Falls einer wie Woody Allen jemals die Geschichte eines Musikers verfilmen wollte, dann sollte er sich vielleicht mal dem Schotten Gerry Rafferty beschäftigen, denn der hat einen dermassen irren Lebenslauf vorzuweisen wie ihn sich nicht einmal ein Drehbuchschreiber ausdenken könnte. Musikalisches Genie traf bei Rafferty auf den realen Wahnsinn des Lebens, irrwitzig, abstrakt und in seinem Fall ohne Happy End, stattdessen mit tödlichem Ausgang, obwohl, so endet eigentlich jegliches Leben, mit hundertprozentiger Sicherheit, es kommt aber immer ein wenig auf die Umstände an.
Der 1947 in Renfrewshire (Schottland) in ärmliche Verhältnisse hinein geborene Gerald “Gerry” Rafferty litt als Kind unter den Gewaltexzessen seines Vaters, einem dem Alkohol verfallenen Bergarbeiter, nach dessen Tod schmiss er 1963 die Schule und jobbte in einer Metzgerei. Wie viele seiner jugendlichen Zeitgenossen begeisterte sich Rafferty für diese neue, populäre Beatmusik, er lernte Gitarre spielen und gründete mit seinem Schulfreund Joe Egan die Combo The Mavericks.
Nachdem er sich unter anderem auch als Strassenmusiker versucht hatte, schloss sich Rafferty 1969 der Glasgower Folkrockband The Humblebums ein, dem Bandgründer Billy Connolly waren gerade seine Musiker abhandengekommen. Zum Duo geschrumpft veröffentlichten die beiden Musiker beim Label Transatlantic die LP The New Humblebums auf der Rafferty bereits prägende Visitenkarten wie “Look Over The Hill & Far Away” oder “Please Sing A Song For Us” auf den Tisch legte. Bemerkenswert ist auch das Plattencover mit den beiden gezeichneten Protagonisten, der Maler John Byrne wurde danach zu so etwas wie dem persönlichen Tonträger-Verpackungskünstler für Gerry Rafferty, 1971 gestaltete er im gleichen Stil auch das Coverartwork der Kinderliederplatte HMS Donovan von Donovan Leitch.
1970 folgte mit Open Up The Door das finale Album der Humblebums, “Shoeshine Boy” machte hier klar in welche Richtung Gerry Rafferty sich bewegte, weg vom Folk und näher heran an das nicht so genau definierte Genre Powerpop. Billy Connolly konzentrierte sich nach der Trennung der Humblebums auf seine Karriere als singender Comedian (mit “D.I.V.O.R.C.E.” belegte er 1975 Platz 1 in den britischen Charts) ehe er als Schauspieler im Filmgeschäft durchstartete (Still Crazy / What We Did On Our Holiday / Hobbit: The Battle Of The Five Armies als Dáin II Ironfoot).
Beim Label Transatlantic glaubte man nach wie vor an das Potential des talentierten Songwriters Rafferty und spendierte ihm eine Solo-LP, eine Gelegenheit die er natürlich nicht verstreichen liess, zur Verstärkung holte er seinen alten Weggefährten Joe Egan mit ins Boot. Can I Have My Money Back? (1971) ging zwar unter in der Flut der Transatlantic-Veröffentlichungen, trotzdem ist es ein wunderschönes Statement punkto Good-Time-Folk und Kneipenrock der frühen 1970er, wer also Brinsley Schwarz oder ähnlich gelagerte Truppen mag, bekommt hier einen Rundum-Wohlfühl-Service mit Mitsingsongs und Zufriedenheits-Garantie geboten.
Aus dem ersten Solo-Projekt von Gerry Rafferty entstand in direkter Folge die Band Stealers Wheel. Neben Rafferty und Sänger/Keyboarder Egan gehörten Drummer Rod Coombes (Juicy Lucy, Paul Brett’s Sage, Strawbs), Bassist Tony Williams und Leadgitarrist Paul Pilnick zur neuen Band. Bei der Record Company A&M erschien 1972 die schlicht Stealers Wheel betitelte erste LP, ein bunter Mix aus melodiösen Folk- und Pop-Zutaten, die Musikpresse zog damals Vergleiche zu Crosby, Stills & Nash. Die ersten zwei aus dem Album ausgekoppelten Singles verhallten ohne Resonanz, Gerry Rafferty verlor als Folge davon die Geduld und verschwand. Bei Stealers Wheel begann sich darauf das Besetzungskarussell zu drehen, als Ersatz für Rafferty griff nun Luther Grosvenor (Spooky Tooth, später unter dem Pseudonym Ariel Bender bei Mott The Hoople) in die Saiten, in diese Zeit fiel auch ein Auftritt in der BBC-Musikshow Old Grey Whistle Test.
