The Kinks in Zurich (1978 – 1980)

2018, Intro.
The Kinks in Zurich – Erinnerungen die ich im Jahr 2003 festgehalten und damals im ehemaligen RZ-Forum erstmalig veröffentlicht habe. Es ist für mich einer meiner wichtigsten Artikel, wahre Gegebenheiten aus den 1970ern, prägende Geschehnisse die grossen Einfluss auf meinen (nicht nur musikalischen) Werdegang hatten. Wenn ich die damalige Zeit mit der Gegenwart vergleiche, dann stelle ich fest, wie sehr sich doch alles gewandelt hat, leider nicht nur im positiven Sinn. “1984” lasen wir damals, heutzutage ist vieles von dem was wir damals für Science Fiction hielten Realität geworden. Einige physische und ideologische Mauern sind mittlerweile eingerissen worden, aber es noch nicht lange her, da sind wieder neue Zäune gezogen worden, Aus- und Abgrenzung existiert auch im 21. Jahrhundert. Und wir stehen mittlerweile in einer wahren Info-Brandung, wer braucht denn noch Tageszeitungen wenn wir im Web immer und überall praktisch live dabei sein können. Wir sind von allem was uns gelüstet nur einen Mausklick oder ein “woosh” über’s Display entfernt. Wir brauchen nur den entsprechende Kontakt anzuwählen und wir können überall und jederzeit über unseren bevorzugten Kanal mit dem Freundeskreis kommunizieren. Mittels Feuerzeug erzeugtes Lichtermeer war gestern, heute reckt sich den Künstlern auf der Bühne eine Flut von Mobilephones und Tablets entgegen, immer vorausgesetzt es ist noch genügend Akkupower vorhanden. Und wehe du hast grad mal kein WLAN, das ist mindestens so krass wie Weltuntergang an einem sonnigen Sommertag. Ja, das ist sie, die schöne neue Welt.

2003, Epilog.
Im Probelokal meiner Band habe ich kürzlich ein Konzertplakat welches den Eierkartons weichen musste gefunden. Tja, und das löste diese kleine gedankliche Zeitreise aus. Dies sind ein paar Erinnerungen an eine verrückte Zeit, eine Zeit in der man das Gefühl hatte, man stehe irgendwie im Zenit der Welt. Mittendrin im Leben. Ort der Handlung: Eine Stadt namens Zürich.
Darsteller: Mellow, die Kinks, Claudine, Trix, Polizisten, Mellows Freunde, eine Menge junge Leute die glaubten sie könnten die Welt verändern und Dieter Meier.

1.
Zürich war eine verschlafene Provinzstadt. Dann kam die Punkwelle aus England angerollt und löste sowas wie eine friedliche Revolution aus. Diese verschlafene Stadt wurde plötzlich zu einem Nährboden für diese Subkultur. Punkbands wie Mother’s Ruin, Sperma oder Nasal schossen aus dem Boden, man lief mit Gedichtbänden von Patti Smith und Jim Morrison durch die Gegend. Englands beste Punkbands gaben ihre Visitenkarte ab, Dieter Meier (Yello) irrte 1978 mit einer akkustischen Gitarre unterm Arm herum und versuchte seine erste Vinyl-Single unter die Leute zu bringen. In der Roten Fabrik gabs Punk und Kunst und Aktivismus. Der Plattenladen an der Bäckerstrasse versorgte dich mit jeder gewünschten Art von Sound, dort konnte man alles kriegen: Sixties, Seventies, Punk, Westcoast.

Dann gings irgendwann los mit dem Opernhaus-Knatsch, genaugenommen hatte es seit den 60ern immer gebrodelt unter der Oberfläche. Per Volksabstimmung sollten ‘zig Millionen in den Tempel der klassischen Kultur ‘reingebuttert werden und wie immer hatte man für Jugendhäuser keine Kohle mehr. Okay, die verfeindeten Parteien gerieten in der Folge immer öfter und heftiger aneinander. An anderer Stelle kann man die Geschehnisse jenes Teils der Stadtgeschichte detailliert nachlesen, ich verzichte daher auf eine chronologische Auflistung der damaligen Ereignisse sondern schreibe nur über die Dinge an die ich mich noch erinnern kann oder will…

2.
1980. Du brauchtest damals verdammt schnelle Schuhe in Zürich, am besten Turnschuhe. Mit denen konntest du am schnellsten davonrennen wenn die Bullen wieder ‘mal ein paar Schüler verprügeln wollten. Ja am liebsten die Typen die gegen fünf Uhr Abends von der Kunstgewerbeschule zum Hauptbahnhof wollten. Das waren sicher alle Sympathisanten von diesem sogenannten “Sprayer” (Harald Nägeli), den die ganzen Detektive der Stadtpolizei während zweier Jahre erfolglos gejagt hatten! Und diese sogenannte “Kunsti” war doch ganz klar mit dem Teufel verbündet und beherbergte tagsüber doch nur Durchgeknallte und Kiffer.

  

Die politischen Gegner im besetzten AJZ hatten sich verbarrikadiert und wieder ‘mal keine Lust auf Krawall, also schnappten sie sich eben das was gerade die Strasse lang gelatscht kam! Auf dem Weg zum Bahnhof lag das autonome Jugendzentrum, und dort warteten sie jeweils auf uns. Okay die Jungs also mit Schulmappe auf Kopfhöhe auf der Strassenseite als Gummigeschoss-Schutzschild für die Mädchen der Klasse die sich den Fassaden der Häuser entlangdrückten und dann wurde gerannt. Vorneweg der zwei Meter grosse Martin und da war’s dann meistens auch schon geschehen. Ein durchschnittlich intelligenter Bereitschaftspolizist kriegte es beim Anblick dieser riesenhaften Gestalt mit der Angst zu tun und schon wurde mit den Schlagstöcken gerudert! Herumfliegende Gummigeschosse, Tränengaspetarden, das gehörte damals zum Alltag in Zürich. Aber irgendwie haben wir es immer geschafft zum Bahnhof.

3.
Durch diese Zeit begleiteten mich die Kinks – meine Kinks – und die waren genial!
1978 hatten sie sich nach Zürich verirrt. Das phantastische Wunsch-Konzert bei welchem die Meute in der Volkshütte der Band die alten Songs vortrug und Ray & Co versuchten sich zu erinnern wie die denn gegangen waren. Well, da war Spontaneität gefragt! Hippies, Punks und Normalos gleichermassen boten der Truppe einen einzigartigen Empfang in der Stadt.

  

Ein Kumpel der in seinem langen Mantel sein Spulengerät an der Security vorbei geschmuggelt hatte beglückte uns danach mit Überspielungen (Bootleg!) des Konzertes auf Kassette. Er verlangte nie was dafür, nur die Materialkosten. Und man bekam bei ihm fast alles was über die grossen Bühnen Zürichs rockte: Zappa, Gallagher, Yes, Jethro Tull und eben auch die Kinks. Sichtlich beeindruckt von der Party zeichneten The Kinks ’79 (mit der LP Low Budget im “Gepäck”) an gleicher Stätte die Show auf, das war natürlich wieder ein genialer Abend. Auszüge davon landeten danach auf der 80er DoLP One For The Road.

  

Live waren die Kinks wirklich unschlagbar. Die hatten Humor (manchmal sogar Dave), die hörten auf ihr Publikum und konnten sich jeder Situation anpassen. Die Kinks hatten sich selbst aus der Krise in die sie Mitte 70er hinein geschliddert waren aus eigener Kraft heraus gehebelt und wieder so grossartige Platten wie z.B. Misfits produziert. Man höre sich bloss einmal Black Messiah an! Ich glaube deshalb und wegen der ganzen zynischen Texte und Geschichten wurden sie von der Punk/Wave-Generation so wohlwollend aufgenommen. Und sie hatten Spirit. Sie gaben dir das Gefühl es sei keine Show, sie seien keine alternden Millionäre, sondern Leute in abgewetzten Turnschuhen wie du und ich.

1980 kamen die Kinks nochmals, diesmal ins Kongresshaus. Aber es hatte sich vieles verändert in der Stadt. Man las den “Eisbrecher”, hatte Angst bespitzelt, ausgehorcht, verprügelt oder in U-Haft gesteckt zu werden weil man die falschen Buttons angesteckt hatte und brauchte wie schon gesagt schnelle Schuhe. Man hörte TNT’s Punk-Aufschreie “Züri brännt” und “Razzia”. Okay, “Razzia” war etwas später (’82), aber der Text war eine zeitlose Punktlandung: “Razzia, Razzia – öisi Schmier isch wieder da / Razzia, Razzia – sie wänd Kontrolle über öis ha!”

Ich wohnte auf dem Land, aber auch dort warst du nie sicher vor diesen lustigen Kontrollen der Streifenhörnchen. Die liebe Polizei war überall dabei, die hatten überall ihre Informanten. Stephan Eicher sang zu der Zeit mit Grauzone den Song Eisbär. Es kursierten Fotomontagen mit Eisbergen vor der Limmatstadt. Es war kalt geworden. Sehr kalt.

