Ein schreckliches Jahr dieses 2020, nicht nur für Normalbürger, spezielle Bürger, alte oder junge Menschen, ganz übel ist es auch für Künstler, vor allem für solche die auf Interaktion mit Publikum vor Ort angewiesen sind, Konzertveranstalter, Kulturvereine, Eventfirmen, Zulieferer und schlussendlich Konzertgänger trifft es mindestens so hart: Die Corona-Pandemie hat die Szene weltweit zum Erliegen gebracht, von Oper bis Rock läuft gar nichts mehr. Die Hoffnung stirbt natürlich zuletzt, Tourneen wurden zuerst um ein paar Monate verschoben, mittlerweile um Jahre. Die Zukunft wird zeigen ob eingeleitete Schutzmassnahmen und Impfstoffe ihre Wirkung entfalten werden und die Menschheit wieder zur früheren Tagesordnung zurückkehren kann, ich persönlich hege da noch einige Zweifel, zumindest was den Zeitpunkt der zurückkehrenden Normalität betrifft.
Manche Bands zeichneten Konzerte ohne Publikum auf und stellten sie gratis ins Web, als Dankeschön und Trost für die treue Fangemeinde. Und dann gibt es natürlich noch die Methode der Vernetzung, vor ein paar Jahren noch etwas für Tüftler und extravagante Technik-Freaks, heutzutage bereits Standard. Man sitzt also zuhause in gemütlichem Ambiente auf’m Sofa und verbindet sich mittels Kamera, Mikro, passender Software und schneller Datenleitung mit seinen Mitmusikern zum gemeinsamen Musizieren, egal in welchem Teil der Welt sie sich gerade befinden, eine aus der Not geborene Lösung des technologischen 21. Jahrhunderts sozusagen. Allerdings wird nicht immer dasselbe Feeling erreicht wie beim persönlichen Zusammenspiel in ein und demselben Raum, beim virtuellen Event One World: Together At Home im April ’20 sucht man beispielsweise vergeblich nach diesen herzerwärmenden Magic Moments die sich sonst nur bei Live-Konzerten einstellen, noch nicht mal die beteiligten Rolling Stones mit einer At-Home-Version von «You Can’t Always Get What You Want» schafften so etwas.
Dass es trotz dem Aufenthalt in den eigenen vier Wänden funktionieren kann beweist der mittlerweile 72jährige britische Soulman Steve Winwood. Im August setzte er sich hinter die Orgel und schaltete sich mit seiner Band zusammen, jeder bei sich zuhause in seinem Musikzimmer. Als Vorgabe wählt Winwood den Titel «Gimme Some Lovin’», seit den 1960ern sein treuer und zeitloser Begleiter der zum Standardrepertoire zählt. Von der Band die Steve auf dem Live-Album Greatest Hits Live (2017) um sich versammelt hatte, ist bei diesem Warmup hier nur gerade noch Paul Booth übrig geblieben:
Die aktuelle Band:
Steve Winwood – Organ, Lead Vocals
Paul Booth – Piano, Backing Vocals
Nate Williams – Bass
Edwin Sanz – Congas
Tristan Banks – Drums
Im Mai schrieb Steve Winwood auf seiner Website:
«Looking foreward with this band and to seeing you all soon.»
Ob das derzeit noch aktuell ist? Die diesjährige US-Tour zusammen mit Steely Dan wurde jedenfalls nach 2021 verschoben. Und dann stellt sich vermutlich so oder so die epidemiologische Frage wie es dann an der Corona-Front aussieht. Immerhin haben die Amis ab Januar wieder einen zurechnungsfähigen Präsidenten der (im Gegensatz zu seinem geisteskranken Vorgänger) bis zum Datum der Konzert-Termine im Juni ’21 das schlingernde Schiff ja vielleicht wieder auf Kurs gebracht hat.
Nun, zurück zu «Gimme Some Lovin’» welches Steve und Co. im letzten Sommer aus dem Hut zauberten: Absolut beeindruckend was die offensichtlich ad hoc zusammengestellte Truppe zu bieten hat, irgendwie scheint hier die Chemie auf Anhieb zu stimmen. Allen voran glänzt natürlich der Meister himself der in seinem Musikzimmer in die B-3-Orgelmanuale greift. Der schiere Wahnsinn ist dieser mächtige rustikale Raum mit der dominanten Feuerstelle und dazugehörigem Kamin der an den Seitenwänden von einer Album-Cover-Galerie (u.a. Self Portrait von Bob Dylan, Blind Faith mit dem mittlerweile geächteten Silberflieger-Mädchen-Cover, Supertramp‘s Breakfast In America, The Low Spark Of High Heeled Boys von Traffic und Tommy von The Who) flankiert wird und in mir sogleich den Wunsch weckt, wieder einmal einen Teil des Hauses umzubauen. Nun, Steve Winwood nuschelt wie immer beseelt und engagiert den rudimentären Text von «Gimme Some Lovin’» ins Mikro.
Showeffekte gibt es auf «Gimme Some Lovin’ 2020» keine, wozu auch, zwischendurch wackelt zwar mal ein kleiner zum Winwood-Haushalt gehörender Hund durch den Raum, aber ansonsten steht der hämmernde Beat im Zentrum des Geschehens. Ich nehme an, dass sich der im Oktober an einer Lungenentzündung verstorbene ehemalige Bandleader Spencer Davis wahrscheinlich auch noch an dieser Aufnahme erfreuen durfte, sie hat ihm bestimmt genau so gut gefallen wie mir. Steve Winwood hat auf seiner Website übrigens eine schöne Danksagung an den verstorbenen Freund veröffentlicht, Spencer sei sein Lehrer gewesen der ihn an die Musik herangeführt habe.
2017 hatte ich es versäumt das Winwood-Konzert im Kaufleuten Zürich zu besuchen und 2019 hat es ebenfalls nicht geklappt, mein Versäumnis, Steve trifft keine Schuld. Eine weitere Gelegenheit würde ich garantiert nicht mehr ungenutzt verstreichen lassen, zu begeisternd ist dieser At-Home-Clip und der weiter oben erwähnte Live-Mitschnitt.
Dear Mr. Fantasy, thank you for the music!
mellow
Wer mehr davon braucht:
Steve Winwood – Greatest Hits Live
(2017, 2xCD / 4xLP, Wincraft Music)
01. I’m A Man
02. Them Changes
03. Fly
04. Can’t Find My Way Home
05. Had To Cry Today
06. Low Spark Of High Heeled Boys
07. Empty Pages
08. Back In The High Life Again
09. Higher Love
10. Dear Mr. Fantasy
11. Gimme Some Lovin‘
12. Rainmaker
13. Pearly Queen
14. Glad
15. Why Can’t We Live Together
16. 40,000 Headmen
17. Walking In The Wind
18. Medicated Goo
19. John Barleycorn
20. While You See A Chance
21. Arc Of A Diver
22. Freedom Overspill
23. Roll With It
Steve Winwood – Vocals, Organ, Guitar, Mandolin
Paul Booth – Organ, Sax, Flute
Jose Neto – Guitar
Edson Da Silva – Percussion
Richard Bailey – Drums