Boulevard

Eine Band aus der Kategorie:
Noch nie gehört / lange her und längst vergessen / auch die 2. Liga macht Spass 

Kürzlich fiel mir in einem Brockenhaus die Single „Miss Belinda / Would You Believe“ (1972) von einer Band namens Boulevard in die Hände. Die schlichte Aufmachung des Covers und das Label PYE liessen mich natürlich gleich hellhörig werden. Die englische Plattenfirma PYE hatte hunderte von Künstlern unter Vertrag, die Kinks, Sandie Shaw, Mungo Jerry oder Status Quo als ziemlich bekannte Vertreter der Geschäftsinteressen, daneben gab es bei PYE aber auch unzählige Artisten die oftmals nur ein paar wenige Singles veröffentlichten, Boulevard kann man problemlos in diese Abteilung einordnen. Zur Band selber konnte ich keine Infos auftreiben, aber die Namen der beteiligten Songwriter, respektive des Produzenten lassen ein paar wenige Schlüsse zu.

„Miss Belinda“ stammte aus der Feder von David „Des“ Parton, ein Musiker und Songschreiber der mehrere Titel für die britische Soulband Sweet Sensation schrieb (“Sad Sweet Dreamer” machte 1974 Platz 1 in den UK-Charts) und der 1975 unter eigenem Namen mit dem Album Snaps eine LP im Bereich Pop/Rock veröffentlichte bei der John Richardson (Drums, Rubettes) und Bassist Mo Foster (ehemals Affinity) beteiligt waren.

„Would You Believe“ stammte von einem gewissen Gerry Morris – ein weiterer unbekannter Songlieferant – der 1973 das Softrockalbum Only The Beginning veröffentlichte, auch bei ihm stösst man auf den Namen John Richardson. Ich vermute Parton und Morris arbeiteten aufgrund der personellen Überschneidungen im selben Umfeld, das heisst im gleichen Studio und vermutlich stellte PYE auch beiden die Lohnchecks aus.

Ob sie bei Boulevard als Sänger oder Musiker involviert waren lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, der einzige optische Hinweis auf die Band findet man auf dem Cover einer spanischen Single: Ob die dort abgedruckten drei hippiesken Gestalten wirklich die Band Boulevard waren möchte ich allerdings bezweifeln. Anhand ihrer Biografien gehörten Parton/Morris eher nicht zu Boulevard, ich vermute es war vielleicht nur ein Studioprojekt oder ein Versuchsballon um Songs zu testen. Produziert wurden die Aufnahmen von Tony Atkins, ebenfalls ein Name der oft in der zweiten Reihe auftaucht, trotzdem hat er eine beeindruckend lange Liste von Klienten vorzuweisen, unter anderem betreute er 1978 die Solo-LP der ehemaligen Rattles-Sängerin Edna Bejarano.

Ach ja, die musikalische Beschreibung der beiden Titel ging doch beinahe vergessen:
„Miss Belinda“ ist typischer, handwerklich perfekt ausgeführter früher Siebziger-Pop, luftig, locker und mit leichten Folkanleihen à la Lindisfarne die damals eine regelrechte Welle losgetreten hatten mit ihren Mitsingsongs, andererseits auch gar nicht mal so weit weg von den Tremeloes oder vom Nederpop der damals Europa überschwemmte. Die B-Seite „Would You Believe“ streift Rock’n’Roll-Gelände: Die Interpretation des alten Genres erlebte in den 70ern immer wieder mal Revivals, deshalb würde mich nicht wundern, wenn auch hier besagter John Richardson hinter dem Schlagzeug gesessen hätte.

Es ist schon recht spannend welche Informationen man mit ein wenig Recherchearbeit hinter einem solch unscheinbaren Plättchen entdecken kann. Auch wenn die Lage anfangs vielleicht aussichtslos erscheinen mag, man erreicht nur schon einen ordentlichen Wissensstand wenn man den Seitenrändern nachspürt, die gefundenen Fakten analysiert, interpretiert und zusammen kombiniert.

LONG LIVE POP MUSIC!
mellow

 

Diskografie (Singles) von Boulevard:
Miss Belinda / Would You Believe (1972)
Oh Caroline / Baby Baby (1973)
Down Down Down / Time To Love You (1973, evtl. nur Promo-Pressung)

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