Nun, es herrschten offenbar chaotische Zustände in den Reihen der Band, als plötzlich und beidseits des Atlantiks aus heiterem Himmel die Single “Stuck In The Middle With You” in die Charts einschlug. No. 8 in England, in USA auf No. 6 und selbst in Deutschland stieg der Gassenhauer auf Platz 29. Für einen hastig produzierten Promotion-Film mimte Egan vor der Kamera den Leadsänger zur Stimme von Rafferty. Das Management von Stealers Wheel schaffte es dann doch noch den introvertierten Gerry Rafferty zur Rückkehr zu bewegen, das Geschäft das mit “Stuck In The Middle With You” in Gang kam war halt ganz einfach zu lukrativ um es versiegen zu lassen. Auf dem nachfolgenden meisterhaften, von Leiber & Stoller produzierten Album Ferguslie Park (1973) schrumpften Stealers Wheel zum Duo Rafferty/Egan, von der ursprünglichen Band war bis auf die beiden Gründer niemand mehr mit an Bord. An der Grossartigkeit der Songs änderte das nichts, die sind genau der perfekte Soundtrack den man sich wünscht während man am Tresen im Pub wartet bis das nächste Pint gezapft ist, Folkrock, Pop und Americana, geschüttelt nicht gerührt.
Für den finalen Longplayer Right Or Wrong liessen sich Rafferty/Egan satte zwei Jahre Zeit. Als das Album 1975 endlich erschien, war der Name Stealers Wheel allerdings schon fast vergessen, die an und für sich hervorragende Scheibe ging auf dem Markt ohne Wellen zu schlagen unter. Die beiden Bandleader zerstritten sich (sie kommunizierten die folgenden Jahre nur noch über Anwälte miteinander) und Stealers Wheel landete auf dem Schrottplatz der Musikgeschichte. Joe Egan (sozusagen Rafferty’s musikalischer Zwillingsbruder) versuchte sich als Solokünstler zu etablieren, mangels Erfolg (trotz hervorragernder LP’s) gab er dieses Unterfangen Anfang der 1980er aber wieder auf.
Gerry Rafferty hingegen hatte noch ausreichend Pfeile im Köcher um bei United Artists ein weiteres Soloalbum anzugehen, er überlebte die Punkjahre ‘76/‘77 und schoss mit dem aus dem Album City To City ausgekoppelten “Baker Street” Anfang 1978 einen Hit ins Zentrum der Charts, weltweit übrigens, die verkürzte 7-Inch-Version alleine sollte Rafferty über die Jahre 80‘000 £ an Autorentantiemen in die Kasse spülen. Der Song mit der markanten Saxophonmelodie (gespielt von Raphael Ravenscroft, er erhielt für die Sessionarbeit einen ungedeckten Check über 27 £, Künstlerpech könnte man das nennen) katapultierte Rafferty ins Rampenlicht, eine Rolle in der sich der introvertierte Musiker allerdings nie wohl fühlte, er versteckte sich stattdessen je länger je mehr hinter getönten Brillengläsern und drängte sich auch bei seinen Begleitbands nicht freiwillig in den Vordergrund.
Winding your way down on Baker Street
Lite in your head, and dead on your feet
Well another crazy day, you drink the night away
And forget about everything…
(Gerry Rafferty in “Baker Street“)
Die Single “Right Down The Line” wurde im Sog von “Baker Street” ebenfalls zum Grosserfolg, genauso wie die gesamte Rafferty-Reifeprüfung City To City die mit den Elementen Folk, Softrock und Powerpop spielte, eine Mischung die trotz Punk und New Wave auch 1978 noch aufsteigende Tendenz aufzuweisen hatte, gleichzeitig setzten damals ähnlich gelagerte laidback orientierte Folkies/Liedermacher wie Al Stewart, Mike Batt, Chris de Burgh oder Chris Rea zu Höhenflügen an. Auf City To City liest sich die Liste der involvierten Musiker wie ein Who’s Who der britischen Rockmusik, im Studio kamen unter anderem Andy Fairweather-Low (Gitarre), Jerry Donahue (Gitarre), Micky Moody (Gitarre), Glen Le Fleur (Percussion), Paul Jones (Harmonica), Tommy Eyre (Keyboards), Henry Spinetti (Drums) und der erwähnte Raphael Ravenscroft zum Einsatz.
