Chairmen Of The Board – Skin I’m In (1974)

Auf die Record Company Invictus, eine Gründung der Motown-Abtrünnigen Songschreiber und Produzenten Brian Holland, Lamont Dozier und Eddie Holland wurde hier im Blog schon mehrfach hingewiesen, ich tu‘ es ein weiteres Mal, diesmal entreisse ich die aus Detroit stammenden Chairmen Of The Board, respektive ihre überwältigende LP Skin I’m In (1974) dem Dunkel der Musikgeschichte.

Chairmen Of The Board waren eines der unumstrittenen Aushängeschilder, die Temptations des 1969 neu gegründeten Labels sozusagen. Die Kostproben ihres Schaffens die man auf der von Remo4 vorgestellten Box Holland Dozier Holland – The Complete 45s Collection – Invictus, Hot Wax, Music Merchant 1969-1977 findet sind allerdings nichts weiter als Appetizer, die Truppe um die Sänger und Komponisten General Johnson, Danny Woods und Harrison Kennedy hat weitaus mehr zu bieten als Soulsongs im damals üblichen 3-Minuten-Format, hier würde ich unbedingt empfehlen sich die kompletten Alben der Band sowie die Soloplatten der einzelnen Musiker zu organisieren.

The Skin I’m In war das finale COTB-Album für Invictus, ein feuriges Bindeglied das die Sparten Rock, Funk und Soul miteinander fusionierte, mindestens so wichtig in der Geschichte der schwarzen Rockmusik wie Black Rock (1971) von den Bar-Kays. The Skin I’m In ist ein gewaltiges Werk, Hauptsongwriter General Johnson und seine zwei ebenbürtigen Begleiter zogen hier sämtliche Register, auch wenn der General nachträglich abschätzig meinte, die Platte sei bloss eine Verwertung von liegen gebliebenem Archivmaterial gewesen.

Wie bitte?

Ich vermute Norman „General“ Johnson war ganz einfach frustriert weil bei Invictus der lukrative Ofen ausging. Auf mich wirken die Songs als seien sie ein und derselben Gussform entsprungen, brandheiss, lebendig und euphorisch auf den Punkt gedonnert von der Studioband die sich vermutlich aus Mitgliedern von Parliament / Funkadelic zusammensetzte. Leider wurde das damals nicht detailliert dokumentiert, vielleicht standen da und dort auch Musiker von The Politicians (das Studioensemble des Invictus-Produzenten McKinley Jackson) im Einsatz.


Single-Cover (links):
Oben: Harrison Kennedy

Mitte: Danny Woods
Unten: General Johnson 

Beim französischen Single-Cover (rechts) wurde aus den Chairmen ein Chairman.

Während sich damals angesagte Stadionacts wie Grand Funk Railroad oder ihr britisches Pendant Humble Pie mit ihren eigenen Visionen des Rocks zu dieser Zeit immer stärker der schwarzen Musik annäherten, gingen die Vorstandsmitglieder (Chairmen Of The Board) den entgegengesetzten Weg, ihr Konglomerat aus Soul und Funk erhielt einen weissen Rockanstrich, nicht nur wegen dem Einsatz eines Mellotrons das in manchen Passagen seine klagenden Wehlaute hinterliess („Morning Glory“ ist geschickt mit dem zweiteiligen „Life And Death In G & A“ und „White Rose“ verstrickt, in diesem Sinn und in dieser Präsentation ist das klassischer Progressive Rock) und an europäische Artrockbands der Dekade erinnert, sondern auch wegen dem Fuzz-Bass, der eingesetzten Moog-Sounds und der bretterharten Grooves wie bei „Everybody Party All Night“ das mit dem gewählten Drum-Härtegrad mehr an Deep Purple erinnerte denn an eine amerikanische Soulband. Trotz der brachialen Power gingen die Melodien nicht verloren, die drei Leadsänger setzten sich hier ein Denkmal, vor allem mit „Finders Keepers“ das nun wirklich ein unzerstörbarer Funk-Rock-Ohrwurm ist. Bei den Songs von Skin I’m In standen nicht solistische Höhenflüge der involvierten Musiker im Mittelpunkt sondern die Gruppendynamik und die Stimmungen, aber das ist ja eigentlich der Standard bei The Chairmen Of The Board, die perfekte Zusammenarbeit im Kollektiv.


