Neu! Same

Neu! Same

 

Eigentlich soll das hier irgendwann mal einen 4-Teiler geben. Neu! und weiterführende Projekte. Sollte, hätte, würde, könnte! Das Thema habe ich remo4 und mellow schon vor Monaten vorgeschlagen, ich glaube wir feiern jetzt den ersten Jahrestag einer ungeschriebenen Kleinserie. Dazu ganz kurz zum Thema wie ich meistens Texte schreibe. Normalerweise ist es mir am liebsten, ich habe keine Ahnung davon was die Welt um mich herum zu einem Thema meint und wenn sich das nicht vermeiden lässt, dann halt so wenig wie nur irgend möglich. Im Vorfeld zu diesem Thema habe ich mich anfangs regelrecht eingegraben in Krautrockforen und die Diskussionen dazu gelesen. Fehler, ganz schlimmer Fehler! Wenn es wenigstens noch Foren gewesen wären, in denen die Mehrzahl der Teilnehmenden aus Deutschland gekommen wären und bereits zur Geburtsstunde des Krautrock das Phänomen aktiv verfolgt hätten, ja, dann …

 

… aber, blöderweise hatte ich mich in Foren umgesehen, die von Amerikanern und Briten völlig übernommen worden waren. Und diese haben eine Tendenz den Krautrock zu definieren auch wenn sie ihn nicht verstehen und nie verstanden haben (musikalisch und kulturell nicht). Julian Cope hats versucht und ist grandios gescheitert (und hat den Fehler nochmal wiederholt in seinem Buch über Rock aus Japan). Ich gebe gerne zu, ich habe die beiden Bücher jeweils nur bis zur ca. 50. Seite durchgehalten und musste dann aufgeben. So viel Nichtwissen, Arroganz und Blödsinn kann man sich nicht vorstellen. Jedenfalls nicht, wenn man noch alle Tassen im Schrank hat. Und genau so geht es mir mit Diskussionen über Krautrock bei denen Amerikaner, Briten etc. die Stammtischhoheit übernehmen wollen. Jungs und Mädels, ihr wart nicht dabei, versteht die deutsche Kultur nicht, habt keinen Schimmer was Krautrock ausmacht (die deutsche Presse zur damaligen Zeit übrigens zum letzten Punkt auch nicht). Das wäre ähnlich als würde ein deutscher Stammtisch denen erklären wollen was Punk, Rock’n’Roll, Blues, Soul etc. geschichtlich wirklich bedeutet hat, wie diese Stile von der damaligen Jugend aufgenommen wurden und die sozialen Probleme und auch Freuden, die sich daraus ergaben. Wollt ihr das? Dann noch am Besten von jemandem mit Jahrgang 1990?

 

Jedenfalls war ich wieder mal ziemlich sauer (und bins immer noch, falls ihr das nicht gemerkt haben solltet). Aber zum Thema, von einem, der, obwohl ziemlich jung damals, von Anfang an dabei war. Und ich meine von Anfang an. Ich weiss nicht warum ich mich Ende der 60er gerade an die Beat- und Rockmusik (mit so ziemlich allen Facetten) aus Deutschland anhängte, allerdings lief damals auf einem dritten Radiosender im Süden Deutschlands am Mittwoch Nachmittag je eine halbstündige Sendung zum  Thema Rock und Pop aus Deutschland. Karlheinz Stockhausen kannte ich schon und war von dessen Musik total fasziniert, aber dann wurden in dieser Radiosendung (war das mit Laufenberg – zumindest teilweise?) so Sachen wie die erste und zweite LP von Kraftwerk gespielt, Tangerine Dream aber auch Eulenspygel, Ton Steine Scherben etc. und, ja auch Neu! als es dann mit der Band so weit war. Das alles war wie Weihnachten und Neujahr zusammen und Krautrock, wie das Ding später hiess, prägt mich bis heute, allerdings, das gebe ich gerne zu, nur die Jahre bis 1975.

