(Fast) vergessene Soul Brothers: Sanfter Grenzgänger Terry aus Chicago
Wieder so eine unglaubliche Geschichte die das Leben manchmal so schreibt. Aufmerksam geworden bin ich darauf durch mein Düsseldorfer Musik-Orakel. Der Sanfte und Nord-Amerikaner Terrence Orlando Callier hat sich in den Bereichen Blues, Dance, Folk, Funk, Jazz, Rock, Soul als Gitarrist, Sänger und Komponist bewegt. Er hat sich weder von familiären, musikalischen oder politischen Katastrophen unterkriegen lassen, niemals aufgegeben war eines seiner Lebensmottos. Seine starke Prägung bekam Terry Callier, geboren 24. Mai 1945 North Side Chicago, dort in der berüchtigten Sozialbauanlage Cabrini Green Housing Projects, aufgewachsen im bürgerrechtsbewegten Illinois der sechziger Jahre. In diese lebensfeindliche Welt passt eigentlich kein sensibler Jüngling mit Akustik-Gitarre, Schmelz und Schmerz in der Stimme, der Lieder präsentierte die so melancholisch waren, dass sie sensiblen Menschen die Tränen in die Augen treiben. Vielleicht sang er deshalb hier schon als junger Bursche in Doo-Wop-Chören, trat in kleinen Clubs mit seiner Musik auf und sollte mit Muddy Waters und Etta James auf Tour gehen. Seine Liebe auch zum Jazz wurde bei einem A Love Supreme Auftritt von John Coltrane geweckt.
Bereits schon mit 17, während seiner Collegezeit, lud ihn das legendäre Blues-Label Chess zu Probe-Aufnahmen ein. Sein Debüt erschien 1962 mit der Jazz-Soul-Single »Look At Me Now« (1968 mit »You Goin’ Miss Your Candy Man« auch als Cadet 5623). 1964 traf er dann den Musik-Aktivisten und Produzenten Samuel Charters. Schon im nächsten Jahr nahm er das Album »The New Folk Sound Of Terry Callier« auf. Es erschien mit einiger Verzögerung 1966 bei Prestige. Dann entdeckte er auch noch den Folk für sich, spielte in Cafés und Beatnik-Läden. Aus dieser Zeit wird ein Auftritt mitgeschnitten und später als »Live At Mother Blues, 1964« (2000: Premonition Records) veröffentlicht. Callier freundet sich auch mit dem Folk-Sänger George Edwards an, auch deshalb werden die Titel »Spin, Spin, Spin« und »It’s About Time« im September 1968 von den Chicago-Psych-Rockern H. P. Lovecraft auf ihrem zweiten Album veröffentlicht. Die Folk-Musik bringt ihn dann mit David Crosby (erstes Solo 1963) zusammen, mit ihm spielt er als Duo in vielen Clubs von Chicago bis New York City. Leider bekommen die Beiden keinen angemessenen Vertrag, es wäre sicher eine fantastische Musik daraus entstanden. Weiterhin war er auch befreundet mit weiteren großen Sängern und Songwritern aus Chicago, Jerry Butler und Curtis Mayfield, die standen zur damaligen Zeit für den politisch motivierten Soul. Mit dem nicht minder radikalen Soul-Revoluzzer Gil Scott-Heron und auch George Benson ging er Anfang der 70iger sogar auf Tournee. In dieser Zeit entstehen dann auch die drei sehr interessanten, bahnbrechenden, aber kommerziell unbedeutenden Cadet-Alben »Occasional Rain« (1972), »What Color Is Love« (1972), und »I Just Can’t Help Myself« (1973). Die Zeit damals war nicht passend, der Geschmack des gemeinen US-Publikum lag woanders, das Label nicht schlagkräftig genug, in der Summe wieder mal Pech für Terry. 1974 ist Chess und deren Tochter Cadet Geschichte, die Rechte werden verkauft. Noch einmal kein echtes Glück für Terry. Ein großer kommerzieller Durchbruch ist weiterhin in weiter Ferne.
Nach einer langen 5-jährigen Veröffentlichungspause erscheinen kurz hintereinander »Fire On Ice« (1978) und »Turn You To Love« (1979) für Elektra. Der ausgekoppelte Song »Sign Of The Times« erreichte signifikante Aufmerksamkeit und Chart-Platzierungen. Sein Sound ist auch jetzt kommerzieller und zeitgemäß, unter anderem verwendete er nun auch Disco- und Dance-Elemente. 1982 entstand mit diesen Zutaten für das Mini-Label Erect auch noch die Single »I Don’t Want To See Myself (Without You)« sowie ein Live-Mitschnitt (Washington DC) von einem seiner damaligen vielen Club-Auftritte, der aber erst 1996 als »TC In DC« bei Premonition veröffentlicht wurde. Das gleiche Label bringt auch noch 2000 den historischen Chicago-Auftritt »Live At Mother Blues 1964« an die Ohren der Fans. Erneut viele Erwartungen und Hoffnungen, aber es kam natürlich wieder mal alles ganz anders. Auch diese TC-Inkarnation wurde allerdings kaum zur Kenntnis genommen, Terry Callier verlor 1983 mangels Erfolg mal wieder seinen Plattenvertrag. Gleichzeitig bekam er aber endlich das Sorgerecht für seine Tochter. Terrence lernte Computer zu programmieren, arbeitet tagsüber an der Universität von Chicago als Techniker, studiert parallel am College abends Soziologie und schließt es erfolgreich ab. Fast zwei Jahrzehnte saß er dadurch nun in Chicago fest, fasste seine Gitarren nicht mehr so oft an, spielte kaum Musik. Als angestellter Programmierer hatte er nun zumindest ein regelmäßiges Einkommen und Familienleben. Neben Job und Studium zog er als Alleinerziehender seine Tochter groß, er tauschte die Musik gegen das Glück seines eigenen Kindes. In dieser Zeit profitieren wieder einmal andere an seiner Musik, dennoch sieht dieser Positiv-Seher die zwei Jahrzehnte ohne seine Musik überhaupt nicht als verlorene an.
