Birds ‘N Brass

Erinnert sich noch jemand an die Zeiten als in Kaufhäusern Drehständer die geneigte Kundschaft zum Kauf von obskuren Billig-LP’s verlocken wollten? LP-Cover garniert mit bunten glänzenden Trompeten oder mit Bikini-Strandschönheiten als Stimmungstransporteure. Sehr oft traf man auch auf Damen mit aufforderndem, verführerischem und durchdringendem Blick, als wollten sie sagen: Nimm mich mit Alter – jetzt – pack‘ die einmalige Gelegenheit beim Schopf! Üppiger Vorbau bevorteilte so machen dieser Tonträger… nun… das sind eben die unergründlichen Hintergründe des Easy Listening! Ein überzeugendes Kaufargument, klar, allerdings nicht für pubertierende Jugendliche, die brauchten die harte progressive Kante, die heldenhaften Originale. Ja, damals in der ersten Hälfte der Seventies war mir dieses Zeug auch zu schmuddelig, das war was für die ältere Schwester, die legte nicht so Wert auf musikalische Revolution: Tanzen zu Musik hatte bei ihr einen höherer Stellenwert als die Musik an und für sich.

Wie schon so oft muss ich Jahrzehnte später mein damaliges hartes Urteil revidieren: Wenn man mal die Lupe auspackt und sich durch die Easy-Listening-Ecke wühlt, dann stösst man früher oder später auf umwerfende Exponate, ich denke hier nicht nur an James Last oder Herb Alpert, die Speerspitzen des „leichten Hörgenusses“. Viele dieser billig aufgemachten Longplayer stammten von sogenannten „Orchestras“ die allerdings in Tat und Wahrheit gar nicht existierten, meist waren es Produzenten die im Studio ihre versammelten Studiocracks nach getaner Arbeit am Feierabend für ein Trinkgeld dafür engagierten noch ein paar weitere Tracks aufzunehmen. Der Brite Keith Roberts war auch so einer: Als Noten-Kopist für grossen Orchesterproduktionen (Film-Soundtracks von John Barry) lernte er ab Ende 50er das Business von Grund auf kennen, später wurde er Arrangeur (unter anderem für Scott „Walker“ Engel) und schliesslich Produzent.

Bei seinem Projekt Birds ‘N Brass setzte auf der einen Seite auf Coverversionen, auf der anderen auf Eigengewächse und wie es der Name ankündigt, natürlich mit ausreichend Gebläse. 1970 erschien beim Billig-Label Rediffusion ein erster Longplayer, Soundsational Sort Of Soul , eine exquisite Tour-de-Force durch lässige Jazzrock-Feeling, Rock- und Soul-Grooves. Wahwah-Gitarren, funky Keyboards, jazzy Bläser, treibende Beats und vor allem auch bezaubernde Scat-Vocals von Barbara Moore, ein unglaublich frisches Album dem 1973 Birds ‘n Brass Are Back nachgeschoben wurde. Auf der CD-Compilation von RPM Retrodisc finden sich zusätzlich noch weitere, bislang unveröffentlichte Recordings, beispielsweise das umwerfende „Pop Off The Tops“, man beachte das Wortspiel, eine typische Library-Bezeichnung um Produzenten die auf der Suche nach einem passenden Soundbed sind die Richtung anzuzeigen.

Auf die Charts spekulierte Birds ‘n Brass wohl weniger, viel mehr war die Hoffnung darauf ausgerichtet, dass irgendwer bei Film, Fernsehen oder Radio darauf abfahren würde und eine dieser Library-Vorlagen (Library Music = kam in den Sixties auf, Instrumental-Musik die darauf abzielt in der Werbung verwendet zu werden, man erwirbt sich eine Lizenz die dann zum Gebrauch des Tracks berechtigt) als Titelmelodie oder für Werbezwecke verwenden würde. Keith Roberts erreichte tatsächlich das angestrebte Ziel, das extrem dynamische „Sort Of Soul“ mit seinen wunderbaren Speedparts wählte der TV-Sender ITV als Erkennungsmelodie für die Eislaufweltmeisterschaft 1970.

Birds ‘n Brass als brandheisse Empfehlung für diejenigen die ihren musikalischen Horizont erweitern möchten und sich nicht fürchten ihre musikalische Reputation aufs Spiel zu setzen:

Hey baby… it‘s Loungecore-Time!
mellow

 

Birds ‘n Brass Featuring Keith Roberts – Soundsational Sort Of Soul 
(LP, 1970/1974 , Rediffusion / CD, 2007, RPM Retrodisc)
1. Sort Of Soul
2. American Woman
3. Mexico Fiesta
4. In The Summertime
5. Fritzy Baby
6. Chirpy Chirpy Cheep Cheep
7. Return To Montana
8. Sunspot
9. All Souled Out
10. Time Key
11. Theme From Shaft
12. Pop Off The Tops
13. Melanie
14. New Dawn
15. Dizzy Lizzy
16. Sugar Sugar
17. Funky Splanky
18. The Kung Fu Kid
19. It’s So Easy
20. Soul Bossa Nova
21. Sax Of Sorts
22. The Disco Kid
23. A Touch Of White
24. Swamp Water

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