(Chairmen Of The Board mit “Finders Keepers” bei Soul Train)

Skin I’m In mit dem berührenden Kinderbild der Fotografin Mirella Ricciardi war aus kommerzieller Warte betrachtet kein grosser Erfolg. Die Labelbosse hatten den Vertrieb ihrer Produkte (Hot Wax / Invictus / Music Merchant) nicht in den Griff bekommen, ausserdem hatten sich die Holland-Brüder mittlerweile von Lamont Dozier getrennt, sich wieder Motown angenähert und den Betrieb der Labels Invictus und Hot Wax so gut wie eingestellt. The Chairmen Of The Board gingen nach Skin I’m In eigene Wege, Veröffentlichungen mit diesem Namen bei einer anderen Plattenfirma waren nicht möglich da Brian und Eddie Holland die Namensrechte besassen. Als General Johnson & The Chairmen (mit Danny Woods und Ken Knox) feierte die Formation Auferstehung, die ab 1980 bei Surfside Records erschienenen LP’s und CD‘s kamen allerdings nie über Independent-Status hinaus.

Wer von Skin I’m In gleichermassen wie ich elektrifiziert wird, der muss sich selbstverständlich auch die weiteren Tonträger von Chairmen Of The Board kümmern. Hier empfehle ich die DoCD’s von Edsel mit den vier Originalalben Give Me Just A Little More Time und In Session (beide von 1970, noch mit dem vierten Sänger Eddie Custis, die Basis war hier Soul in allen denkbaren Färbungen, manchmal driftete man auch in groovy Bluesrockgefielde ab, beispielsweise beim Opener „Chairmen Of The Board“ auf der LP In Session), der grossartigen LP Bittersweet (1972, durch die Gastspiele in der alten Welt machten sich hier auch eingängige, europäische Pop-Sounds bemerkbar) sowie Skin I’m In plus Bonustracks. Auf die Doppler wurden zudem die Invictus-Soloalben von Johnson (Generally Speaking, 1972), Woods (Aries, 1972) und Kennedy (Hypnotic Music, 1972) gepackt, auch auf diesen Soloprojekten gibt es eine unglaubliche Bandbreite an fantastischer, die Genres überschreitende Musik zu entdecken.

Die Gefahr, dass man sich nach intensivem Studium der Chairmen Of The Board auch weiteren Invictus-Acts widmet ist ziemlich hoch, hier stapeln sich mittlerweile die Tonträger von Freda Payne, Laura Lee, The Glass House, The 8th Day, 100 Proof Aged In Soul, The Politicians, Ruth Copeland und natürlich Honey Cone die in erster Linie vom General produziert wurden.

Norman “General” Johnson starb 2010, er wurde 67 Jahre alt.
Danny Woods verstarb 2018 im Alter von 75 Jahren.

Der Kanadier Harrison Kennedy ist noch immer aktiv, der Multiinstrumentalist hat sich vor allem im Bereich Blues einen Namen gemacht.

LONG LIVE SOULFUL MUSIC!
mellow

 

Skin I’m In (1974, LP, Invictus)
A1) Everybody Party All Night
A2) Skin I’m In
A3) Morning Glory
A4) Life & Death In G & A (Pt I)
A5) White Rose (Freedom Flower)
A6) Life & Death In G & A (Pt II)

B1) Let’s Have Some Fun
B2) Love At First Sight
B3) Only Love Can Break A Heart
B4) Live With Me, Love With Me
B5) Finders Keepers

Bonustracks auf der Edsel-CD:
Let Me Down Easy
Try On My Love For Size
Finders Keepers (Instrumental)
You’ve Got Extra Power In Your Love
Someone Just Like You
Come On In And Dance

Weiterführende Invictus-Beiträge im Rockzirkus-Blog:

Holland Dozier Holland – The Complete 45s Collection – Invictus, Hot Wax, Music Merchant 1969-1977

Barrino Brothers

Laura Lee

(Visited 181 times, 1 visits today)

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert