Neu! `75

Neu! `75

 

Die Faktenlage nach Neu! „2“ war schon arg dünn. Irgendwie schien die Band aus allen Traktanden gefallen zu sein und ich dachte damals, dass es das wahrscheinlich gewesen war. Und das war es auch. Irgendwie. Aber ich war zuerst mal überrascht und glücklich zugleich, dass sich nochmal eine LP in den Plattenregalen meiner Kleinstadt fand. Dass dies der Schwanengesang von Neu! werden sollte, das lag irgendwie in der Luft. Das Konzept Neu! schien sich totgelaufen zu haben. Was sich dann auch wieder nur eingeschränkt als wahr erwies.

 

Das dritte Album kam ohne Nummerierung auf den Markt und das Erscheinungsbild wurde beibehalten, allerdings kam der Schriftzug Neu! jetzt in weiss auf schwarzem Hintergrund daher. Ohne jetzt allzuviel reininterpretieren zu wollen, das war schon 1975 eigenartig. Die Rückseite kam auch wieder mit dem gleichen Motiv, aber ergänzt um Labelinformationen. Die aufgeklappte Innenseite des Covers war eine Variante der Do-it-yourself Technik, die vorher schon praktiziert worden war. Handschrift zur spärlichen Information und vier Bilder die wieder aussahen, als wären sie aus einem Scrapbook kopiert wurden. Das Bild von Klaus Dinger mit den Wehrmachtsoldaten (oder 1. Weltkriegteilnehmer – da kenn ich mich auch nicht aus) sollte wohl provokant wirken und anscheinend konnte man da vor 45 Jahren noch Wellen schlagen mit so etwas. Aber im Nachhinein betrachtet, zeigen sich hier für mich auch bereits die kommenden Probleme, die ein Klaus Dinger hatte. Ich wusste das ja damals nicht, aber heute ist klar, dass Michael Rother so nicht weitermachen konnte (und trotzdem nochmal in die Falle lief – aber dazu in einer weiteren Folge mehr).

 

Für mich war aber die Besetzung eine echte (und ungewollte) Ueberraschung. Aus dem Duo wurde ein Quartett, so dass neben Klaus Dinger (Stimme, Perkussion, Gitarre, Klavier, Orgel) und Michael Rother (Gitarre, Piano, ; Synthorc, Elektronik und Stimme) auch noch ein gewiser Thomas Dinger auftauchte (Schlagzeug – Seite 2 der LP) und Hans Lampe (ebenfalls Schlagzeug – Seite 2 der LP). Man findet zu dem Thema nicht wirklich Informationen, aber ich gestatte mir mal eine Vermutung und zwar, mit Klaus Dinger ging es ziemlich bergab. Was die beiden letzgenannten substanziell zu dem Album beigetragen haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Tatsächlich hätte hier jeder Studioschlagzeuger reingepasst und man hätte die zwei nicht als Teil einer Band ausgeben müssen.

 

Die Rezeption der LP Neu! `75 war damals ziemlich durchwachsen. Ein grosser Wurf war das wirklich nicht und die Ueberhöhung der Kritik, die sich dieses Werks in den letzten paar Jahrzehnten annahm, spricht Bände. Irgendwie bekam das dritte Album einen Heiligenschein aufgesetzt und wurde durchs Band glorifiziert. Von eklektischste Platte von Neu! über genialster Longplayer ever bis zur Definition von Krautrock ging da alles. Drunter gabs nichts. Und das kam alles aus der Briten- und Amerikanerecke, vor allem der letzten 3 Jahrzehnte. Völliger Quatsch, die Wahrheit ist, das Album ist allerhöchstens unterer Durchschnitt und wenn es die LP nicht gäbe, dann würde sie auch nicht als fehlendes Puzzlestück vermisst werden.

 

Für den Komplettisten (wenn man das nach 3 Alben so sagen kann) war das wohl in Ordnung, wobei auch für mich, die LP, wenn auch nicht gerade unterirdisch, dann doch ziemlich gewöhnungsbedürftig war. Und ich meine das nicht positiv besetzt, Innovation, Speerspitze etc. warf man aus dem Fenster raus und produzierte ein Album welches ich mit viel Freundlichkeit gerade mal als „contractual obligation album“ (um mal Monty Python zu zitieren) bezeichnen würde. Ganz für die Katze war es zwar nicht, aber um die Nuggets hier zu finden, da musste man schon mit dem ganz feinen Sieb durchgehen. Mein erster Eindruck war: Primitiv. Lärm. Undifferenziert. Ideenlos. Und ein ganzer Rattenschwanz an negativen Konnotationen. Ich gebe es gerne zu, ich habe das Album bis heute nicht wirklich schätzen gelernt und im Nachhin glaube ich, dass der Split zwischen Michael Rother und Klaus Dinger sich schon bei Neu! „2“ abgezeichnet hat und hier auf die Spitze getrieben wurde. Michael Rother kommt mir hier vor, als wäre er unfreiwillig zum fünften Rad am Wagen geworden und Klaus Dinger hätte das Kommando übernommen (obwohl er wahrscheinlich total überfordert war mit dieser Aufgabe). Die Tracks auf der Platte bewegen sich zwischen 4:42 und 10:50 umnd wurden im Dezember 1974 und Januar 1975 wieder mit Hilfe von Conrad (Conny) Plank auf den Weg gebracht.

