verstehen, wieso die Schuhrnaille damals mit der Platte nicht warm wurde. Singer-/Songwriter waren angesagt, dazu Rock aus der Mainstreamszene UK und USA. Gut, der Tritt ans Schienbein war ja jetzt nicht unbedingt nötig gewesen. Inwiefern Cassetto für etwas steht entgeht mir hier total.

 

Hallo Excentrico!

Wahrscheinlich ist die auch wieder ein verlangsamter Track der bereits anderweitig auf der Platte abgehandelt wurde. Praktisch die ganze Seite wurde auf Diät aufgenommen, da man einfach keine Kohle mehr hatte. Dafür ist die Qualität trotzdem erstaunlich und die beiden Protagonisten haben sich wirklich etwas einfallen lassen.

 

Obwohl Neu! „Same“ irgendwo ein Erfolg gewesen sein muss (sonst hätten Neu! nicht eine zweite Chance und einen entsprechenden Vorschuss erhalten), ging die LP ein wenig unter. Das kann auch daran gelegen haben, dass die „Elite“ der „Know-it-alls“ (vulgo deutsche Musikschuhrnalisten) aus ihrer Abneigung gegenüber allem und jedem der aus lokalem Schaffen agierte, keinen Hehl machten. Diese Künstler hatten einfach die Arschkarte gezogen. Neu! waren beileibe nicht die einzigen die dabei unter die Räder kamen. Das ewige Geplärre der Printmedien und die völlig weichen Vergleiche mit britischer oder amerikanischer Populärmusik und wie das Aequivalent aus deutschen Landen nicht konkurrenzfähig sei, das war dann irgendwann nur noch peinlich. Aber die Schuhrnalistenmeute von anno dunnemals hatte sich in meinen Augen gleich mehrfach disqualifiziert (und das auch auch mit Blick auf andere Genres).

 

Aufgenommen wurde die „2“ im Januar und Februar 1973 und Conrad (Conny) Plank war auch wieder an den Reglern. Ich muss jetzt raten, aber ich würde meinen, die Platte hat (trotz dem Witz von „1.000.000 Vorbestellungen“ der 2. Neu LP, auf der Innenseite des Covers vermerkt) die Erwartung von Brain wohl bei weitem nicht erfüllt. Das sollte sich noch zeigen, als es bis 1975 bis zur dritten und finalen LP von Neu! auf Brain kam.

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Ein Kommentar

  1. Du hast leider sehr recht mit deiner Kritik, mich hat das damals auch voll genervt, permanent wollten sich die vermeintlichen Fachleute damit übertrumpfen wie International sie sind. Leider haben sie nicht mitbekommen, das ein paar unbeachtete deutsche Musiker Geschichte geschrieben und die weltweite Musik bis heute massiv beeinflusst haben, nachzulesen auch in der RZ-Serie Deutsche Legenden (weitere Beiträge folgen). Tragisch ist, das bis heute in vielen Magazinen die gleichen Fehler wie damals gemacht werden. Tragisch ist das in Japan die Wertschätzung für UNSERE Musik enorm ist. Dort sind beispielsweise Dinger, Rother, Neumeier, Froese, Schulze, Göttsching, Roedelius, Czukay Weltstars auf einem Level mit den internationalen Stars. Ich bin Stolz mir damals alles besorgt zu haben wovon mich Kollegen und Magazine gewarnt haben. Habe gestern noch Bilder gesehen, wo ich extra nach Hamburg zu GOVI gefahren bin, gehamstert wie ein Sauerkraut-Rocker, der totale Wahnsinn. Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe

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