 

Aber nun zum Thema: Neu! Die beiden Gründer, Michael Rother und Klaus Dinger hatten ja eine kurzzeitige Anstellung bei Kraftwerk (kann man alles woanders nachlesen), wobei sie nicht im gleichen Line-up dabei waren. Nur von Klaus Dinger gibt es da eine Plattenveröffentlichung und zwar das Debut von Kraftwerk. Michael Rother hat es nie auf eine Tonträgerveröffentlichung geschafft, aber man kann auf YT ein Video finden in dem er in einer Liveaufführung auftritt (bei der einer der beiden Kraftwerkgründer damals eine Auszeit genommen hatte). Jedenfalls kam 1972 die Neu! „Same“ auf den Markt, mit Tracks die im Dezember 1971 aufgenommen wurden (Tontechnik Conrad (Conny) Plank). An dieser Platte war alles ikonisch. Angefangen vom Cover auf welchem nur der schräg gestellte Schriftzug Neu! stand, das rückwärtige Cover wo sich das ganze wiederholte (und ich gebe zu, ästhetisch hat das eine ganze Menge mit den ersten beiden Alben von Kraftwerk zu tun – wobei es damit auch schon Feierabend war mit den Vergleichen). Das aufklappbare Innencover war dann mal eine ganz andere Nummer. Verwaschene Handschrift, unscharfe Photos und ein Design, an das man sich zuerst mal gewöhnen musste. Und die Musik? Die war nicht von dieser Welt. Experimentell, nie so gehört und, auch wenn ich mich da auf die Aeste rausbegebe, die Verwandschaft mit Karlheinz Stockhausen schimmert da für mich durch, auch wenn Stockhausen nie diesen direkten Zugang zum Publikum herstellt und das Modewort Motorik für ihn nicht wirklich passt. Diese repetitive Umsetzung eines Themas, z.B. in „Hallogallo“ war schon eine Ansage und wohl der Beginn der Motorik in der populären Musik. Und für mich definitiv keine Sekunde langweilig. Die meistens Tracks waren auch auf der längeren Spieldauer zu Hause. Hier die sechs Kompositionen zwischen 4:50 und 10:07.

 

„Sonderangebot“ geht noch weiter in die eigentliche Avantgarde, wobei ich den Track trotzdem nicht zur abgehobenen Kultur rechne, sondern das war ein Teil der Jugendbewegung. Wahrscheinlich konnten auch nur die verstehen, was da eigentlich lief. In meiner Clique gab es schon so ein paar Typen mit kurligem Musikgeschmack, aber das war sogar den Anhängern von Frank Zappa zuviel. Wahrscheinlich habe ich deswegen auch meine Liebe zu Avantgarde, Noise, Industrial etc. beibehalten. In den 80ern kam dann Drone (oder Drone Noise) auf und die Erben haben da von Neu! abgeschrieben. Die Band war ihrer Zeit so was von Voraus.

 

Auch das schleppende und meditative von „Weissensee“ war damals nicht courant nomal. Für mich ist das immer noch so frisch wie am ersten Tag, wobei ich gerne zugebe, ich wäre mir nicht sicher, ob ich die LP durchhalten würde, würde man sie mir 2021 zum ersten Mal vorspielen wollen. Daher auch meine Skepsis betreffend den zu spät Geborenen und deren Meinung zu 50 Jahre alter und geographisch eingeschränkter Musik.

 

Die ganze LP ist natürlich ein Klassiker und eigentlich möchte ich keine Komposition über die andere setzen, aber „Im Glück“ ist so etwas wie eine Zeitreise, am ehesten zu vergleichen mit „Weissensee“. Ruhig und meditativ und kilometerweit weg von Rock und Pop und trotzdem in dem Genre zu Hause. Ich verwehre mich gegen das Etikett „Ambient“, das ist bei mir negativ besetzt. Das ist eben Neu! mit ihrer Musik gegen alle Konventionen.

 

„Negativland“ ist dann schon wieder eher ein Rockstück, von Motorik bestimmt und einem Presslufthammer als Intro. Ich hab ganz vergessen zu erwähnen, das bis jetzt kein Gesang hinzugekommen ist. Die bisherigen 5 Tracks waren ausschliesslich Instrumentalstücke. Da ich aber ziemlich schnell auf der Jazzwelle geritten bin, haben mich fehlende Sänger nie gross irritiert. Hauptsache die Musik war spannend, da kann man gerne auch mal die Klappe halten. Hier kommt auch wieder das Industrial Genre durch, welches ich schon angesprochen habe.