 

Isi

Eines der bedeutungslosesten Stücke (für mich) die jemals von Neu! veröffentlicht wurden. Muss irgendwie das Popäquivalent sein. Ein Füller wenn ich denn je einen gehört habe. Ideenlos, schleppt sich über die Distanz (die zum Glück nur 5:00 dauert) und irgendwann ist man froh, hat dieses Trauerspiel ein Ende. Wirklich kein Highlight aus dem Schaffen der Band.

 

Seeland

Ich gebe es gerne zu, mit Ambientmusik habe ich tatsächlich extreme Mühe. Wenn es nur vor sich hinplätschert, dann vermute ich mal, den Künstlern sind die Ideen nicht gekommen. Obwohl ich Neu! gerne zugute halten wollte, dass man  sich hier etwas gedacht hat, leider komme ich nicht drauf. Diese beiden ersten Stücke leiden alle unter dem gleichen Symptom. Abgeschwächte Motorik für das 5 Uhr Teekränzchen. Laaaaaangweilig und redundant!

 

Leb’ Wohl

Die Soundeffekte und der „Gesang“ von Klaus Dinger sind wohl o.k., aber das ist alles zu bemüht, ziemlich verbissen und ohne Lockerheit. Dass konnten Neu! auch schon mal besser. Dazu versinken sie total im Durchschnitt und wenn man hier meint, 8:51 mit Wasserrauschen überbrücken zu können, dann müsste man nochmal über die Bücher gehen. Neu! `75 war tatsächlich ein müder Abklatsch der vorhergegangenen Alben. Das Album war nie ikonisch und wird es nie werden. Irgendwie hat man wirklich eine Idee, dass man den beiden eine Pistole an den Kopf gesetzt und sie gezwungen hat irgendwas aufzunehmen. Egal was, macht einfach.

 

Hero

Ueberraschender Track. Tatsächlich ein Stück, das sehr gut zu Neu! passt (positiv gesprochen). Für die Verhältnisse der Band ist das ein ziemlicher Rocker und mal abgesehen von der natürlich vorhandenen Motorik untypisch. Auch der „Gesang“ von Klaus Dinger passt hier. Damals dachte ich, dass das hier einer der Füller auf der Platte sei (obwohl ich den schon immer geschätzt habe), aber vom Füllerstatus bin ich schon lange abgekommen. Allerdings darf man auf Grund von „Hero“ nicht auf die ganze Platte schliessen, da kommt sonst nichts auch nur annähernd Spannenderes hinzu.

 

E-Musik

Ich würde „E-Musik“ wirklich gerne als grossen Wurf bezeichnen, aber der Track reiht sich ein in viele durchschnittliche Beiträge auf diesem Album. Die Luft war definitiv draussen und so tönt es leider auch. Komm, lass uns das noch machen und dann Tschüss, machs gut in deinem weiteren Leben. Es ist nicht so, als würde einem das repetitive Muster hier auf den Zeiger gehen, es ist mehr die völlige Einfallslosigkeit. Auch hier einfach hingeklatscht und ernsthaft als Beitrag verkauft.

 

After Eight

Irgendwie „Hero“ revisited. Will sagen, auch hier eine Art Rocker vor dem Herrn und der zweitbeste Beitrag auf dieser LP. Bei Meat Loaf warens wenigstens noch „Two Out Of Three Ain’t Bad“, bei Neu! war das eher „Two Out Of Six Ain’t Bad“, was wohl eher auf der schwächeren Seite zu nennen ist. Allerdings ist „After Eight“ schon ein versöhnlicher Abschluss einer durchwachsenen Platte.

 

Keine Ahnung warum, aber mit Neu! `75 wusste ich, nun ist Schluss bei der Band. Ausstempeln und Feierabend. So wars dann auch und das Kapitel war geschlossen!? Nun, nicht ganz, auch wenn es nie wirklich eine Reunion gab, das Thema schleppte sich weiter (wenn auch meistens unter unguten Zeichen). Mit den ersten zwei LPs hatten Neu! mit ihrer Art Musik den Beitrag aus deutschen Landen an die Populärmusik des 20. Jahrhunderts defininiert. Sie waren natürlich nicht die einzigen, aber viele andere Bands ware nur die Beilage, während Gruppen wie Neu! tatsächlich innovativ waren. Heute noch stehen bei mir Bands wie Kraftwerk oder eben Neu! (und ähnliche) leicht ausserhalb des Krautrockbegriffs.

 

Eine Aera ging zu Ende und doch hatten wir alle noch nicht das letzte von Neu! gehört. Aber, in aller Fairness, die nachfolgenden Unternehmungen, Verwirrungen und Fremdschämspielchen war eine auslaufende Zeitschleife und im Nachhinein muss ich mich wundern, dass gewisse Protagonisten die ganze Chose so lange am köcheln halten konnten. Aber dazu mehr im vierten Teil der Neu!-Saga.

 

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