Gene Vincent und Little Richard habe ich schon ergründet, respektive ihre spannenden und musikalisch gelungenen Comebacks Ende Sixties / Anfang Seventies, lange nach der Hochblüte des Rock’n’Roll. Andere Künstler aus diesem Genre sackten völlig ab, hatten nicht mehr viel zu bieten, blieben an ihren Standards aus den Fünfzigern kleben. Bo Diddley (30. Dez. 1928 – 2. Juni 2008, bürgerlich höchstwahrscheinlich Ellas Otha Bates) gehörte auch zur alten Garde, die Luft, respektive der Erfolg, wurde trotz immensem Ruhm immer dünner. Bei seinem angestammten Label Chess wurde wohl daher eine Frischzellenkur verordnet. Der witzige, hornbebrillte Saitendrescher/Songwriter wurde generalüberholt, mit dem dazumals aktuellen Soul/Funk/Blues-Etikett versehen und ins wieder ins Rennen geschickt…
Die Offensive ging 1970 mit
THE BLACK GLADIATOR los.
Was ’ne Rille, alleine das Coverartwork das Bo im sexy Riemenlederoufit zeigt, lässt mich einen Salto schlagen! Hart… knallhart… radikal… höchstwahrscheinlich in einem SM-Laden geborgt, Chicago liegt ja relativ weit weg von Hollywood und deren Kostümverleihern. Tolles Design, gar nicht mal so weit von Punkrock entfernt und wer weiss, vielleicht liess sich ja auch der Modefreak Malcolm McLaren davon inspirieren.
Ganz neu war der auf The Black Gladiator festgehaltene Sound natürlich nicht, Bluesschemata tauchten nach wie vor auf, Bo erinnert da und dort stark an B.B. King, die Interpretationen waren aber meist modern gehalten und trotz handelsüblicher Songlänge (respektive Songkürze), jamorientierter, mit Hammondorgel à la Booker T. & The Mg’s, mit dominanten, rohen Gitarren und vor allem mit gospelgetränktem, weiblichem Background-Gesang der manchmal auch das Ruder in die Hand nahm. Im abschliessenden „I Don’t Like You“ machte Bo Diddley gar auf klassischen Tenor, um sich dann aber der mitsingenden Dame zu stellen… ein Brüller… glasklar eine augenzwinkernde Frühform des viel später angesagten Rap.
Kommerziell gesehen war The Black Gladiator kein Reisser für Chess. Trotzdem gab man nicht auf und bis 1974 erschienen weitere vorzügliche, zeitgeistige Scheiben des Bo-Beat-Erfinders…
Bo Diddley – The Black Gladiator (Checker, 1970)
Elephant Man (4:28)
You, Bo Diddley (3:30)
Black Soul (2:47)
Power House (2:50)
If The Bible’s Right (3:08)
I’ve Got A Feeling (2:46)
Shut Up, Woman (3:40)
Hot Buttered Blues (3:44)
Funky Fly (2:55)
I Don’t Like You (3:10)
BLACK GLADIATOR brachte noch mehr Ruhm, spülte aber wenig Kohle in die Labelkasse.
Diddley’s Ansehen stieg bei der jüngeren Generation, er wurde gecovert was das Zeug hielt, allerdings machte sich die Welt meist über seine alten Songs her.
1971, neues Jahr, neues Glück, Zeit für eine andere Dimension?
Die Überlegung bei Another Dimension war „nimm angesagte Titel und mache sie selber zum Hit“, bei Ike & Tina Turner hatte das ja schliesslich auch funktioniert. Nun, die Rechnung ging nicht auf, es nützte nichts, gleich drei mal CCR auf den Seziertisch zu legen. Ausnahme vielleicht „Lodi“ mit seinem treibenden Country-Groove. Insgesamt gaben Bo’s Fogerty-Interpretationen aber nicht viel her. Wesentlich stärker dafür der Funkrocker „Pollution“, das soulige „Bad Side Of The Moon“, Al Koopers „I Love You More Than You’ll Ever Know“, das jazzige Instrumental „Go For Broke“.
Trotz der Mithilfe von Al Kooper der hier manchmal tief in die Saiten griff, fehlt Another Dimension die Geschlossenheit, wirkt stellenweise etwas zusammengeschustert. Also wieder kein Verkaufsschlager, die Suche ging weiter…
Und dann… 1972… ein weiterer Versuch, und was für einer!