Ende der 80iger meldet sich dann London, später ganz Großbritannien. Kein Wunder, seine wie schlafwandlerisch zwischen den Genres schwebenden Kompositionen werden Anfang der neunziger Jahre von der aufblühenden britischen Acid-Jazz-Szene, besonders um DJ Eddie Piller (der gründet gemeinsam mit Gilles Peterson das Label Acid Jazz Records), wiederentdeckt. In seinen frühen Aufnahmen und verbunden mit seiner Stimme fanden sie genau jene lebensechte Melancholie, welche so gut zu der etwas seelenfremden britischen Club-Elektronik dieser Zeit passte. Terry Callier unterschreibt dann beim Traditionslabel Verve, veröffentlichte sofort mit »Time Peace« (1998, Time For Peace Award der Vereinten Nationen für herausragende künstlerische Leistung) sein erstes reguläres Studio-Album seit fast 19 Jahren und spielte in seinem Uni-Urlaub auf einer Comeback-Tournee in englischen Clubs aufwühlende Konzerte. Wer ihn damals auf der Bühne sah oder mit ihm sprach, war danach vor allem eines: glücklich. Ein Mensch wie der Dalai-Lama, der in sich ruht und mit seinem Dasein sehr zufrieden ist. Das Soul-Prinzip der Verwandlung von Missständen in musikalische Schönheit hat er auch in diesen seinen späten Jahren perfekt beherrscht. Da vielleicht sogar noch besser als je zuvor, denn jahrelang hart erfahrenes Leben prägen die meisten Menschen direkt und dauerhaft, besonders aber so einen Melancholiker.
Der große stille alte Mann musizierte nun wieder regelmäßig bei einschlägigen britischen Veranstaltungen. Beispielsweise zusammen mit den Drum’n’Bass-Pionieren 4 Hero. Auch hier wurden die jüngeren Generationen wieder aufmerksamer auf ihn, so wird er erneut etwas mehr ins Rampenlicht gebracht. Auch nimmt er vorsichtig wieder mehr Arbeit im Studio auf, zuerst 1997 mit der Hip-Hop-Truppe Urban Species (später noch mit Zero 7, Koop, Cirque Du Soleil, Hardkandy) auf »Changing Of The Guard« und der Akustik-Version von »Religion And Politics«, eines seiner wichtigen Themen. Weiterhin im selben Jahr nahm er mit Beth Orton zwei Titel für ihre »Best Bit EP« auf. Die EP ist schwer zu bekommen, aber sie ist auf der Legacy-Doppel-CD vom Beth-Solo »Trailer Park« als Bonus wieder mit veröffentlicht worden. Nach seinem Comeback geht Terry wieder regelmäßig auf Tour. Als die Universität von Chicago dann sein Doppelleben aufgrund einiger unvermeidliche Presse-Berichte entdeckte, wurde er dort sofort gekündigt. Macht ihn das Unglücklich, nein, er ist zufrieden mit seiner Musik.
Nun wieder in Freiheit, nimmt er seine ursprüngliche Arbeit als regulärer Komponist und Musiker erneut verstärkt auf. In kurzen Abständen erscheinen »Lifetime« (1999, Gast auch Beth Orton) bei Blue Thumb Records und bei Mr Bongo Recordings dann »Alive« (2001, Live London 2000), »Speak Your Peace« (2002, mit Paul Weller auf »Brother To Brother«) und »Lookin Out« (2004). Auch das erfolgreiche Trip-Hop-Unternehmen Massive Attack bittet um ein Gastspiel. Hört euch mal »Live With Me« an, zu finden auf deren sensationellen Kompilation »Collected« (2006). Zuletzt das Live-Album »Welcome Home« (2008) und im Mai 2009 das von Massive Attack produzierte »Hidden Conversations«. Er war zu dieser Zeit mit Gil Scott-Heron das letzte Aufgebot des politbewegten US-Soul.
Einzelne Titel aus seinem gesamten Werk heraus zu heben fällt mir schwer. Terrence Orlando Callier war ein Liebhaber der Musik, der sich nicht an Genres, Strömungen, Mechanismen orientiert hat, sondern mit sich selbst zufrieden immer seiner Leidenschaft gefolgt ist. Die großartige Musik von Terry Callier vereinte: Liebe, aber auch Revolution, Wärme und Kampfkraft; Folk, Jazz und Soul, meist sogar in einem einzigen Song. Der große Versöhner Terry Callier verstarb am 27. Oktober 2012 nach langer schwerer Krebs-Erkrankung in seiner Heimatstadt Chicago im Alter von nur 67 Jahren. Drei Dinge verbinden mich mit Terry, an einem 27. Oktober habe ich meine Christa getroffen, ein sehr lieber verstorbener Freund nannte mich immer Orlando, ich mache auch alles mit viel Geduld und Leidenschaft. Klingende Grüsse, Der SchoTTe