Canned Heat – Livin’ The Blues

Canned Heat – Livin’ The Blues

 

Keine Ahnung ob 1968 „Boogie With Canned Heat“ oder „Livin’ The Blues“ zuerst da war. In den 60ern war ich noch bei Beatmusik und der Hitparade, mein Quantensprung kam erst gegen Ende der 60er. Canned Heat wurden für mich zum Begriff gegen Anfang der 70er, weil es in meiner Clique doch so ein paar Nasen gab, die voll auf die Kapelle abfuhren. Ich? Ich hatte Mühe Blues und Boogie überhaupt zu buchstabieren und das hielt noch eine ganze Weile an. Beides erkannte ich nicht als Genre und wenns im Titel geschrieben stand. Hielt mich allerdings nicht davon ab, Canned Heat als Klasse Band zu qualifizieren.

 

Je nachdem, ist „Livin’ The Blues“ die erste LP der Mark II Version von Canned Heat (oder dann eben „Boogie With Canned Heat“). Und, ich widerspreche ungern, aber remo4 betreibt hier Geschichtsklitterung. Fito de la Parra ist keineswegs ein Originalmitglied (wie man es auch immer betrachten will), am Schlagzeug nahm auf der „Same“ (das Debut) ein gewisser Frank Cook Platz. Aber egal, da haben andere sich schon am Geschichtsrevisionismus versucht, ich komme mir manchmal vor wie Don Quichote. Nicht zuletzt Herr de la Parra tut so als wäre er der Chefingenieur der Combo und der Originalverwalter.

 

„Livin’ The Blues“ fiel damals mehrfach aus dem Rahmen. Erstens war die Musik trotz „Goin’ Up The Country“ ziemlich weit entfernt von den Hitparaden dieser Welt (auch wenn der vorerwähnte Track ein veritabler Hit wurde ist dies kein Widerspruch an sich). Es kann allerdings sein, dass ich damals auch zu jung war um die Wichtigkeit dieser Veröffentlichung wirklich zu erkennen. Tolle Band, gute Musik, keine Frage, aber … für mich ist sie erst später in den unverzichtbaren Kanon der absoluten Klassiker erhoben worden. Und zweitens? Die Tatsache dass das eine Doppel-LP war? Dass die Band keine Hupfdohlen im Teenieprogramm waren?

 

Vielleicht hat das auch damit zu tun wie ich mir die LP damals anhörte (und wie sie bei meinen Freunden auch gespielt wurde), die erste LP blieb meistens in der Innenhülle und gespielt wurde „Refried Boogie Part 1 und 2“. Remember LP? Nach 20 Minuten Platte umdrehen weil sich das Ding über 40 Minuten erstreckte. Nachdem ich mir dann zu CD-Zeiten auch eine Digitalversion zugelegt hatte (ohne Unterbruch von „Refried Boogie“) war etwas komisch. Den Track gibt es nicht ohne aufzustehen und die Plattenseite zu wechseln. Nennt es Nerdtum, aber das muss im Original gehört werden, alles andere ist Kopie.

 

„Refried Boogie“ ist für mich der Inbegriff eines spannenden und überlangen Stücks. Ich verzichte da gerne auf anderes (progressives) Genudel, bei dem die Musiker nie auf den Punkt kommen. Der Track hat nicht eine Füllsekunde und ich kann mich sehr wohl an fast endlose Diskussionen über die Qualität des Songs erinnern. Wohl gemerkt, weder ich noch meine Freunde hatten die geringste Ahnung, aber diskutiert haben wir was das Zeug hält. Der Anfang, göttlich, mit der Gitarre … selten so etwas eindrückliches gehört. Reduce to the max … die Stimmen im Hintergrund und man weiss, da kommt was Gigantisches. Man folgt der Gitarre und ist gespannt wie der Rest der Band in den Track reinkommt. Man sieht den Gitarrero vor sich auf der Bühne, kein Backing, fast null Unterstützung und dann … oh, aber hallo, Mr. Fito de la Parra on Drums mit einem absolut genialen Schlagzeugintro.

 

Legendär.

