Joe Tex

Der Musiker Cat Stevens opferte bei seinem Übertritt zum Islam den Künstlernamen und torpedierte damit zugleich seine musikalischen Höhenflüge, der Grossteil seines Publikums hatte keine Lust auf religiöse Anwandlungen und liess den Singer und Songwriter fallen. Hätte er es wie der Texaner Joe Tex gemacht der 1966 nach dem Religionswechsel seinen Künstlernamen beibehielt, dann wäre vermutlich weiteren Erfolgen nichts im Weg gestanden, bei Cat (respektive Yusuf Islam) hingegen verursachte der Religionswechsel einen tiefen (vermutlich gewollten) Bruch mit der Vergangenheit.

Als anno ‘66 Joe Tex seinen Geburtsnamen Joseph Arrington Jr. gegen Yusuf Hazziez tauschte geschah nichts weiter, er hängte es nicht an die grosse Glocke und daher hatte es auch keinen Einfluss auf die Erfolgskurve seiner Karriere. Der begnadete Geschichtenerzähler und Songwriter aus Rogers, Texas lief allmählich zur Hochform auf nachdem er 1965 mit seinen Songs «Hold On What You’ve Got» und «A Sweet Woman Like You» Platz 1 der US-R&B-Charts erobert hatte. Einzig dem Zeitgeist passte er sich allmählich an, aus dem klassischen Doo-Wop- und R&B-Sänger früherer Jahre wurde Mitte Sechziger ein «Soul Man» und kurz darauf ein «Funky Man» der sich mit James Brown um den Titel «Soul Brother No. 1» stritt (James wollte mal seinen Rivalen erschiessen, das Vorhaben blieb allerdings beim Versuch). Joe Tex’ Songs wurden allmählich härter und die Stimme bekam immer mehr Ähnlichkeit mit der Oberflächenstruktur von Schleifpapier. Die Thematik seiner Songs blieb aber unangetastet, bei Joe Tex drehte sich vieles um den Männlein/Weiblein-Angelpunkt (wie bei Mr.  Brown und dessen „Sex Machine“), oft mit eigenwilliger Darstellung der geschilderten Situationen. Für gläubige Menschen, respektive aus religiöser Warte betrachtet wären streng genommen solche Geschichten eigentlich tabu gewesen. Vermutlich aber eine Interpretationsfrage, Blues und R&B spielten oft mit Zweideutigkeiten. Vertreter des Gospels, die Staple Singers oder die Rance Allen Group beispielsweise wurden ab Mitte Sixties durch Krieg und Politik auch immer weltlicher, es wurde heftig an die Kirchentüren geklopft um die alten Institutionen aus ihrem Dornröschenschlaf wachzurütteln damit auch sie gegen Krieg und soziale und rassistisch bedingte Ungerechtigkeiten zum Protest aufriefen.

Joe Tex liess die Politik aussen vor, er gab einerseits den Shouter der mit seiner dynamischen Performance sein Publikum den Finger wickelte, andererseits aber auch den charmanten Crooner der sich in die Herzen der Damen sang, immer publikumsnah, nie abgehoben, Tex-Texte erzählten eigentlich immer Geschichten der einfachen Leute die ihn deshalb auch ins Herz geschlossen hatten, er vermittelte ihnen das Gefühl einer von ihnen zu sein. Und immer wieder erwähnte er seine Freunde in den Geschichten, Ray Charles, B.B. King, Bobby Womack, selbst der nachtragende James Brown wurde manchmal erwähnt, er selber tauchte immer wieder mal als Mr. Joe oder einfach als Tex auf.


Im Studio hielten sich die durchdachten Tex-Preziosen meist ans übliche drei-Minuten-Format das sich problemlos auch auf Singles vermarkten liess, live wurden daraus oft XXL-Versionen («I’ll Never Fall In Love Again» erstreckte sich über 11 Minuten) und die wechselnden Musiker seiner Begleitband Joe Tex Show verfielen in ähnlich hypnotische Funk-Grooves wie das bei James B. üblich war während Joe mit seiner akrobatischen Mikroständerjonglierkunst, wilden Tanzeinlagen und seiner Reibeisenstimme das Bühnenzentrum beherrschte und das Publikum in seinen Bann zog. Neben dem Moonwalk den er sich beim Konkurrenten James Brown ausgeliehen hatte (richtig vermutet, Michael Jackson ist definitiv nicht der Erfinder dieser Tanzeinlage) gehörte auch, dass er anwesende Damen aus dem Publikum pflückte um mit ihnen auf der Bühne abzutanzen.

Joe Tex war vermutlich einer der ersten Rapper, zumindest vermittelt das der 72er-Albumtitel From The Roots Came The Rapper. Die Bezeichnung ist defintiv nicht aus der Luft gegriffen, der Wortakrobat Joe Tex schuf mit seinem Hit «I Gotcha» (1972) für die spätere Rap-Szene eine Steilvorlage.