Am Abend des Kinks-Konzertes war wieder alles nervös in der Stadt. Wie ich ‘reingekommen bin weiss ich nicht mehr, aber draussen vor der Halle gabs dann wieder Krawall und ein Mädchen verlor ein Auge durch eines dieser gefürchteten Geschosse aus Hartgummi. Das erfuhr man aber ein oder zwei Tage danach, zuerst war’s nur ein Gerücht. An den Gig selbst erinnere ich mich nicht mehr so recht, offenbar bestritten Nine Below Zero das Vorprogramm. Da verschwimmt alles. Die Partylaune der vergangenen Jahre war jedenfalls verschwunden und ich glaube Ray Davis hatte das auch gemerkt, irgendwie hatten die 80er einen seltsam unterkühlten Start hingelegt.

4.
Wenn ich mir überlege welche Musik ich unter anderem die nächsten paar Jahre gehört habe, dann sagt das vieles aus: Dunklere, kühlere Formen der Popmusik wie Psychedelic Furs, The Church, Teardrop Explodes mit Julian Cope, immer wieder die Stranglers, Clash, die schrillen B-52’s. Gute, aber zum Teil schwer verdauliche Musik, sie spiegelt exakt den Zeitgeist jener Jahre wieder.

1981 verliess ich mit einer damaligen Freundin auch völlig entnervt eine Show der Engländer Iron Maiden. Wie konnte man nur so laut spielen – da drehte sich einem der Magen um – echt – wirklich physisch – ein schreckliches Konzerterlebnis! Auf Platte klang das ja nicht schlecht und mit dem Axemonster Eddie konntest du die Mütter aus der Bude fernhalten, aber das unaufhörliche Pfeifen/Kreischen/Sägen über der PA schnitt dir bei jenem Event das Gehirn in Tranchen. Grauenhaft, ich habe dann immer einen grossen Bogen um die Truppe herum gemacht. Maiden passte haargenau zu dem verunglückten Start der 80er. Es gab aber auch Live-Highlights in dieser Uebergangsphase: Led Zeppelin, McGuinn/Hillman, Lee Clayton, Fairport Convention, Rory Gallagher, John Mayall, Ramones, Blondie, Jane.

5.
Wie so viele andere wendete ich mich von der Stadt ab, Zürich war gestorben.Eine weitere Geschichte ist mir geblieben: Trix die sommersprossige, jüngere Schwester meiner Maiden-Begleitung spielte bei einer Demo einmal Jeanne d’Arc. Sie rastete ob der schwelenden Gewalt völlig aus, ging mit Löwengebrüll auf einen Uniformierten los und stauchte den mit Worten dermassen zusammen, dass der nicht mehr wusste wer er war, woher er kam oder wohin er gehen sollte! Bevor der arme, überfahrene Polizist reagieren konnte, wurde die kleine Dame weggezerrt und in Sicherheit gebracht. Sie ist für mich ein Sinnbild der damaligen Jugend in der Stadt Zürich – sie wollte frei sein und konnte wenns sein musste für ihre Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpfen wie das Wappentier der Limmatstadt! Plötzlich sollte es für junge Leute keinen Platz mehr in der Gesellschaft geben, sie wurden in eine Ecke gedrängt, verjagt, verdrängt. Ich glaube Trix konnte diese Welt so wie sie damals war nie verstehen oder akzeptieren, geschweige denn verkraften. Sie nahm sich 1986 das Leben.

Für Trix, die kleine, unvergessene Jeanne d’Arc aus der Zürcher Oberland.
Mellow

 

Da Capo.
Trotz des ganzen Aergers um Zürich, gab es aber immer wieder lichte, positive Momente.
Kunst: In künstlerischer Hinsicht war die Zeit Ende 70er in Zürich wirklich spannend. An die Geschichte mit dem Sprayer kann ich mich wirklich noch gut erinnern. Der Spraydosen-Künstler verschönerte über Nacht so manche graue Hausfassade. In der Kunstgewerbeschule geriet sich deswegen dauernd die Lehrerschaft in die Haare: Die einen Teachers sprachen im Zusammenhang mit diesen Graffitis von wahrer Kunst des 20. Jahrhunderts, und Zürich sei ja die “Wiege des Dadaismus”. Man dürfe also stolz darauf sein, wieder einen (wenn auch unbekannten) Künstler von Weltformat zu beherbergen! Solches Gerede trieb den Rektor regelmässig zu Wutausbrüchen. Klar, er vertrat ja auch die konservative Seite und sah die ganzen Fassaden am liebsten in spiessbürgerischem, dezentem Grau. Der Kunstgewerbeschule stattete der Sprayer übrigens regelmässig nächtliche Besuche ab! Profitiert hatten vor allem auch die Malermeister der Stadt, die hatten Hochkonjunktur. Wenn’s sein musste, dann rückten die damals schneller aus als die Feuerwehr um diese wunderschönen Malereien wieder verschwinden zu lassen. Das Single-Cover unserer lokalen Heroes, Jack Zweifels Jack Rabbit Band, zeitgemäss vor einem “Sprayer”-Graffiti und dass obwohl man für die Sound-Aufnahmen in London gewesen war.

