Wally

Der bis heute aktive britische Moderator und Präsentator „Whispering“ Bob Harris erlebte seine Blütezeit in den Siebzigern durch die BBC-TV-Musiksendung Old Grey Whistle Test bei der sich die Künstler jeweils Live im Studio austoben durften. Es war die Zeit vor dem Umbruch durch Punk, progressive Rockmusik stand mindestens so hoch im Kurs wie die Sonne zur Mittagszeit. Die Stars beim Old Grey Whistle Test gaben sich die Klinke in die Hand, aber nicht nur, gerade Harris war immer auch ein Talentscout und kümmerte sich um die Nachwuchsförderung. Eine Band in der nicht nur er sondern auch Rick Wakeman von Yes grosses Potential gesehen haben, hiess Wally.

Die aus Harrogate/Yorkshire stammende Band fiel Harris 1973 bei einem Bandcontest auf, Wally gewannen den zwar nicht, dafür die Sympathie ihres künftigen Mäzens Harris der sich auch der Siegerband Druid annahm, von der er sich allerdings nach medialen Vorwürfen wegen unlauteren Wettbewerbes schweren Herzens wieder distanzieren musste.

Er verschaffte Wally einen Auftritt in seiner Radiosendung The Monday Program und fädelte einen Plattendeal mit Atlantic Records ein. Was die Band um Bandleader, Gitarrist und Sänger Roy Webber und Violinist Pete Sage in den Londoner Morgan Studios aufnahm und in Form einer LP ablieferte ist schlicht atemberaubend: Der 1974 von Harris/Wakeman produzierte und veröffentlichte Longplayer Wally ist sagenhaft gut, ein zwischen Progrock, Folk und Americana tänzelnder Diamant und übrigens keinen Moment kopflastig. Wer sich die Mühe macht diese verstaubte Schatzkiste aufzumachen, der wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, da findet man mitten in tausendfach umgepflügtem Ackerland eine solche Ohrenweide. Eigentlich unglaublich, die Szenehirsche des Progrock wurden bejubelt und begutachtet bis zum Abwinken und so etwas wie Wally wurde einfach „übersehen“, unverständlich im Nachhinein.



Wally durften sich im Old Grey Whistle Test präsentieren, zum einen mit dem 8minütigen progressiv gestalteten „The Martyr“, zum anderen mit dem akustischen, ländlichen, eingängigen und hochmelodiösen „Sunday Walking Lady“. Bei Atlantic hätten eigentlich spätestens jetzt sämtliche Alarmsirenen losgehen müssen, Wally hatten hier einen Top-Hit im Angebot, leider wurde das von niemandem bemerkt. Bei entsprechender Weichenstellung durch die Plattenfirma hätten Wally wie die ebenfalls von Harris geförderten Barclay James Harvest das Potential gehabt ganz weit die Leiter empor zu klettern.

1975 folgte nach einer Umbesetzung mit Valley Gardens die offensichtliche Vertragserfüllung seitens Atlantic, der neue Mann an den Tastengeräten hiess Nick Glennie-Smith, er wurde später im Bereich Filmmusik bekannt, vor allem durch die Zusammenarbeit mit Hans Zimmer. Ach auf ihrem zweiten Album gaben sich Wally keine Blösse und operierten munter im musikalischen Bereich von Pink Floyd oder Camel. Beim Track Nez Percé” stand die Sängerin Madeline Bell von Blue Mink hinter dem Mikro. Hervorragend auch das Frontcover von Jim Slade der das Konzept von der Debut-LP auf Valley Gardens verlängerte. Zugegeben, mit dem mehrteiligen, 19minütigen Longtrack „The Reason Why” lehnten sich Wally weit aus dem Fenster, vielleicht zu weit. Nach Valley Gardens war vorerst Schluss bei Wally, die Plattenfirma zog den Stecker und die involvierten Musiker gaben Wally auf. 1976 riss der Punk die Macht an sich und verursachte im Progbereich ein wahres Massensterben, vergleichbar mit dem Meteoriteneinschlag in grauer Vorzeit der für das Verschwinden der Dinosaurier verantwortlich gemacht wird. Wally versanken in den stürmischen Wogen der Zeit, wurden aber von Webber, Sage, Middleton und weiteren Überlebenden 2008 wieder reanimiert, es entstanden mit Montpellier und To The Urban Man zwei CD’s die im Eigenverlag vertrieben wurden.

LONG LIVE ROCK!
mellow

 


Wally (LP, Atlantic, 1974)
1. The Martyr (7:50)
2. I Just Wanna Be A Cowboy (3:55)
3. What To Do (6:50)
4. Sunday Walking Lady (2:30)
5. To The Urban Man (13:35)
5. Your Own Way (5:30)


Valley Gardens (LP, Atlantic, 1975)
1. Valley Gardens (9:45)
2. Nez Percé (5:05)
3. The Mood I’m In (7:05)
4. The Reason Why (19:20)
a) Nolan
b) The Charge
c) Disillusion

Wally:
Roy Webber – Lead Vocals, Guitar
Pete Sage – Violin, Bass, Mandolin
Paul Gerrett – Keyboards, Bass
Pete Cosker – Guitar
Paul Middleton – Steel Guitar, Bass
Roger Narraway – Drums, Percussion
Nick Glennie-Smith – Keyboards (ab 1975)

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