Where It All Began ist unglaublich scharf, ein explosiver Trip zwischen altbewährtem Soul und Gospel, zuckendem Bo-Beat bei „I’ve Had It Hard“, Bo-Rap auf „Hey Jerome“ und durchgehend stampfendem Funkrock, eine gefährliche Stange Dynamit, vom ersten bis zum letzten Titel, Black Music vom Allerfeinsten und ein hinterhältiges, gemeines Attentat auf etwaig eingepflanzte Herzschrittmacher. Where It All Began groovt wie die Hölle, lässt keinen Platz zum Atmen, switcht mit seinen weiblichen Background-Vocals hin und her von afrikanisch anmutenden Stammesgesängen zum faszinierendem, gitarrenlastigen Soul von „Infatuation“ oder dem Bo-beatigen Jam „Bo Diddley-Itis“. Wie gesagt, eine pure schweisstreibende Hölle, mit dieser Scheibe brauchte sich Bo Diddley hinter niemandem zu verstecken. Wer keine Angst vor den aufgelisteten Stilen hat, wird hier mit einer hervorragenden Platte belohnt, sozusagen World-Music der Extraklasse aus einer Epoche als es den Begriff noch gar nicht gab. Was für ein elektrifizierendes Stück Musikgeschichte…
Kommerziell brachte Where It All Began trotz seiner atmosphärischen Dichte auch nicht den ersehnten Erfolg, vermochte keinen „neuen“ Bo zu etablieren. 1973 wurde das London-Session-Konzept das sich für Chuck Berry, Muddy Waters und Howlin‘ Wolf bewährt hatte, hervorgekramt, Gitarrist Ray Fenwick, Keyboarder Eddie Hardin und vermutlich Roy Wood als Bediener eines knurrenden Basses, hiessen einige der Beteiligten. Glücklicherweise verfiel man nicht während der ganzen Spiellänge der LP ins typische, von den Briten übernommene 12-Takt-Hauruckboogieschema, die funky Jams blieben in der Überzahl. Die lockere Verspieltheit von Where It All Began erreichten diese London Sessions trotz einiger gelungener Nummern wie „Bo-Jam“, „Husband-In-Law oder „Do The Robot“ allerdings nie. Immerhin steuerte Mr. Hardin gediegen groovende Hammondorgelsounds bei und das integrierte Gebläse sorgte für zeitgeistige Facetten. Der Chess-Kassensturz: Immerhin setzte sich die Scheibe, trotz einer gewissen Steifheit der Typen von der Insel, besser ab als ihre Vorgänger.
1974… wieder ein neuer Longplayer von Bo Diddley, diesmal mit Big Bad Bo betitelt. So ganz bad wie es der Albumname verspricht, kommt Bo hier aber nicht daher. Die ehemals wilden Frühsiebziger-Grooves machten nun Platz für milde, laidback gehaltenen funky/jazzy Tunes mit integrierter Bigband. Mit „Bite You“ und dem mit pulsierendem Bass ausgestatteten „He’s Got All The Whisky“ geht es zwar ganz flott los, auf LP-Länge gesehen geht Bo Diddley aber die Puste aus. Irgendwie fehlt mir hier die Spontaneität, von Bo’s Humor ist nichts zu spüren, Big Bad Bo klingt zwar professionell, ist aber nicht wirklich Diddley. Hä? Da steht also Diddley drauf aber drin ist er nicht? Ja, ich weiss, schwer zu erklären, aber Bo ist eben nicht einer wie B.B. King der die Begleiter schuften lässt und sich stattdessen lieber zurücklehnt um am Schluss die Lorbeeren alleine zu ernten. Nein, Bo ist im Grunde ein Alleinunterhalter, ein Arbeiter der auf der Gitarre Shuffles raffelt und witzige Geschichten erzählt. Big Bad Bo mangelt es ausserdem an entsprechendem Songmaterial, nichts will sich so richtig abheben…
Eine kleine Stilkunde: Funk ist ein eigentliches Phänomen der ersten Hälfte der Seventies und in erster Linie eine amerikanische Errungenschaft. Nachdem die musizierende Gemeinde in Europa Blues und Rock’n’Roll die gemeinsam über den Atlantik geschwappt waren endlich verdaut hatte, kümmerte man sich um die eigenen Wurzeln, klassische Musik fusioniert mit modernem Popsound, es war die Blütezeit des Progressiven Rocks. In der Wiege des Jazz und Blues in Übersee entstand hingegen eine ganz andere Strömung. Rock’n’Roll war längst passé, die Black Music der späten Sixties wurde vor allem von Soul dominiert, eine Sparte die allerdings schnell an ihre Grenzen stiess. Artisten wie Sly & The Family Stone, Meters, Crusaders und selbstverständlich James Brown beschritten vielleicht als erste neue Wege, spielten ein oft monoton groovendes Ding welches dann irgend jemand mit Funk betitelte. Funk war eigentlich aber nichts anderes als ein Konglomerat aus diversen schon vorhandenen Stilen, glich daher eher einem riesengrossen Experimentierfeld. Althergebrachte Songstrukturen wurden meist komplett zerschlagen, der Blick richtete sich auf hypnotische Rhythmen, einer wie Larry Graham begann auf dem Bass mit dem Daumen auf die Saiten zu hämmern und auf diese Weise die perkussive Ecke herauszufordern, Slapping war geboren. Zeitgleich meldete sich der Jazz, respektive der Jazzrock zurück, die einzig wahre Spielwiese für die Spitzenkönner die sich fortan Fusion nannte, machte weltweit die Runde, sorgte wie Funk ein paar Jahre für Furore. Blues hingegen lief nicht mehr gut, diverse Altstars arrangierten sich daher mit den aktuellen Gegebenheiten, sprangen auf den Zug auf bevor er den Bahnhof verlassen hatte. Manchen gelang das, andere verpassten die Gelegenheit und gerieten aufs Abstellgeleis von dem es kein Wegkommen mehr gab.