Die LP City To City blieb der Leuchtturm an dem alle nachfolgenden Rafferty-Tonträger gemessen wurden, die ausgezeichneten LP’s Night Owl (1979) und Snake And Ladders (1980) konnten den Grosserfolg nicht wiederholen, vermutlich auch weil Rafferty nicht mehr live auftreten wollte und die Bühnen mied wie der Teufel das Weihwasser. Nach Sleepwalking (1982) und einem Beitrag zum Soundtrack des Films Local Hero (“The Way It Always Starts”, 1983) verschwand Gerry Rafferty für längere Zeit aus der Öffentlichkeit. Er veröffentlichte erst ab 1988 wieder Tonträger, an der CD On A Wing & A Prayer (1992) war beispielsweise Joe Egan beteiligt und auf Another World (2003) prangte wieder einmal ein Bild von John Byrne.
Im biografischen Bereich beschritt Rafferty kompromisslos den Weg seiner fiktiven Figur in “Baker Street” und hangelte sich von Schnapsglas zu Schnapsglas, Ehefrau Carla Ventilla Rafferty hielt das irgendwann nicht mehr aus, die Eheleute wurden 1990 geschieden, allerdings blieben sie befreundet. Auch die gemeinsame Tochter Martha kümmerte sich weiterhin um ihren Vater, zumindest versuchte sie es, was aber nicht einfach war, da Gerry Rafferty nonstop in der Welt herumreiste, er lebte in Schottland, England, Italien, Barbados und auch in Kalifornien war er zeitweise beheimatet. Sein Alkoholproblem bekam er nie in den Griff, auf Entziehungskuren folgte kurz nach Verlassen der Kliniken normalerweise sofort der Rückfall in alte Gewohnheiten. 2008 wurde er zum Thema der britischen Boulevardpresse als er spurlos aus einer Londoner Klinik verschwand, die Sensationsmedien überboten sich danach mit Spekulationen, es wurde gemunkelt er sei entführt worden. Stattdessen hatte er sich in die Toskana abgesetzt wo er ein Anwesen besass und sich oft verbarrikadierte wenn die Welt um ihn herum einzustürzen drohte.
Gerry Rafferty starb am 4. Januar 2011 an Leberversagen (respektive an multiplem Organversagen) zuhause bei seiner Tochter in Stroud, Gloucestershire wohin er sich nach einem letzten Spitalaufenthalt im November 2010 zurückgezogen hatte.
Der musikalische Nachlass von Gerry Rafferty ist äusserst umfangreich und reicht weit über den Monsterhit “Baker Street” hinaus. Die Zeit mit den Humblebums, Stealers Wheel und die Solo-Jahre bis 1980 sind detailliert dokumentiert. Das Schaffen der späteren Jahre ist relativ schwierig zu erforschen da mittlerweile viele dieser Tonträger vergriffen sind. Wer zufällig über Rafferty’s letzte CD Life Goes On (2009) stolpert sollte zugreifen, sie enthält mit “Kyrie Eleison” (Mozart) und “Adeste Fideles” (“Oh Come All Ye Faithful”, Traditional) besinnliche Aufnahmen die darauf hinweisen, dass sich der Meister zuletzt mit (kirchlicher) Klassik beschäftigte.
LONG LIVE SCOTTISH
FOLKROCK AND POP MUSIC!
mellow
Hm, das macht doch wieder bissl neugierig. Ich mochte seine Hits, war aber von seinen LPs ähnlich enttäuscht, wie von Al Stewarts. Schnell langweilend.
Die Bakerstreet-LP und die Nightowl hatte ich seinerzeit aufgenommen. Aber bald wieder gelöscht.
“Home and dry” und “Bakerstreet”, 2 Songs, mehr brauchte ich von ihm dann doch nicht.
Auch wieder so ein Kandidat für die Serie Tragische Rocker, Organversagen erinnert mich stark an Rory Gallagher und ein paar andere irische und schottische Schluckspechte. Ich habe ebenfalls die üblichen Alben von Stealers Wheel und Gerry Rafferty. Auch eine schöne Transatlantic-Kompilation der frühen Jahre mit The Humblebums. Er spielte fast sein ganzes Leben mit Kumpel Joe Egan zusammen, zuerst Mitte der 60iger bei den The Mavericks und The Fifth Column (1966: Single). Alle Solo-Alben von Gerry sind ja ein Schaulaufen der UK-Rock-Szene. Die beiden letzten Werke erschienen bei Hypertension Records, beide waren ungewöhnlich (und empfehlenswert), bei Another World (2000) setzten zu den bereits genannten Kollegen auch Pino Palladino und Mark Knopfler ihre Instrumente für die lichtscheue Gestalt Gerry ein. Schöner Beitrag !! Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe