Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung.
Ach, lange verdrängt, aber kürzlich hat mich dieser Easy-Listening-Trash mal wieder kalt erwischt, ich bin zufällig bei der Recherche punkto Deutsche Musikvergangenheit drüber gestolpert. Genauer definiert bei der Jagd nach vergessenen Mittesechziger-Schlagerkrachern von Drafi, Ria Bartok, Sandra & Sharon, Renate Kern und Co., da baute sich urplötzlich James Last mit seinem Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung vor mir auf. Ich vermute in Mitteleuropa kennen diese Melodie fast alle derzeitigen Pensionärinnen und Pensionäre, selbst wenn dieses Wissen standhaft verdrängt wird, weil damals (Ende 60er/Anfang 70er) hörte man doch Rock, Folk, Jazz, Kraut, Brian Auger & Julie Driscoll, Blood Sweat & Tears oder zumindest Pop aus Holland. Die meisten Radiostationen nahmen 1968 die Titelmelodie des gleichnamigen Familienfilms von Kurt Hoffmann (nach der Romanvorlage Morning’s At Seven des Briten Eric Malpass) mit Handkuss an, diese 4 Minuten Loungecore waren für ein paar Jahre ein geniales luftig leichtes Vehikel um bei den Hörern den Gute-Laune-Button zu drücken und ihnen ein Lächeln auf’s Gesicht zu zaubern.
Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung.
Ja, die Welt war noch nicht so vernetzt und hektisch wie heute im 21. Jahrhundert, das Leben spielte sich scheinbar im Zeitlupentempo ab, es gab noch Postboten, Bus und Bahn dackelten gemütlich vor sich hin, in jeder Lebenslage steckte eine Fluppe zwischen den Lippen (Ria hätte das besser nicht gemacht, 1970 fackelte sie sich und ihre Bude mit einer Zigi ab und beförderte sich damit auf dem schnellsten Weg nicht in den Pop-Himmel sondern ins Jenseits). An jeder zweiten Wand hing ein Poster von Hendrix (ob man den Ami nun mochte oder nicht geschweige denn seine irre Musik, ein cooler Zeitgenosse war er aber allemal) auch wenn man viel lieber die Beatles, die Bee Gees oder Lords statt Stones auf den Plattenteller legte. Von Computern brauchte man noch keine Ahnung zu haben, fundiertes Wissen über Schreibmaschinen im täglichen Kampf mit der Technik war da wesentlich hilfreicher.
Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung.
Vielleicht wäre es reizvoll einfach mal auszuprobieren wie es wäre, wenn man sich nicht gleich mit dem morgendlichen Aufstehen von News, Mitteilungen, Social Media und Fussballresultaten zumüllen lassen würde, Finger weg von Handy und Tablet, verschwende keinen einzigen Gedanken daran. Einfach mal die Augen öffnen, durchatmen, sich strecken, das Kaffeeaufberbeitungsgerät starten und dem gemütlichen Schnurren des Gerätes zuhören. Wer weiss, vielleicht stellt sich ja dieses Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung-Feeling ein, an James und seinem Orchester sollte es nicht liegen, das orchestrierte Gebläse und die Strings waren nie nebulöser, der Sound des Taktstockmeisters war nie entspannter als auf dieser Aufnahme. Laaa-lalalalaaa-laaaaa-la-la-la… nein, einen Text braucht es hier wirklich nicht, die Melodie erledigt das im Alleingang, stell dich hin mit ausgebreiteten Armen wie Supergirl oder Superman, atme tief durch, schliess die Augen und lass dich ganz einfach ins Soundbed mit den Streichern, Oboen und den gesofteten und mit Tüll verhüllten Trompeten fallen. Die jubilierenden Piccolos verschmelzen mit dem Gesang der Singvögel draussen im Garten, das unaufhörliche Ticken der Uhr blendet sich automatisch aus, du übergibst jegliche Verantwortung, Herzschlag, Puls und Kontrolle dem Drummer des Orchesters der dich gemütlich und unspektakulär in den Morgen federt. Und ja, frisch zubereiteter Kaffee am Morgen ist überwältigend, die fein duftenden Brötchen aus dem Ofen ebenfalls, irgendwie fühlt sich eine solche imaginäre Szene an wie Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung.
Mal ehrlich, war damals Morgens um 7 die Welt wirklich noch in Ordnung oder unterliegt man hier im Nachhinein einer Täuschung? 1968 und die folgenden Jahre waren alles andere als lustig, Stichwort Studentenbewegung, Strassenkampf, es brannten nicht nur Autos und Barrikaden, bei manchen brannten die internen Sicherungen des gesunden Menschenverstandes durch. Mitten in Deutschland stand diese seltsame Mauer mit welcher man verhinderte, dass sich die Leute zum gemeinsamen Feierabendbier in der Kneipe treffen konnten. In Europa ging man zu Beginn der 70er dazu über mittels Fahndungsplakaten nach anarchistischen Gewalttätern (später schrieb man Terroristen) zu fahnden, die immer wieder aktualisierten Plakate hingen überall, selbst an der Tanke hier im Dorf. In Nahost und Vietnam regnete es Bomben zu fast jeder Tageszeit. Trotz Woodstock und Hippiebewegung, die Vereinigten Staaten wurden von einem narzistischen Versager angeführt. Was man damals noch nicht wusste: Später sollten Mr. Nixon noch viel grössere Nieten nachfolgen, der allergrösste Rohrkrepierer der amerikanischen Geschichte (ja, genau, richtig geraten, DER, gemeint ist der Typ mit der Intelligenz einer Fahrradklingel) träumt derzeit noch immer von einer noch viel grösseren Mauer, „a huge wall, ya know“. Hoppla, ich schweife ab, umgehend zurück zum Thema: Man sprach noch nicht von Klimawandel weil das Thema so noch nicht definiert war, aber der Dreck der vom Himmel fiel versprach keine problemlose Zukunft, selbst wenn man es noch nicht konkret wusste, man ahnte zumindest, dass da einiges im Argen war. Ausgehend von der Zeit als die Melodie von Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung einen auf Schritt und Tritt verfolgte, dauerte es aber noch ein paar Jahre bis sich in weiten Teilen von Europa auf breiter Basis ein soziales Gewissen aufbaute und couragierte Bürger sich aufmachten um gegen Wirtschaft und Staat mit (meist) demokratischen Mitteln anzutreten.
Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung.
Der Grundgedanke ist irgendwie cool, auch wenn es wohl schon 1968 um ihn geschehen war. Die heile pastellfarbene Epoche des Wirtschaftswunders lag auf dem Sterbebett, politische Wirren und ökologische Katastrophen hielten sich an keine Uhrzeiten und liessen sich nicht tagtäglich um 7 Uhr wieder auf einen Nullstand zurückfahren, das Rad der Geschichte drehte sich unerbittlich weiter. Im Nachhinein betrachtet eine seltsame Übergangszeit, dieser eine Songtitel und die dazugehörige besinnliche Melodie beschreiben einen kurzen, fast intimen Moment der Hoffnung und der geistigen Einkehr, den Wunsch nach einem Leben vielleicht in dem man nicht dauernd zwischen Mühlsteine gerät.
In Gedenken an
Hans „James“ Last
(1929 – 2015)
LONG LIVE EASY LISTENING!
mellow