Chess ging Mitte Seventies über die Ladentheke und Bo Diddley landete bei RCA. Das neue Label spendierte dem Altmeister eine All-Star-Session und nannte die Recordings etwas irreführend The 20th Anniversary Of Rock’n’Roll. Die erste LP-Hälfte mehrheitlich bestückt mit Songs des Produzenten Ron Terry, die zweite Etappe ein „Bo Diddley Jam“ mit den Klassikern aus Bo’s Feder. Seite 1 brachte nochmals den ins abseits trudelnden Funk ins Spiel, wartete glücklicherweise wieder mit weiblichen Background-Vox auf welche bei Big Bad Bo leider verzichtet worden war. Für Drums & Bass stellten sich Carmine Appice und Tim Bogart zur Verfügung, die Marschrichtung dementsprechend ziemlich rockig. Die gitarristische Seite wurde gleich mit einer ganzen Armada abgedeckt: Elvin Bishop, Albert Lee, Alvin Lee, Roger McGuinn, Leslie West, aber gerade in diesem Bereich tun sich eklatante Mängel auf, die Flinkefinger-Artisten drifteten damals (nicht nur auf diesem Album) kollektiv ins musikalische Niemandsland ab, konnten nicht mehr an ihre glorreiche Zeit anknüpfen. Weil der Produzent das erkannt hatte, sind die ganzen Gitarren deshalb vielleicht auch ein wenig in den Hintergrund gemischt, jedenfalls beim Jamn auf Seite B. Die Funk-Seite mit einem an Isaac Hayes erinnernden RIDE THE WATER oder dem Cover von NOT FADE AWAY ist schlussendlich ergibiger. Mit The 20th Anniversary Of Rock’n’Roll schloss sich der Kreis, Bo kehrte zu seinen Wurzeln zurück…
Mein höchst persönlich eingefärbtes und abschliessendes Fazit zum Funky-Bo der Siebziger:
Bo Diddley hatte mit einigen seiner Alben aber gezeigt, dass man als alternder Rock’n’Roller auch mal ein Wagnis eingehen durfte und mindesten zwei seiner Seventies-Scheiben, The Black Gladiator und Where It All Began sind durchs Band gelungene Exponate einer Stilrichtung die innert kurzer Zeit über sich hinausgewachsen war.
Fazit Seventies-Funk allgemein: Die ursprüngliche Magie des Funk war schnell verflogen, das Terrain eroberten sich vermehrt versierte Musiker wie Stanley Clark, Marcus Miller, Rick James, in aufgeweichter Form Earth, Wind & Fire oder in Kombination mit hartem Rock Mother’s Finest. Für jemanden aus einer anderen Ecke kann aber einer wie Bo Diddley kann durchaus der Einstieg sein in die Welt von Soul und Funk. Das Gebiet umfasst gigantische Steinbrüche mit tausenden Exponaten die es zu entdecken gilt…
LONG LIVE ROCK AND ROLL!
mellow
Ja verwirrend, Ellas Otha Bates war sein Geburtsname, er wuchs aber bei einer Cousine seiner Mutter auf die ihn auch adoptierte, deshalb der Namenswechsel zu Ellas McDaniel. Manchmal wurde aus Ellas auch Elias, also aus dem Doppel-l ein li, wahrscheinlich weil Elias geläufiger war als Ellas. Vielleicht war der seltene Vorname Ellas aber auch ein Fehler beim Ausfüllen der Geburtsurkunde, so ganz genau lässt sich wohl kaum mehr überprüfen.
Hallo mellow , bisher war ich der Meinung , dieser Bo Diddley hätte mit bürgerl. Namen :
Elias Mc. Daniels geheißen ?? .