Pia Lund – Pia Bohr – Deutsche Legende 5

Oh mein Gott, ich hätte viel früher mit bildender Kunst anfangen sollen !!

Heide Bohr – Dieses außergewöhnliche Multitalent; Sängerin, Songschreiberin, Komponistin, Keyboarderin, Performerin; hat das Rüstzeug am Mittwoch, 05. Juni 1963 mit in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Muse wurde danach in Dortmund vertieft durch familiäre Förderung und Unterricht am Klavier. Studiert hat sie wie meine liebe Christa (ein Jahrzehnt vorher) an der Universität Dortmund, hier aber Germanistik und Sport. Sie gehört zu den großen Damen der Independent-Szene, auf Augenhöhe mit beispielsweise Katharina Franck (Stein, Rainbirds) und Claudia Brücken (Propaganda, ACT), beide ebenfalls 1963 geboren. Anfang der 80iger begann Heide dann zusammen mit Ernst Ulrich Figgen Musik zu machen. Wie bei einem Chamäleon wird aus Heide nun Pia Lund, aus Uli wird Phillip Boa. Bis zur Bildenden Künstlerin fehlen noch einige Stationen. Kürzlich in »21 Fragen an Pia Bohr – Das U-Bahn-Interview« (Kurz-Video von DSW21) wurde die gut gelaunte Pia Bohr in der durch Dortmund fahrenden U-Bahn mal gefragt welche Frage ihr noch nie gestellt wurde. Ihre Antwort: „Ich wurde noch nie nach den vielen Fehlern gefragt, die ich in meinem Leben schon gemacht habe.“ Natürlich fasst die junge Interviewerin Sarah Louise sofort nach. Aber Heide sagt lächelnd: „Nein darfst du nicht, das bleibt mein Geheimnis“. Aber wer selbst genug Lebenserfahrung hat und sich mit der Lebensgeschichte von der Grande Dame du Musique etwas tiefer beschäftigt hat, weiß was sie meinen könnte. Vielleicht verrät sie mir mal später etwas mehr bei einem Interview, mal sehen. Auch heute noch, nach wie vor eine attraktive, lebensfrohe und talentierte Frau, immer noch mit vielen Visionen, Zielen und ausgeprägten mitmenschlichen Zügen. Dazu später mehr !!

Pia Lund – Wenn man über Pia Lund aus dieser Zeit schreibt, ist es unvermeidlich auch Phillip Boa zu erwähnen. Die Beiden debütieren im Mai 1984 mit der 45er-Mini-LP »Most Boring World« (JA! Music) als Phillip Boa & The Voodoo-Club !, auch schon mit dabei Langzeit-Mitarbeiter The Voodoo alias Uwe Knak. Zu der Zeit noch ein sehr maskulin geprägtes Bandgefüge. Aber mit der ersten zweiseitigen Voll-Laufzeit-Vinyl-Rille »Philister« (Mai 1985, JA! Music) sowie der etwas erweiterten Ausgabe »Philistrines« (1986, Red Flame) ist Pia nicht nur Musikerin an Instrumenten und Vokal, sondern auch zweite kreative Kraft in der Voodoo-Truppe. Und das bleibt bis zum ersten Ausstieg 1997 so, letztes gemeinsames Album »She« (1995). Pia und Phillip gründen 1986 früh das Label Constrictor (ehemals Am Heedbrink im Dortmunder Stadtteil Hörde), erstes Album dort »Aristocracie«. Mit den folgenden Werken schreibt das Kongeniale Kreativ-Duo Rockgeschichte im Bereich alternativen Pop und Rock, haben auch einige Hits, die Phillip Boa eigentlich nicht wollte oder geplant hatte. Ich bezeichne diese Lieder, beispielsweise »This Is Michael«, »Container Love«, »And Then She Kissed Her« und »Love On Sale«, »Kill Your Ideals« als Fan-Favoriten, denn auch in vielen nicht so populären Songs ist oft Zündstoff ohne Ende, im doppelten Sinne. Auf die vielen kursierenden Geschichten die den Druck im Voodoo-Club erhöhen, möchte ich nicht detailliert eingehen, lest, hört, seht die Interviews der beiden Künstler und bildet euch ein eigenes Bild. Die originalen Quellen sprechen für sich und damit kommen die Protagonisten zu Wort die es selbst erlebt haben.