  

Oft lag Rheingolds “Bunte Graffitis” auf den Plattentellern, das war der perfekte Soundtrack für die Stadt: “Der Himmel ist blau und die Bäume sind grün, das ist Grund genug grauen Beton zu besprühen, mal gold mal gelb, mal grün mal blau, wir sprühen umsonst buntes Leben ins Grau.” 1978/79 war sensationell. Blondie, diese irre New Yorker Waveband kam nach Zürich, laut Sticker auf der alten “Parallel Lines”-Plattenhülle war das am 24. September 1978. Das war Powerpop in allerhöchster Vollendung! Als Anheizer hatten sie die Engländer Boyfriends im Gepäck und von denen hatte ich bereits früher zwei Singles ergattern können und alle beneideten mich um diese raren Exponate. Hah – das waren Bands voll nach unserem Geschmack. Die waren irgendwie luftig, leicht und klangen aufregend frisch und spielten messerscharfen und unbeschwerten Sound!

     

Die Punks machten natürlich auch Furore. Die Ramones beendeten eine Show nach 52 Minuten, hatten während dieser Zeit aber ca. 27 Songs gespielt! Gewaltig! Bei einem Gig der Nasal Boys riss dem Bassisten der Lederriemen an dem er sich die Jazz-Bass-Kopie umgehängt hatte. Die Kumpels spielten munter weiter und der arme 4-Saiten-Artist versuchte auf dem Bühnenboden kniend das Ding wieder zusammenzuflicken. Ging nicht, hat aber auch niemanden gestört und das Konzert ging auch so zu Ende. Die Boys kriegten trotzdem einen Plattenvertrag, nannten sich aber auf geheiss der Plattenfirma Expo. Kleenex, eine Girlband musste nach einigen Singles das Handtuch werfen. Ein ungenannter Konzern pochte auf sein “Copyright” und sie nannten sich fortan Liliput. Ich hab’ sie 1981 im Tonstudio getroffen und da gibts auch noch eine kleine amüsante Story: Die eine Punk-Lady sass unten im Aufnahmeraum in einem Verschlag und klopfte ununterbrochen auf eine Trommel. Die Kollegin hing derweil gelangweilt im Regieraum, strickte an einem Pulli herum und versuchte dem Tontechniker klarzumachen, dass das noch zuwenig nach “Galeerengetrommel” klinge. Ich lernte einen Punkproduzenten kennen. Der machte Aufnahmen von Punkbands mit einem simplen Kassettenrekorder und zwei Wochen später hatten die Bands dann meist auch schon ihre 45er in den Händen, eingewickelt in Kopier- oder Zeitungspapier.

Ich selbst probte auf dem Lande, erst in der Wetziker Kulturfabrik, später in einem idyllischen Bauernhaus, mit der Blues/Hardrockband Railroad Company. Zuweilen gings recht chaotisch zu und her, naja, eigentlich war das der Normalzustand! Ich habe da noch eine feine 4-Spur-Aufnahme von Fleetwood Macs “Need Your Love So Bad”, welches einer unserer Standards war und eigentlich hört sich das im Nachhinein recht professionell an. Um 1980 herum verschlissen wir gegen 10 Drummer bis wir den Richtigen gefunden hatten. Nervenzermürbend! Zwischendurch spielten wir ab und zu in Winterthur und Umgebung, hatten aber harte Konkurrenz von Echo Vom Eschenberg (Luk Rohr’s Metal-Kapelle) und Noise (klasse Sixties-Rock mit Wave-Einschlag). 1981 kriegten wir dann urplötzlich einen “Manager”, der uns den Himmel auf Erden versprach. Das klappte dann aber doch nicht so ganz. Nach einem Gig im Frühling 82 anlässlich einer Single-Plattentaufe im Hotel Winterthur, setzte sich Manager “Sigi” kurzfristig nach Fernost ab! Und wir sassen wie schon so oft vor dem berühmten Scherbenhaufen.

mellow

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