Der musikalische Nachlass von Joe Tex wurde verschiedentlich aufgearbeitet, leider auch in unterschiedlicher Qualität. Viele Sampler sind nur mit Material von 1955 bis 1965 bestückt und decken die Zeit ab in der Tex nur Singles veröffentlichte. Die Phase die ich am spannendsten erachte (späte Sixties / frühe Seventies) lässt sich nicht so ganz einfach erforschen da die meisten der originalen Atlantic-Alben aus dieser Zeit nicht wiederveröffentlicht wurden, das gilt auch für die Dial-Platten ab 1972 (Dial war ein Sublabel vom Mercury). Einen guten Überblick bieten aber Sampler aus dem Hause Cherry Red, Singles A’s & B’s 1969-1972 und Singles A’s & B’s 1972-1976, From The Roots… Joe Tex… Came The Rapper (2002, CD, Kent Soul) oder die etwas ältere Compilation You’re Right Joe Tex (1995, CD, Kent Soul) auf der sich mein absoluter Tex-Lieblingstrack findet: «The Same Things It Took To Get Me», ein Duett mit der Sängerin Mable John (eine Schwester des R&B-Sängers Little Willie John, sie gehörte zu Ray Charles‘ Vokalensemble The Raeletts). Was für ein Höllenritt, die beiden Sänger in der Rolle eines Paars das vermutlich am Ende der gemeinsamen Beziehung angekommen war. Da wurden sämtliche Tücher zerschnitten, die beiden deckten einander mit einer gegenseitigen Tirade an Vorwürfen ein, sie fetzten sich vor dem Mikro dermassen realistisch, dass Joe Tex vermutlich deshalb von einer Veröffentlichung absah, der Song verschwand im Archiv und erschien erstmals auf Tex-Samplern Ende der 1980er. In der Summe ganz grosses Ohrenkino wie man es nur selten zu hören bekommt, ein schauerlicher Blick hinter die soziale Tapete, Southern Gothic pur!


Es lohnt sich ebenfalls nach den Perlen «Skinny Legs», «King Taddeus», «A Mother’s Prayer», «Papa’s Dream» und dem elektrisierenden Killersong «You’re Right Ray Charles» zu forschen oder man macht sich auf die Suche nach dem bezaubernden Tex-Lachen das in allen möglichen Variationen (und sämtlichen Nuancierungen von witzig bis oberfies und hinterhältig) immer wieder in seinen Songs auftaucht. Joe Tex produzierte oft in grossen Studios, so auch im legendären American Sound Studio von Chips Moman in Memphis, aber auch in Nashville war Joe regelmässig zu Gast, die Sessions für die LP Joe Tex Spills The Beans (1972) fanden im The Sound Shop statt, dort produzierten Grand Funk beispielsweise ihr Phoenix-Album.

Der Vater von sechs Kindern begann sich ab 1972 aus dem Business zurückzuziehen und widmete sich vermehrt dem Studium des Islams. Die Auskopplung «Ain’t Gonna Bump No More» aus dem 77er-Comeback-Album Bumps & Bruises bescherte Tex nochmals einen massiven Hit (No. 7 in USA, No. 2 in Australien und England), danach verschwand er wieder mehr oder weniger aus der Musikszene, offenbar kämpfte er in seinen letzten Jahren mit Suchtproblemen. Manchmal tat er sich noch im Soul Clan mit seinen alten Freunden Solomon Burke, Arthur Conley, Don Covay, Ben E. King und Wilson Pickett für ausgewählte Konzerte zusammen, die Kollaboration der alten Freunde hinterliess keine neuen Aufnahmen, die einzige gemeinsam LP The Soul Clan – Soul Meeting wurde 1969 veröffentlicht.

Anfang August 1982 wurde Joe bei sich zuhause in Navasota, Texas am Grund seines Swimming Pools gefunden, er konnte wiederbelebt werden, hatte vermeintlich nochmals Glück gehabt. Nach der Entlassung aus der Klinik starb Joe Tex am 13. August (fünf Tage nach seinem 47. Geburtstag) an einem Herzinfarkt. An seinem Begräbnis versammelte sich auch der Soul Clan zum letzten Geleit.

Wer mal eine Auszeit von James Brown braucht, dem würde ich neben dem Spätwerk von Little Richard unbedingt auch die Brachialstimme von Joe Tex ans Herz legen, hier gibt es massenhaft faszinierende Tex-Originale aus den Sparten Soul, R&B, Country-Soul, Blues und Funk zu entdecken. Ein abschliessender Gefahrenhinweis: Wenn man sich erst einmal im Netz von Joe Tex verfangen hat, dann gibt es fast kein Entkommen mehr…

LOVE ROCK’N’SOUL MUSIC!
mellow

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