 

Und dann dampft der Kessel und die Lokomotive nimmt den Pass unter Schwerlast. Da gibt’s keinen Platz für Blödsinn oder Schönheitswettbewerbe und Sightseeing. Wenige Strecken die geradeaus laufen aber im grossen und ganzen leistet die CannedHeat1968 Schwerstarbeit und läuft auf allen Zylindern. Da wird Kohle geschaufelt, der Lokführer hält nach Hindernissen Ausschau und wird bald abgelöst vom Sänger der um die 10-Minutenmarke „boogien“ will. Wunderbar auch wie sich das Team auf dem Zug abwechselt, der Basser gibt ein quasi Solo (mit pointierter Percussionunterstützung) und man hört, die Maschine ist am Anschlag und die Leistung muss zwischendurch etwas zurückgefahren werden, sonst ists bald Feierabend mit dem Kessel. Es gibt so einige Basssolos die äusserst bemerkenswert sind, aber dieses gehört tatsächlich in meine Top drei.

 

CannedHeat1968 hat die Passhöhe erreicht. Noch 500 Meter und mit der Maschine wäre es “aus die Maus” gewesen. Der Zug macht übrigens seinem Namen alle Ehre. Und weiter geht’s über das Hochplateau und volles Programm. Das läuft wie ein junges Pferd, jetzt wos wieder geradeaus geht. Das raucht, stampft und rattert. Bei Hälfte der Reise meldet sich wieder die Gitarre zu einem weiteren Solo zu Wort. Kein einziges Solo ist hier überflüssig oder einfach langweilig, und ich habe eine gesunde Aversion gegen plattgewalzte Fisimatenten. Ich glaube, der Gitarrist freut sich gerade, dass sie den Pass doch noch geschafft haben, auch wenns zwischenzeitlich durchaus kritisch aussah.

 

Gut, ich kenn das Ding ja auswendig, aber für mich ist es erstaunlich, dass der Track noch immer so viel zu bieten hat. Etwa 45 Jahre nachdem ich mir die Doppel-LP zugelegt hatte. Der „Refried Boogie“ ist übrigens eine Liveaufnahme (ich hab im Moment etwas Zeit, gerade Strecke vor uns und der Gitarrero steht auf dem Kessel vor der langsam niedergehenden Sonne). Ich glaub fast, der legt sein ganzes Repertoire in das Solo rein. O.K., Wechsel deutet sich an und „Ratter“, „Dampf“, „Schnauf“ … Höchstgeschwindigkeit. Ich nehms vorweg, wir stehen kurz vor dem Schlagzeug Solo … and here we are. Dreiviertel der Strecke sind geschafft, wir sollten in etwa 10 Minuten an der Endstation eintreffen, wenn alles glatt geht. Schlagzeug und Solo, ich habe echt mehr schlechte bis extrem schlechte Schlagzeug Solos gehört als anders rum. Das ist eines der extrem guten Varianten. Ich bin da aber etwas voreingenommen, ist mir doch der Drummer auf dieser DLP von Anfang an sehr kompetent rübergekommen. Ich glaub, der kriegt bei 34:55 gerade einen Anfall kurz bevor er vom Stuhl kippt. Leute, rettet den jetzt mal …

 

… und … und … und … hallo! Seid ihr noch da? … Sengende Sonne, die andern sind abgehauen in den Aufenthaltswagen und … halt, Zwischenruf. Und … und … och Leute … und … und … der Schlagzeuger kämpft, das muss man ihm lassen … 38:59 und Team komplett. Die Station ist schon in Sicht, ich würde mal den Zug ein wenig abbremsen bevor der komplett durchrauscht. Geschafft! Ende!

 

Meine CD stammt übrigens aus Frankreich von Magic Records (ungefähr 1999) und war, soweit ich beurteilen kann, mein einziges Exemplar welches vom sogenannten CD-Rot betroffen war. Ich meine nicht Verfärbung oder so, sondern auf beiden CDs hat sich die Datenschicht aufgelöst und unter dem Plastikschutz hat sich das Zeug gerollt. Das müssen Tausende von  Partikeln pro CD gewesen sein. Ich wusst ja nicht mal mehr wo ich die gekauft hatte, aber meine Anfrage an Magic Records ergab, dass das Problem bekannt war und auf der Labelseite durch die benutzten Farben ausgelöst wurde. Die haben mir die CDs ohne wenn und aber ersetzt.

