Viola Smith

Das Schöne in der Musikforschung sind ganz klar die Überraschungen die einen auf Exkursionen in vergangene Epochen erwarten, unvermittelt springen sie einen an, fast so als hätten sie während Jahrzehnten im Verborgenen nur auf diesen einen Augenblick gewartet.

Viola Smith?

Nun, ganz ehrlich gesagt sagte mir dieser Name bis vor kurzem nichts, rein gar nichts.
Rein zufällig bin ich in der täglichen Newsflut über einen Nachruf gestolpert der mich aufhorchen liess, es gibt tatsächlich noch andere Meldungen als immer nur Corona, Terror und Aktualitäten zu diesem übergeschnappten blonden Amerikaner:

Drummerin stirbt im Alter von 107 Jahren.

Eine Überschrift die aufhorchen lässt und deshalb… klickklickklick… und schon begeistert mich Viola mit einem Drumsolo aus dem Jahr 1940, die Zeit der grossen Bigbands, die goldene Jazz- und Swing-Epoche. Das Schlagzeugsolo «Snake Charmer» war Teil eines mitreissenden 9minütigen Auftritts des Damenorchesters Frances Carroll & The Coquettes. Das bis ins letzte Detail choreografierte Showcase wurde von Warner Brothers auf Celluloid gebannt und war vermutlich als Vorprogramm in Lichtspielhäusern gedacht, für die Bandleaderin Frances und ihre All-Woman-Group muss es jedenfalls eine ausgezeichnete Gelegenheit gewesen sein sich einem grösseren Publikum zu präsentieren. Und die Ladys gaben alles, die singende und mit Taktstock bewaffnete Anführerin flippte auf High Heels übers polierte Parkett, Tänzerin Eunice Healey sorgte für eine Step-Einlage, es gab en masse Saxofon, Trompeten, Posaunen, Klarinetten, Klavier, Kontrabass und das erwähnte Solo von Viola. Ob das nun wirklich «live» oder «arrangiert» war weiss ich nicht (es könnte auch Playback oder Halbplayback gewesen sein, die mitproduzierende Firma Vitaphone war jedenfalls Spezialistin in Sachen Film und Sound), der Auftritt vermittelt nichtsdestotrotz einen ausgezeichneten Eindruck der einzelnen Bauteile die Mitte des 20. Jahrhunderts in der damals populären Musik gerade angesagt waren.





Damenkapellen waren damals übrigens keine Seltenheit, die angesagtesten Orchestras (Big Bands) waren teils riesige Unternehmungen, oft rundeten integrierte Frauengruppen (natürlich immer mit einer Prise Sexappeal versehen) das Unterhaltungsangebot ab. Die Orchester-Grösse von Frances Carroll & The Coquettes ist aber schon beeindruckend, oft agierten All-Girl-Orchestras nur gerade in Vier-Frauen-Stärke.

Zurück zu Viola Smith.
Die 1912 in Wisconsin geborene Drummerin war eine der ersten professionellen Schlagzeugerinnen, sie spielte in den 1920ern/30ern bei den von ihrem Vater gegründeten Schmitz Sisters (die Smith waren eine kinderreiche Familie, Viola hatte 7 Schwestern und 2 Brüder, der Papa betrieb eine Dance Hall), danach zog es sie zu den Coquettes und schliesslich zu The Hour Of Charm All-Girl Orchestra Under The Direction Of Phil Spitalny. Nach der Auflösung von Hour Of Charm (1954) spielte sie beim NBC Symphony Orchestra und dem National Symphony Orchestra, gründete auch eine eigene Band, Viola And Her Seventeen Drums. In den 1960ern gehörte sie zur Kit Kat Band die am Broadway-Musical Cabaret beteiligt war. In Kalifornien trommelte sie auch noch im hohen Alter bei lokalen Bands.


Das Trommelarsenal das Viola um 1940 herum bespielte sieht ganz einfach sagenhaft gut aus, selbst dem Billboard Magazine war das im Februar 1940 eine Titelseite wert. Der eigentliche Eyecatcher von Viola’s WFL-Drums (vom Schlagzeughersteller Ludwig, 1909 in Chicago von den aus Deutschland ausgewanderten Brüdern Theobald und William F. Ludwig gegründet, nach dem Tod von Theobald hiess die Firma W.F.L. Drum Company, der weltweite Siegeszug von Ludwig startete in den Sixties mit einem Trommler namens Ringo Starr der in einer der bekanntesten Beatbands des 20. Jahrhunderts spielte) waren zwei auf Ständer montierte 16-Zoll-Floortoms von denen Viola links und rechts auf Kopfhöhe flankiert war, die imposanten, an Scheinwerfer erinnernden Trommeln verliehen dadurch dem Schlagzeug einen futuristisch anmutenden und einzigartigen Touch. Vermutlich machte Viola das um an der üblichen Standtom-Stelle Platz für Kesselpauken zu schaffen, auf alle Fälle war diese Schlagzeug-Zusammenstellung höchst unkonventionell und wurde seltsamerweise weder von Zeitgenossen wie Gene Krupa und Buddy Rich, noch von späteren Rockdrummern wie Keith Moon, Ginger Baker oder Mel Taylor kopiert.

Eigentliche Tonträger von Viola Smith existieren in diesem Sinne nicht, im Web findet man aber den eingangs erwähnten Filmclip mit Frances Carroll & The Coquettes und weitere, qualitativ leider weniger gut erhaltene Filmschnipsel. Absolut sehenswert sind die zahlreichen Interviews von Viola, die sympathische Lady philosophierte dort über ihr Leben, Gott, die Welt, Drumsticks und Schlagzeugfelle.

Viola «World’s Fastest Girl Drummer» Smith starb am 21. Oktober 2020 in Costa Mesa, Kalifornien an den Folgen ihrer Alzheimererkrankung.

LONG LIVE SWING’N’JAZZ!
mellow

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