Dust

Auch bei Buddah Records und dem Sublabel Kama Sutra hatte man von den neuen Strömungen Kenntnis genommen: Progressive harte Rockmusik von Acts wie Led Zeppelin, Deep Purple, Jethro Tull und Iron Butterfly stürmte die Charts, sowohl bei den Singles als auch bei den LP’s. Da hatte man mit leicht verdaulichen Pop von Ohio Express und dem eher soften Folk des ewigen Hippie-Mädchens Melanie einen schweren Stand. Produzent Kenny Kerner wurde losgeschickt mit dem Auftrag, ebenfalls etwas „progressives“ an Land zu ziehen. Kerner wurde auch schon bald fündig und entführte drei Jungs in Lederjacken aus den Häuserschluchten von Brooklyn New York ins Aufnahmestudio.

Richie Wise (g, voc), Kenny Aaronson (bass) und der ca. 17jährige Trommler Marc Bell bildeten zusammen die Rockband Dust. Kerner und seine Entdeckung konnten nach Belieben in den Bell Sound Studios herumexperimentieren und so entstand ’71 eine erste LP, schlicht Dust genannt. Knallharter Rock im Wechselbad mit soften countryesken Parts wie zum Beispiel das Intro zu „Goin‘ Easy“ oder „Often Shadows Felt“, garniert mit Slideguitar, Dobro und Pedal Steel welche Bassist Aaronson beisteuerte, und dass obwohl diese Instrumente für ihn gänzlich „neu“ waren. Kernstück dieser ersten Platte war „From A Dry Camel“ welches für Kama-Sutra-Verhältnisse die astronomische Länge von 10 Minuten besass und mindestens so wild abrockte wie die Sachen der Doom-Begründer Black Sabbath.

Für die zweite Langrille Hard Attack (1972) mit dem auffallenden Axtkrieger-Gemälde von Frank Frazetta auf der Hülle wurde das Rezept und die Vermischung verschiedener Stile noch verfeinert: „Thusly Spoken“ mit Kammerorchester, Hammond und Piano ist eine romantische, verträumte Reminiszenz an Pink Floyd, in „So Many Times“ lassen sich durchaus die frühen „Queen“ erkennen. „How Many Horses“ hingegen ist eine unter die Haut gehende Ballade die auf akkustischen Gitarren basiert und mit ausgefeiltem Solo aufwartet. Im Gegensatz dazu steht ein brutal harter Song wie „Learning To Die“ den man ein paar Jahre später durchaus als New Wave oder Punk hätte verkaufen können. „Suicide“ schlussendlich ist der Prototyp eines Heavy Metal Songs schlechthin, und mündet in ein rasantes, rasierklingenscharfes Bass-Solo von Kenny Aaronson.

Warum die Geschichte von Dust (die auch schon mal für die Alice Cooper Band den Anheizer machen durften) nach zwei Platten bereits zu Ende ging, darüber schweigen die Geister. Einerseits war es wohl Richie Wise, dem ein Produzentensessel angeboten wurde und andererseits mag es die mangelnde Unterstützung durch das Label gewesen sein, man wusste eben doch nicht so recht was man dieser Truppe anfangen sollte. Die Labelmates Flamin‘ Groovies beklagten sich jedenfalls heftig über ihre Record Company: Dauernd war man auf Tour und kein Mensch wusste, dass eine neue Platte im Laden stand weil es ganz einfach keine Promotion gab.

Was geblieben ist sind zwei grossartige Rockplatten die auch nach Jahrzehnten Dornröschenschlaf noch immer nichts von ihrer ursprünglichen Frische verloren haben. Der Einfluss von Dust im Nachhinein betrachtet ist riesig, sie sind so etwas wie die Väter des Genres Stonerrock. Für mich persönlich sind Dust eine der grössten Rockbands aller Zeiten.

LONG LIVE ROCK!
MELLOW

 


Dust (LP, 1971, Kama Sutra, div. CD-Reissues)
1. Stone Woman
2. Chasin‘ Ladies
3. Goin‘ Easy
4. Love Me Hard
4. From A Dry Camel
5. Often Shadows Felt
6. Loose Goose


Hard Attack (1972, LP, Kama Sutra, div. CD-Reissues)
1. Pull Away / So Many Times
2. Walk In The Soft Rain
3. Thusly Spoken
4. Learning To Die
5. All In All
6. I Been Thinkin
7. Ivory
8. How Many Horses
9. Suicide
10. Entrance

Epilog.
Richie Wise stellte die Gitarre in die Ecke und wurde Producer, unter anderem für die ersten beiden Alben von Kiss. Die glorreiche Epoche in welcher man als Jungproduzent in kürzester Zeit Millionär werden konnte scheint allerdings heute vorbei zu sein. Ach ja – an dem eher betrüblichen Rock’n’Roll Warrior-Album von Savoy Brown war er auch beteiligt. Okay – das Band-Lineup hatte aber der Mr. Simmonds zusammengestellt und an der Produktion gibt es von technischer Seite eigentlich nichts auszusetzen…

Bassman Kenny Aaronson feierte nach dem Ableben von Dust als Mitglied der Stories mit „Brother Louie“ einen No. 1 Hit in USA und spielte danach ein paar Jahre lang in der Band von Rick Derringer. Seinen Namen findet man auf dutzenden verschiedenster Projekte, auch bei Bob Dylan und Foghat hat er schon ‚mal ausgeholfen als da gerade Not am Manne war, ausserdem war er ein Teil von Hagar, Schon, Aaronson, Shrieve. Seit ein paar Jahren ist Kenny Aaronson bei seinen Idolen The Yardbirds für die tiefen Töne verantwortlich.

Marc Bell unterzog sich nach seiner Zeit bei Richard Hell And The Voidoids (mit denen er den Punkklassiker „Blank Generation“ zu verantworten hatte) einer kleinen Namensänderung und tourte ab 1978 als Marky Ramone mit der wohl bekanntesten New Yorker Band um die Welt und versucht auch heute noch mit eigenen Formationen Temporekorde zu brechen.

Und wer mal über den Alpenhorrorfilm Sennentuntschi (2010) von Michael Steiner stolpert, der sollte bis ganz zum Schluss (Abspann) durchhalten, dort gibt es zur Belohnung ein paar Takte „From A Dry Camel“

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