Guy Darrell

Eine Situation die sich mittlerweile fast jeden Sommer wiederholt: Mitteleuropa schwitzt, wird heimgesucht von extrem hohen Temperaturen die durch zuströmende heisse Luft aus dem Bereich der algerischen Sahara verursacht werden, da ist Erfrischung angesagt. Um durstige Kehlen zu besänftigen öffne man also seinen Kühlschrank und bediene sich. Allerdings sollte man vorzugsweise Wasser trinken, mindestens 1,5 Liter pro Tag wird empfohlen. Eine weitere Verhaltensregel lautet: Vermeiden sie körperliche Anstrengungen

Okay, alles klar, dann sollte man vielleicht besser keine Tonträger von Guy Darrell auflegen oder einschieben, es besteht die Gefahr, dass der Sound in die Glieder fahren könnte und man/frau versucht wäre das Tanzbein zu schwingen. Fakt ist, dass der 1944 in Kent geborene Sänger Guy Darrell (ein Künstlername, bürgerlich hiess er eigentlich John Swail) ab Mitte der 1960er äusserst heisse Songs im Bereich Soul veröffentlichte. Am Anfang des Jahrzehnts stand er noch im Dienst von Ray McVay, einem Bandleader mit eigener Bigband der unzählige Platten im Bereich Easy Listening / Fahrstuhlcore veröffentlichte, darunter auch eine PYE-Single von 1965 mit den instrumentalen, trashigen Nummern „Kinda Kinky“ und „Kinkdom Come“ die heutzutage durchaus auch mal für 100 Euro oder mehr gehandelt wird.

Guy Darrell hatte eine Schwäche für diese neue Musik die in Übersee produziert und mit Soul und Rhythm & Blues etikettiert wurde, diese amerikanischen Einflüsse waren vermutlich grösser als derjenige der berühmten Pilzköpfe aus Liverpool. 1964 nahm der Sänger mit seiner eigenen Gruppe unter dem Namen Guy Darrell And The Midniters zwei Singles auf, ab 1965 nannte sich die Unternehmung Guy Darrell And Wind Of Change, sie lieferten eine vorzügliche Single mit einer Coverversion von „Stupidity“ von Solomon Burke ab, der Titel wurde später auch von Dr. Feelgood unter die Lupe genommen.


Danach verzichtete Darrell vorerst auf eine feste Begleitband, er ging solo und veröffentlichte unablässig weitere Singles, zunächst bei CBS, ab 1967 bei PYE. Der einzige dieser veröffentlichten Tracks der mir nicht gefällt ist „Evil Woman“ (1967), da ist man mit der Version von Spooky Tooth weit besser bedient möchte ich mal behaupten. Aber sonst war das Zeug das Guy Darrell auf Single presste ausgezeichnet, allen voran „I’ve Been Hurt“ von 1966, eine Coverversion des Hits des amerikanischen Vokalensembles The Tams. Klasse Soul, ganz klar ein Fall für die britischen Mods, allerdings schrammte die Nummer mit dem herrlichen Glockenspiel-Schmachtfetzen  „Blessed“ (von Paul Simon) auf der B-Seite an den Charts vorbei, ausser in Südafrika. Trotz zeitgemässen, gut gemachten und von Guy Darrell hervorragend vorgetragenen Songs stellte sich kein zählbarer Erfolg ein.


Darrell setzte ab 1969 wieder auf eine feste Band, aber bereits nach einer Single von The Guy Darrell Syndicate verwandelte sich die Band in Deep Feeling. Angepasst an den angesagten Progressivrock wurden die Songs länger und sprengten mehrheitlich den bislang praktizierten Drei-Minuten-Format-Rahmen. Die neue Richtung wurde ganz klar mit dem 9minütigen Titeltrack und mit dem Instrumental „Classical Gas“ aufgezeigt. Guy Darrell hatte sich ebenfalls verwandelt, nicht nur die Haare waren länger geworden, er verzichtete bei Deep Feeling auch auf sein Künstler-Pseudonym und brüllte nun als John Swail (sein offizieller Geburtsname) ins Mikrofon. Beim Label DJM (Elton John, Mr. Bloe, Cilla Black) erschien 1971 eine gleichnamige LP die wegen der Grafik und dem gleichnamigen Song manchmal auch als Guillotine-Album bezeichnet wird. Im Gegensatz zu ihrem Label-Kollegen Elton John geschah karrieretechnisch bei Deep Feeling aber nichts, der Longplayer verkaufte sich nicht, da erging es ihnen auf kommerzieller Ebene gleich wie der DJM-Hausband Hookfoot.


Deep Feeling (die trotz Namensgleichheit nichts mit dem gleichnamigen kurzlebigen Projekt von Jim Capaldi zu tun hatten) versanken danach bis 1973 in einen Dornröschenschlaf. Doch dann wurde die Band kurzzeitig wachgerüttelt: Die Bewegung Northern Soul hatte „I’ve Been Hurt“ ausgegraben und die Wiederveröffentlichung ging die britischen Charts hoch, erreichte Platz 12. Der Auftritt von Guy und Deep Feeling bei Top Of The Pops verwirrte allerdings die Northern-Soul-Fangemeinde, langhaarige Hippies mit gigantischem Seehundschnauzer und „I’ve Been Hurt“ passten ganz einfach nicht zueinander, Darrell und seine Band konnten kein Kapital aus der Situation schlagen. Stattdessen sollte die Chose nun plötzlich wieder unter der Bezeichnung Guy Darrell laufen, Rock’n’Roll und Soul anstelle von ausufernden Longtracks. Eine offenbar hastig produzierte LP mit R&R-Standards und Soultiteln, darunter auch eine Neueinspielung von „I’ve Been Hurt“ erschien nur im Königreich und in Italien und ging völlig unter. 1974 verliessen zwei weitere Singles die Plattenpresse, darunter das ausgezeichnete „Suzie“, ein typischer Glamrocksong mit stampfendem Groove.

Bis zuletzt an Bord war Gitarrist Martin Jenner, ein sicherer Rückhalt seit Guy Darrell Syndicate, er sollte in Zukunft für unzählige Stars im Studio aber auch auf der Bühne stehen, von Cliff Richard über die Everly Brothers (mit Albert Lee) bis hin zu Elkie Brooks.
Er starb 2003 in seiner Wahlheimat Australien.

Guy Darrell, alias John Swail zog sich 1975 aus der Showszene zurück und betrieb ein Pub in Swanscombe, Kent. 2003 starb er in Spanien im Alter von 68 Jahren.

LONG LIVE ROCK’N’SOUL!
mellow

 


Guy Darrell – I’ve Been Hurt –
The Complete 1960s Recordings (CD, RPM, 2017, 28 Tracks)


Deep Feeling

(LP, DJM Records, 1971 / CD, Grapefruit, 2018, 13 Bonustracks)

 

Deep Feeling:
John Swail – Vocals
Martin Jenner – Guitar, Pedal Steel, Vocals
Derek Elson – Keyboards, Vocals
David Green – Bass, Flute, Vocals
Graham Jarvis – Drums, Percussion, Vocals
(Sessiondrummer bei Cliff Richard, Sally Oldfield, Tina Turner etc.)

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