Pia Lund: Lundaland (1999)

Pia Lund: Gift (2000/2016)

La Folie Angelique Remixe 2001

Ab 1998 pausieren Lund und Boa erst einmal mit dem Club-Projekt, versuchen es auf separaten Wegen. Boa arbeitet in dieser Zeit (1998-2003) mit der Vokalistin Alison Galea von der Malteser Band Beangrowers zusammen. Pia Lund startet ein beachtenswertes Solo-Projekt namens Lundaland, das selbstbetitelte Album und einige Remixe des Materials erscheinen 1999 bei Warner EastWest, auch mit der musikalischen Unterstützung der üblichen Verdächtigen aus dem Dunstkreis der Voodoo’s. Pia macht bei diesem Werk fast alles im Alleingang, ähnlich wie auch im Moment Künstler wie PINSKI (Insa Reichwein) aus Köln, Philipp Nespital mit seinen Berliner Projekten smalltape und Mt. Amber oder die Dresdener Sören Müller, Andrés Ramos mit dem zweisprachigen Poliverso. Viele musikalische Verbindungen führen vom Millennium in die Jetztzeit und zurück. Zu den Youngsters unten dem Link Neue Deutsche Meister folgen. Auch die beiden 2001 erschienen Lund-Solos »Gift« und »La Folie Angélique: Interpretationen« sind großartig. Leider wurde »Gift«, eins der letzten Musik-Werke die im Can-Studio Weilerswist entstanden sind, bevor es umzog ins rock’n’popmuseum Gronau (siehe auch den Beitrag Klingende Orte 4 hier im RZ), erst 2016 wieder offiziell veröffentlicht. Pia Lund 2016: „Ich dachte, es ist eine gute Zeit, den Fans endlich Gift zu schenken.“ Und das Verteilen der Geschenke geht weiter, denn auf der gerade entstehenden digitalen Plattform Lundaland.de erblicken demnächst wieder einige schillernde Perlen aus Pias Schatztruhe das Licht der Welt, seid gespannt !! Von 2003 bis Dezember 2013 ist Pia Lund im Studio und auf den kleinen und großen Bühnen Europas dann wieder wichtiger Bestandteil der Voodoo-Truppe. Mit dem endgültigen Wechsel in die Bildende Kunst zieht Pia einen Schlussstrich unter den Teil ihrer fast 25-jährigen Karriere. Den beachteten Düsseldorfer Künstlerpreis »Das Hungertuch« erhielt Pia verdient 2007 für musikalischen experimentellen Pioniergeist im 21. Jahrhundert verliehen. Voodoo-Club Fans werden sich nun an Gast-Vokallistinnen gewöhnen müssen, aber die Fans werden die Musik auch immer mit der charismatischen Deborah Harry (Blondie) aus Westfalen verbinden, gut so !!

Pia Bohr Logo

Pia Bohr – Pia Lund war von 1984 bis 1997 sowie 2003 bis Ende 2013 Musikerin und Sängerin bei Phillip Boa And Voodooclub und ist in der avantgardistischen Rock-Szene international sehr bekannt. PIA Bohr über sich: „Als Bildhauerin heiße ich Pia Bohr, mir wurde untersagt, den Künstlernamen Lund weiter zu benutzen. Seit 2000 arbeite ich professionell in der Bildenden Kunst, auch schon parallel zur Musik, hier bin ich ganz frei in meinen Entscheidungen und Arbeitsprozessen bis hin zur fertigen Skulptur. Ich glaube, mein bildhauerisches Werk ist die Fortsetzung meiner musikalischen Arbeit, nur mit anderen Mitteln: Die Skulpturen der Bohr entstehen genauso erzählerisch und organisch wie die Kompositionen der Lund.“ Sehr gut auf den Punkt fokussiert, da brauche ich nicht mehr viel hinzufügen. In dem oben erwähnten DSW-Interview erzählt Pia Bohr viel von ihrer jetzigen Arbeit als Holz-Bildhauerin. Und wie klein die Welt ist, ich habe meine berufliche Laufbahn damals in der Dudenstraße 6 (Erdgeschoss) begonnen, mit Blick hinten raus ins Grüne. Damals hatte auf der Ecke Radio Reschke seinen Laden. Die älteren Dortmunder werden sich sicher noch an die Hohe Straße erinnern, die am Stadt-Theater (das gab es zu dieser Zeit noch nicht) begann und an den Westfalenhallen endete, die DSW-Straßenbahn inklusive.