 

Und den Abschluss bildet „Lieber Honig“. Meine Fresse, habe ich damals Leute mit dem Stück geärgert (und finde es immer noch sensationell gut). Akustische Gitarre (Klaus Dinger) und Stimme (ebenfalls Klaus Dinger). Der Track ist langsam und fällt fast auseinander. Klaus Dinger röchelt mehr als das er singt. Sehr eindrückliche Komposition, aber man muss sich darauf einlassen wollen. Ein Freund sagte mir mal, dass es sich dabei wohl um einen Blues handeln würde. Kann sein, ich hörs nicht raus. Anscheinend stand das Studio in der Nähe eines Baches, hier wird wieder Wassergeplätscher wie auf Seite eins eingesetzt.

 

1972! Dieses Album hat mich jetzt fast 50 Jahre begleitet und ist für mich ein Standard geworden, aber das im guten Sinne. Neu! waren definitiv nicht der Auslöser für mein Interesse an Musik abseits der Hupfdohlenhitparadenfernsehunterhaltung, aber sie haben einen echten Pflock eingeschlagen. Das Thema Neu! ist noch nicht erledigt. Eigentlich wollte ich Neu!, Neu! 2 und Neu! `75 in einem Beitrag zusammenfassen. Vielleicht gelingt mir das mit einer Doppelnummer zu Neu! 2 und Neu! `75, ich kanns nicht versprechen, entschuldige mich aber schon mal für die Auswälzung. Scheint aber wohl auf einen 5- oder 6-Teiler hinaus zu laufen.

(Visited 126 times, 1 visits today)

Ein Kommentar

  1. Noch schlimmer ist, wenn deutsche Fachkundige die in dieser Kraut-Kultur groß geworden sind, diesen Julian Cope und andere englischsprachige Schreiber zitieren und/oder als Referenz benennen. Damit bist nicht du gemeint Canvay, denn dein Beitrag macht ja genau diesen Aspekt sehr deutlich. Wir haben in Deutschland und sogar hier im Rockzirkus (hurra) genügend Fachkompetenz über unsere Musik der 70iger selbst Texte zu verfassen, Bilder einzustellen (habe ich schon in einigen Beiträgen gemacht) und aus eigener Erfahrung zu berichten. Es gibt genügend andere Themen die diese Schreiber aus Nordamerika oder von der verregneten Nordsee-Insel besetzen und bearbeiten können. Da sollten wir uns dann nur einmischen, wenn wir uns tatsächlich gut auskennen. Ein wunderbares Beispiel für eine gute Zusammenarbeit zwischen US und DE ist das Buch Crossroads (AAA Culture), den Beitrag könnt ihr hier im RZ nachlesen/sehen. Das Referenzwerk in Sachen Krautrock ist seit 1975 meines Erachtens Rock In Deutschland von Günter Ehnert [Taurus Press, Paperback, gibt es auch als CD-ROM], das mehrmals überarbeitet bis heute erhältlich ist (als CD-ROM). Auch das umfangreiche Lexikon Der Deutschen Live-Szene (Regionale/Überregionale Stars) von Charly Wilfer [Lexikon, Paperback] behandelt viele Bands der Krautrock-Szene, aber aus einem anderen Blickwinkel. Weiter ist Tief Im Westen – Rock und Pop in NRW [Emons, Buch] eine Fundgrube für den Liebhaber des Krautrock mit gutem Material auch Landesgrenzen überschreitend. Die letzten beiden sind leider nur noch gebraucht zu bekommen. Zum Thema Neu! und Düsseldorfer Szene ist Electri_City: Elektronische Musik aus Düsseldorf (Suhrkamp, Autor Rüdiger Esch, Basser von Die Krupps) erste Wahl, gibt es noch als Paperback. Dazu begleitend gibt es eine Kompilation als DCD (ELECTRI_CITY 1_2) mit 29 Titeln. Canvay, ich freue mich auf Teil 2 bis 6 der Serie. Bleibt Heiter & Gesund, Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe

Schreibe einen Kommentar zu Der SchoTTe Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert