Santa Esmeralda – Don’t Let Me Be Misunderstood (1977)

Wenn ich jetzt schreiben würde, dass mich Ende der 1970er die Disco-Version von „Don’t Let Me Be Misunderstood“ umgehauen hat, dann würde mich das vermutlich innert Sekunden ins Zentrum eines Shitstorms katapultieren. Wenn ich hingegen schreiben würde, die finale Kampf-Szene zwischen O-Ren Ishii (Lucy Liu) und Kiddo (Uma Thurman) im epochalen Splatterstreifen Kill Bill (2003) von Quentin Tarantino werde mit dem grandiosen „Don’t Let Me Be Misunderstood“ als perfekt zum Bild passendes High-Noon-Intro eingeleitet, dann nicken rundum alle erfahrenen Film-Freaks mit den Köpfen und raunen etwas das klingt wie „Jahrhundert-Kino“.


 

Eine Metamorphose sozusagen, von Kommerz zu Kunst, obwohl es ein und dasselbe ist, simpler Pop, im Falle der verwendeten Version sogar ein Stück dieser verteufelten Discomusik aus den 70ern des 20. Jahrhunderts. Der Titel wurde 1964 von Bennie Benjamin, Gloria Caldwell und Sol Marcus geschrieben, die Originalaufnahme von Nina Simone erschien im selben Jahr ohne für grösseres Aufsehen zu sorgen. Die Briten The Animals mit Eric Burdon am Mikro legten die Nummer kurz danach zusammen mit ihrem Produzenten Mickie Most auf den auf den Seziertisch, ihre modifizierte Version von „Don’t Let Me Be Misunderstood“ (die Nachfolgesingle ihres Überfliegers „The House Of The Rising Sun“) erreichte 1965 Platz 3 der britischen Charts. Den grössten Erfolg mit dem Titel hatte aber das französische Autoren- und Produzenten-Team Nicolas Skorsky und Jean-Manuel de Scarano, die „Let Me Be Misunderstood“-Version ihres Projektes Santa Esmeralda ging 1977 weltweit und millionenfach über die Ladentheken.

Für die Umsetzung ihres Projektes engagierten die Produzenten den amerikanischen Sänger und Saxofonisten Leroy Gomez der 1973 nach einer Europatour mit der US-Soulband Tavares in Paris hängen geblieben war. Er beteiligte sich an Goodbye Yellow Brick Road von Elton John und 1974 an Aufnahmen von Julien Clerc und Patrick Juvet. Und dann schneite diese Offerte ins Haus um als Solosänger Recordings zu machen die unter dem Namen Santa Esmeralda vermarktet wurden. Gomez wurden Tänzerinnen an die Seite gestellt um den stampfenden Flamenco-Beat zu unterstützen, von Mikros sollten sie sich offenbar fern halten, sie waren effektiv vor allem für die visuelle Komponente, sprich spanisch angehauchten Tanz und Sexappeal zuständig. Es funktionierte: Das bei Philips veröffentlichte „Don’t Let Me Be Misunderstood“ schaffte es 1977 tatsächlich iberische Lebensfreude mit Pop und Tradition zu verschmelzen. Die Single beinhaltete natürlich bloss den eigentlichen Popsong, spannend aber war in erster Linie die hypnotische 16-Minuten-Langversion mit dem mehrmals wiederkehrenden variierenden Instrumentalpart mit Smooth-, Funk- und Rockbass, Rock-, Funk- und klassischer spanischer Gitarre, mit Strings und Tex-Mex-Trompeten die mich immer irgendwie an die alten Spaghetti-Western erinnern. Neben dem Einsatz bei Kill Bill (der instrumentale Teil mit der funky Gitarre) ist aber auch die Video-Montage mit der Langversion äusserst interessant.



Da wurde ein dreiminütiger, ziemlich bunter TV-Clip (TopPop, Holland) von Leroy (plus Tänzerinnen) mit dem Auftritt eines spanischen Tanzensembles kombiniert. Eine hervorragende, variantenreiche Choreografie, mitreissend und keine Sekunde langweilig, man merkt, dass die Flamenco-Truppe extrem Spass hatte bei der visuellen Umsetzung. Ob das Video anno ’77 entstand oder später entzieht sich meiner Kenntnis, sehenswert ist es allemal.

Klar, musikalische Puristen haben natürlich längst den Mahnfinger hochgestreckt, die Version von Santa Esmeralda ist eine Freveltat, die einzig akzeptierbaren Interpretationen stammen natürlich  von Nina Simone und Eric Burdon und seinen Animals, auch wenn ich mich immer wieder frage weshalb damals kein einziger Toningenieur sein Veto eingelegt hat wegen der grausam klingenden Schummerorgel von Alan Price.

Ich persönlich bevorzuge die Discoversion von 1977 die ich bei jedem meiner Abstecher nach Spanien irgendwo in einer Bar oder in einem Dancing zu hören bekam, selbst auf den kanarischen Inseln und auf Ibiza. Die Nummer ist eigentlich ein einziges Kuriosum: Französische Produktion, US-Sänger, englischer Text, Philly- und Discodrums, die Grundlage der Extended-Version basierend auf spanischer Folklore, zusammengefasst eine wirklich seltsame Mischung aus unterschiedlichsten Zutaten. Trotzdem wurde der Song zu einer Hymne des iberischen Party- und Nachtlebens, unzertrennbar verknüpft mit Urlaubserlebnissen von Millionen Touristen die mit der Zeit wohl dachten, „Don’t Let Me Be Misunderstood“ sei sowas wie eine Alternative zur Spanischen Nationalhymne. Ich selber hatte mich damals bereits in Punk und New Wave verstrickt, kümmerte mich nebenbei aber auch um die Sixties, war stolz auf meinen Glamrock-Hintergrund und stemmte mich vehement gegen Disco. „Don’t Let Me Be Misunderstood“ bildete in diesem Kontext eine Ausnahme, irgendwie verlieh ich dem Track die Auszeichnung „hat was“, das galt auch für „Gloria“, ebenfalls vom Debut von Santa Esmeralda.

Was mir erst später wirklich bewusst wurde war, dass Ende 1970er bereits das Recycling der Sixties in Gang kam, Santa Esmeralda waren da nicht alleine. Und ja, ich gestehe, irgendwann in den 90ern war „Don’t Let Me Be Misunderstood“ (vielleicht war es auch ein Urlaub in Spanien) schuld daran, dass plötzlich auch eine Best-Of-CD von Santa Esmeralda in der Sammlung stand.


Leroy Gomez, der Vorzeigemacho mit dem offenen Hemd bis zum Bauchnabel (andere Zeiten, andere Mode) wurde schon bald ausgewechselt, bereits bei der zweiten LP – nach dem grössten Hit der Animals The House Of The Rising Sun betitelt – wurde er durch Jimmy Goings (mit gigantischem Schnauzer) ersetzt. Vermutlich besass Gomez die Frechheit nach dem Grosserfolg höhere Gehaltschecks zu fordern, jedenfalls könnte ich mir das vorstellen. Das Konzept blieb auch mit dem neuen Sänger unverändert, Longtracks mit leicht exotischer Bestäubung, garniert mit den Reizen weiblicher Begleitung. Die Erfolgskurve zeigte trotzdem langsam nach unten, „The House Of The Rising Sun“ wurde zwar auch ein Hit, erreichte aber nicht mehr die Popularität von „Don’t Let Me Be Misunderstood“. Später folgten Alben mit eigenem Material von Skorsky/De Scarano, auf Fremdmaterial wurde aber trotzdem ab und zu noch zurückgegriffen, „Hey Joe“, „Hush“ und „Street Fighting Man“ (das hätten sie besser nicht angerührt) erhielten ein pop/rock/discotauglich angemaltes Fahrgestell.

Ab 1980 gingen die beiden Produzenten dann getrennte Wege, Nicolas Skorsky und Jimmy Goings machten gemeinsam noch bis ca. 1982 weiter. Vor ein paar Jahren gab es eine Generation Esmeralda Featuring Jimmy Goings, momentan herrscht dort trotz Webauftritt offenbar Funkstille.

GET-UP-AND-DANCE!
mellow

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2 Kommentare

  1. Pst. Substitute von Clout hat mit substitutevon Who nichts gemeinsam. Aber es stimmt, dass zu der Zeit viel Hippie-Erbe durch den Discowolf gedreht wurde. Ich sage nur Blonde on Blonde und whole lotta love
    All the best für 2020 dir und remo.

    1. Stimmt @ Bludgeon: „Substitute“ von Clout war kein Cover des Who-Songs sondern die Aufbereitung einer Nummer der Righteous Brothers, ich habe die entsprechende Passage entfernt. Wünsche dir auch ein Gutes Neues Jahr…

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