Von Spirits Of Sound über Eleanor Rigby bis zum wunderbaren Finale
Kürzlich wurde ja im Rockzirkus von Canvey die Geschichte von Neu!, Klaus Dinger und Michael Rother sehr fundiert, informativ und kurzweilig vorgestellt. In diesem Dunstkreis bewegte sich auch Kult-Musiker Wolfgang Riechmann. Dieser Düsseldorfer Rock-Musiker war nur einem überschaubaren Kreis von Musikliebhaber bekannt, jedoch hat er bei denen Kultstatus erlangt. Hier nun seine tragische Geschichte.
Streetmark – Obwohl sich diese Düsseldorfer Krautrock-Legende bereits 1969 gegründet hatte, stellte sich der künstlerische wie kommerzielle Durchbruch erst ein, als sie 1976 beim Hamburger Label Sky die Möglichkeit bekamen ihr erstes Album »Nordland« (Sky 003) aufzunehmen. Eigentlich als reine Live-Band, die bekannte Lieder anderer Künstler nachspielt gegründet, waren deren eigenwillige Interpretationen innerhalb kürzester Zeit auch ein Markenzeichen der Band Streetmark. Das fetzige »Eleanor Rigby« war so ein Titel mit dem sie ein Ausrufezeichen setzten, damals auch für mich. Der spieltechnisch höchst versierte Sound wurde hauptsächlich vom progressiven Gitarristen Thomas Schreiber und von den Psychedelia und Electronica Keyboards der Rock-Dame Dorothea Raukes bestimmt. Das Debüt hatte aber mehr zu bieten, Gesang von Georg Buschmann (später Straight Shooter), anspruchsvolle Eigenkompositionen das die Breite der Rockmusik überraschend frech und frisch auf zwei Vinylseiten präsentierte. Auf dem zweiten Album »Eileen« (Sky 011), einhellig wird dieser Nachfolger von vielen Sachkundigen als deren meisterliches Opus Magnum bezeichnet, kommt 1977 Multi-Instrumentalist und Sänger Wolfgang Riechmann mit an Bord der aufstrebenden Rheinland-Combo. Es ist tatsächlich eine kollektive Arbeit aller Beteiligten, auch mal wieder vom Produzenten Conny Plank und dessen Studioarbeit. Dennoch erscheint dieses Album 1979 dann als »Wolfgang Riechmann & Streetmark« (Sky 030). Für mich ist das Leichen-Fledderei, denn wenn schon nicht genug Material vorhanden ist, nimmt man das gesamte Material auf ein Doppel-Vinyl (oder Single-CD) mit dem Titel beispielsweise Wunderbare Eileen oder Riechmann & Friends. Noch verwirrender wird es dann, als dieses gesamte gute Material dann erstmalig auf CD zusätzlich mit dem Bonus-Titel »Streaming« nun als »Dreams« (Sky 13007) erscheint. Ich greife etwas vor, entscheidet am Ende des Beitrages selbst. Das dritte 1979-Album »Dry« (Sky 023), als Gast dabei Bassist Jürgen Pluta von Wallenstein, ist das kommerziell erfolgreichste Werk der Formation, hatte mit Single-Auskopplung »Lovers« sogar einen kleineren Hit. Der schon bei Dry spürbare Wechsel der musikalischen Ausrichtung verstärkt sich 1981 mit dem letzten Werk »Sky Racer« (Sky 050) noch mehr. Die rauen Spielarten der Anfangsjahre sind einer polierten, poppigeren Mucke, auch Richtung Neue Deutsche Welle (NDW) gewichen. Nicht falsch verstehen, keine schlechte Musik der Düsseldorfer, aber nicht mehr diese richtungsweisenden Klänge des Kreativ-Trio Raukes, Schreiber, Riechmann. Auch die ständigen Besetzungswechsel und die damit verbundenen vielen Probleme führen dazu, das letztes Gründungsmitglied und soundtragende Kraft Dorothea Raukes entnervt kurz nach dem Himmel-Raser die Band Streetmark auflöst.