 

 

LP 1 (oder CD 1). Was ist dazu zu sagen? „Goin’ Up The Country“ gibt’s hier. Klasse Song, aber ich bin sowas von „biased“ vom zweiten Teil des Albums, ich lass das lieber mit der Kritik (oder auch nur Beschreibung). Allerdings, die Tracks sind ebenfalls von ausgesuchter Qualität, aber irgendwie sind diese homöopathischen Dosen nicht das Richtige wenn man gerade 40 Minuten Vollbedienung hinter sich hat. Als würde ich „Krieg und Frieden“ lesen und müsste danach dann die gleiche Seitenanzahl mit Kurzgeschichten hinter mich bringen. Aber, man macht garantiert nichts falsch mit dem ganzen Paket und man kann ja auch nicht immer fast dreiviertel Stunden vor dem Lautsprecher hocken. Ich überlasse es remo4 irgendwann mal etwas zum ersten Teil der LP/CD zu schreiben (oder sich das Komplettpaket vorzunehmen).

 

Im übrigen hat remo4 schon einiges zu Canned Heat im Blog hier geschrieben. Die Suchfunktion links ist euer Freund. Noch ein Wort zu den Covern. Ganz oben seht ihr die LP in einer europäischen Version. Das Bild im Text ist die CD von Magic Records. Es gibt noch die eine oder andere Alternativvariante dieses Albums.

 

 

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2 Kommentare

  1. @mellow

    QUOTE
    Larry Taylor starb am 19. August 2019.
    R.I.P.
    UNQUOTE

    Und dann ist mir aufgefallen, dass ich eigentlich noch etwas zum Thema Line-up Changes bei Canned Heat sagen wollte und das komplett untergegangen ist. Naja, vielleicht macht das dann jemand beim nächsten Canned Heat Beitrag. Larry “The Mole” Taylor bei Tom Waits? Der Blog scheint einen öffentlichen Bildungsauftrag zu haben. Vielen Dank für die Information (muss mal in meinen Tom Waits Tonträgern graben).

    Die Story mit mellow und Vorband zu Canned Heat hatte ich komplett vergessen (hast du mal im Forum erwähnt). Ich glaube fast, Doctor’s Order war eine weitere Band die mal die Vorgruppe für Canned Heat gab. Kann mich gerade noch so schwach an eine entsprechende Aussage erinnern (oder meine, mich zu erinnern).

    Cheers

    Roland

  2. Eine klasse beschriebene Dampfbahnfahrt @ Canvey, da löse ich mir doch glatt auch wieder mal ein Ticket für diesen atemberaubenden Trip.

    Für Canned Heat machte ich vor 15 Jahren mal den Anheizer, Fito de la Parra lernte ich damals als äusserst angenehmen Zeitgenossen kennen. Noch während wir spielten begutachtete er die Qualität der PA-Anlage und wir kriegten ein “Daumen hoch” und ein breites Grinsen. Canned Heat waren sehr spielfreudig, klar, “Going Up The Country” und “On The Road Again” waren Pflichtprogramm bei diesem Biker-Event, sie liessen sich aber auch auf längere Jams ein. Nach ihrem Auftritt gab der trommelnde Bandleader die längste Zeit Autogramme und diskutierte mit den Fans, er ist einer der ganz genau weiss wie Basisarbeit geht.

    Der Bassist auf der rezensierten Scheibe war übrigens Larry “The Mole” Taylor, er spielte nach seinem Ausstieg im Jahre 1970 bei John Mayall, Albert King, Tom Waits und unzähligen anderen. 1972 unterstützte er seinen älteren Bruder Mel Taylor bei dessen Band The Ventures.

    Larry Taylor starb am 19. August 2019.
    R.I.P.

    LIVING THE BLUES!
    mellow

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