Pia Bohr: Promo_2

Freigegeben zum Berühren – Damit ist nicht Pia Bohr gemeint. Im schon vorher erwähnten Video-Interview (DSW), das gibt es auch zusammen mit anderen Filmchen auf ihrer digitalen Seite, beschreibt Pia Bohr ihre Werke sehr anschaulich auch besonders als eine haptische Kunst. Pia erklärt warum sie Holz favorisiert, ein besonderes einzigartiges Naturprodukt; Qualität, Wuchs, Struktur, Maserung, Farb-Nuancierung; all das macht es einmalig wie eben einen menschlichen Fingerabdruck, Iris des Auges oder seine DNA. Und auch in der Haptik gibt es eine Verbindung zwischen Holz und Mensch. Ich möchte das hier nicht vertiefen, denn einigen wird es nun sicher zu abstrakt. Pia selbst sagt: „Kunsthistoriker und Ästhetiker gehen bei der Betrachtung eines Kunstwerks von vornherein vom Visuellen aus; die formbildende Fähigkeit des haptischen Sinns wird mit keinem Wort erwähnt. Käufer und Sammler meiner Arbeiten bauen eine emotionale Bindung zu ihrer Skulptur auf und lassen immer wieder verlauten: Ich muss sie mindestens einmal am Tag berühren.“ Eben regelmäßige Streicheleinheiten, die jeder Mensch seit Urzeiten braucht. Sie antwortet ebenso treffend auf die Frage, warum Holz-Skulpturen: „Sie sind Dreidimensional, sie sehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln anders aus. Ein Bild ist und bleibt zweidimensional.“ Wie wahr Pia Lund, wie weise Pia Bohr !! Ich gebe zu den vier Dimensionen; Höhe, Tiefe, Breite, Fühlen, noch die Facetten Riechen und Verändern hinzu. Besonders Holz hat ein individuelles Aroma und das ändert sich zum Teil stark bei unterschiedlicher Temperatur. Die bildende Künstlerin Pia gibt in ihren Ausstellungen nicht ohne Grund deshalb immer wieder ein oder zwei Skulpturen zum vorsichtigen Berühren und interagieren frei. Dadurch bekommt physische Präsenz und das Lebendige, wieder einen wichtigen gesteigerten Stellenwert, eben haptisches Training. Und brauchen wir alle in dieser Zeit der immer größer werdenden Abstände und Berührungslosigkeit nun nicht ein wenig mehr davon ?? Bei Ausstellungen für Blinde und Behinderte hat sie damit eine unglaublich positive Resonanz erfahren, wie Pia selbst sagt. Aber auch die Sehenden und vermeintlich nicht behinderten sollten mal haptischen Kontakt aufnehmen, vielleicht in Pias Atelier in der Dudenstraße 4 oder bei einer der kommenden Ausstellungen, Gelegenheiten gibt es genug, nicht quatschen, nee ran an die Holz-Skulpturen !!

PIA: Bär 500 x 600 mm, Eschenholz Plus (Foto: Boris Alexander Knop)

PIA: Francis 180 mm, goldpolierte Bronze (Foto: Boris Alexander Knop)

Ich hatte mich auf dieses augenscheinlich sperrige Thema Pia & Phillip sehr gefreut, aber auch befürchtet das ich den Anfang des Faden-Knäul nicht sofort finden werde. War aber überhaupt nicht so, es floss mir tatsächlich aus den tippenden Fingern, um zu diesem Beitrag über eine herausragende Künstlerin und lebende Legende der deutschen Musikkultur zu werden. Pia, so kreativ weitermachen !! (Titel-Foto: Melanie Alexandra Hoessel)

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Rhythmische und Haptische Grüsse, Der SchoTTe

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