Seelenklänge – Die Musiker-Laufbahn von Wolfgang Riechmann (19. Mai 1947), ein visionäres Kind der frühen Düsseldorfer Elektronik-Musikszene, begann Mitte 60er-Jahre. Unter anderem arbeitete der gelernte Chemiker und Sozialarbeiter schon 1967 mit Gitarrist Michael Rother (später Neu!, Harmonia, Solo) und Drummer Wolfgang Flür (vorher The Beathovens, später Kraftwerk) in der Schüler-Band Spirits Of Sound und später in der Düsseldorfer Amateur-Band Phön-x (1972) zusammen. Die Tageszeitung Rheinische Post schrieb im Februar 1968: „Die Spirits Of Sound sind so gut, dass sie keinen Krach brauchen, und so dezent, dass die motorische Trance-Wirkung von einem Lullaby zu kommen scheint.“ Als Edelhelfer veröffentlichte er mit der Formation Streetmark 1977 das Album Eileen (Sky 011). Von November 1977 bis Januar 1978 entstand im Star Studio Hamburg fast im Alleingang sein erstes und leider auch einziges wunderbares Solo-Album. Unterstützt von Ur-Streetmarker Hans Schweiß (später bei Geheim-Tipp Flaming Bess) am Schlagzeug, spielte Riechmann alle Instrumente selbst, unter anderem verschiedene ARP-Synthesizer, Gitarren, Bass, Vibraphon, Elektrische Geige, Piano & Schlagzeug. Wo andere noch experimentierten, kombinierte er einige Stilrichtungen zu etwas Neuen, zu etwas Eigenständigen oder schlicht zu etwas Wunderbaren. Treffender hätte Sky den Titel nicht wählen können.
Wunderbar – In den sechs Titeln des Albums »Wunderbar«, 01. Wunderbar, 02. Abendlicht, 03. Weltweit, 04. Silberland, 05. Himmelblau, 06. Traumzeit, vermischt Wolfgang Elemente der Berliner (Tangerine Dream, Klaus Schulze) und auch der Düsseldorfer Schule (Kraftwerk, Neu!, La Düsseldorf), fügt aber auch stellenweise Elemente die an Pop-Rock und progressiven Rock erinnern ein. Repetitive Sequenzerfolgen werden getragen von flächigen Sphärensounds, gepaart mit warmen Melodien. Trotz der Einflüsse kreiert der Multi-Instrumentalist seine eigenen hypnotischen und sphärischen Qualitäten. Einige Medien und Elektro-Fans bezeichnen ihm als den ersten echten Elektro-Popper. Ich sehe das nicht so, ich würde seine Musik eher das von Sky Records verwendete Prädikat Picture Music geben. Wolfgang Riechmann starb am 24. August 1978 (am Geburtstag meiner Frau) an inneren Blutungen, drei Wochen vor Erscheinen seines Debüt-Albums, an den Folgen mehrerer Messerstiche die ihm ein (oder zwei) Betrunkener bei einem Nacht-Spaziergang am 20. August 1978 in der Düsseldorfer Altstadt grundlos beibrachte. Die zwei schwer betrunkenen Typen, Riechmann und Partnerin waren sie völlig unbekannt, dem er und seine Freundin rein zufällig in der Altstadt beim Überqueren des Carlsplatz (Historischer Markt) auf dem Nachhauseweg über den Weg liefen, fielen grundlos über ihn her, schlugen und traten ihn. Einer der Beiden zog dann ein Messer, rammte Wolfgang Riechmann aus heiterem Himmel und ohne Grund, wütend über den Wirt seiner Stammkneipe, das Messer in die Brust – um sich abzureagieren – wie er später in der Gerichtsverhandlung sagte. Alles mehr als tragisch. Noch viel tragischer, die finale Todesursache waren nicht die Messerstiche, sondern die mangelhafte medizinische Behandlung im Marienhospital danach. Riechmann stirbt etwa vier Tage nach der Attacke an inneren Blutungen. „Riechmann hat erkannt, dass die elektronische Musik eine spezifische Ästhetik hat. Er nahm ihr die Kälte, indem er einfühlsame Melodiebögen schuf“, schrieb die Rheinische Post 1979. Leider konnte er den Erfolg dieses Stück deutscher Musikgeschichte, das 1991 (Sky CD3017) endlich auch erstmals als CD erscheint (2009 auch noch bei Bureau B), nicht mehr miterleben.
Prolog – Im Verlauf der Dekaden, hierzulande in seiner Heimat beim breiten Publikum leider ein wenig in Vergessenheit geraten, hält man das Andenken an Wolfgang Riechmann vor allem in Japan und Israel aufrecht. Als ich das Album »Wunderbar« damals das erste Mal hörte, empfand ich es als etwas introvertiert, melancholisch, traurig, regte mich zum Nachdenken an. Einige Zeit später erfuhr ich von seinem tragischen Tod und war erst einmal geschockt. Ich jedenfalls empfinde bis heute jedes Mal beim Hören eine tiefe Trauer, ein Wolfgang Riechmann der sehr früh im Alter von nur 31 Lenzen einen völlig unnötigen Tod fand, heraus gerissen aus der kreativsten Phase seines kurzen Lebens. Sehr traurig, sehr tragisch.
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