Popol Vuh – Florian Fricke – Tragische Rocker 15

Alle sprechen über Berlin, Düsseldorf, Köln – und was ist mit München !!

In der klassischen, frühen Phase der deutschen Rockmusik, umgangssprachlich auch Kraut-Rock genannt, gab es eine kleine aber feine Schar von besonders skurrilen Formationen, dazu gehörten beispielsweise Amon Düül, Dissidenten, Embryo, Faust, Ihre Kinder, Out Of Focus und einige noch unbekanntere mehr, aber auch Popol Vuh. Der Name hat Wurzeln im Maya-Kult, erinnert namentlich an die Schöpfungsgeschichte der Menschheit. Warum skurril, weil sie nur minimal in das damals gängige Schema von klassischen Rockgruppen passten und dass in vielerlei Hinsicht. Keine Massenprodukte, deshalb leider von vielen Liebhabern guter Musik recht unbeachtet. Nichtdestotrotz gibt es bis heute einen harten Kern von Fans, die genau diese Musikperlen schätzen und behüten. Jede einzelne Formation ist ein Legenden-Beitrag wert, ich konzentriere mich zuerst einmal auf die Blau-Weißen-Bands (und Protagonisten) aus der Münchener Szene: Amon Düül, Amon Düül II und eben Popol Vuh.

Amon Düül – Diese berühmte Musik-Kommune fand sich 1967 zusammen. Der Gründerkern waren Chris Karrer, Peter & Ulrich Leopold und Rainer Bauer. Sie lebten in einer losen Gruppe aus Erwachsenen und einigen Kindern, machten alles gemeinsam, musizierten auch zusammen. Grundsätzlich eine gute Idee, die sicher auch positive Aspekte und Einfluss auf das menschliche Zusammenleben hat. Will man aber vor Publikum und sogar gegen Bezahlung auftreten, sollte man aber zumindest das Instrumentarium und kollektives Zusammenspiel über das rudimentäre hinaus beherrschen. Aber Non-Perfekt, Ursprünglich, Rustikal war auch Mission. Schon während der Aufnahmen zum ersten »selbstbetitelten Album« (auch »Psychedelic Underground«) bricht 1969 der musikalische Teil der Kommune auseinander. Beim im selben Jahr veröffentlichten »Para Dieswärts« ist bereits eine andere Truppe am Werkeln. Über die musikalische Reste-Rampe und einige berühmte Protagonisten wird seit über 50 Jahren in der Presse, Radio, TV endlos berichtet, ist aber tatsächlich nicht weiter der Rede wert.

Amon Düül: Psychedelic Underground (1969)

Amon Düül II: Yeti (1970, Liberty)

Popol Vuh: Affenstunde (1970, Liberty)

Amon Düül II – Der Abtrünnige Internatsschüler und Jazzer Chris Karrer gründete mit einigen guten Freunden, Renate Knaup, John Weinzierl, Falk-Ulrich Rogner, Dieter Serfas, Christian Thiele (später Sameti), eine richtige Musikgruppe als Kunst- und Kommunikationskreis. Auch in diesem Kollektiv gibt es ein munteres kommen und gehen, später sind auch noch Daniel Fichelscher, Peter Leopold, Lothar Meid, Rolf Zacher und viele andere kürzer oder länger Mitspieler der Band. Schon mit der Liberty-Trilogie »Phallus Dei« (1969), »Yeti« (1970), »Tanz Der Lemminge« (1971), entsteht deren Fundament, bis heute berechtigt wesentlich beachteter und positiver bewertet als alles von der ursprünglichen Mark-1-Truppe. Die weitere auch sehr interessante Geschichte werde ich aber ein anderes Mal weitererzählen. Unglaublich was damals so los war in der Münchener Underground-Szene. Und damit sind wir nun bei den Verbindungen zu Popol Vuh, eben die lokale Münchener Künstlerschar und das Label Liberty. Das die Düüls was konnten, davon konnte ich mich mehrmals überzeugen.

Florian Fricke – Nachdem auch in München und Berlin die Hippies immer musikalischer und aufständischer wurden, entstand 1969 um den 1944 in Lindau am Bodensee geborenen Florian Fricke (23. Februar) im bayrischen Süden eine experimentelle Gruppierung. Florian spielte in der Kindheit schon früh Klavier, das ist für talentierte, motivierte Kinder erst mal nichts Ungewöhnliches. Dagegen das studieren von Klavier, Komposition und Dirigieren an den Musikhochschulen Freiburg und München schon eher. Zeitweise lebte er auch in Miesbach. Bereits 18-jährig drehte er schon Kurzfilme, schrieb als Film- und Musik-Kritiker für den Spiegel, Süddeutsche und Neue Züricher. Es war somit kein echter Zufall das er 1967 den 24-jährigen Regisseur Werner Herzog traf, in dessen Spielfilm-Debüt »Lebenszeichen« er eine Rolle spielte. Später komponierte Fricke auch die großartige Musik für verschiedene, ausgezeichnete Filme mit bekannten Darstellern (unter anderem: Isabelle Adjani, Bruno Ganz, Klaus Kinski) von Werner Herzog, unter anderem für »Aguirre: Der Zorn Gottes«, »Herz Aus Glas«, »Fitzcarraldo«, »Nosferatu: Phantom Der Nacht«. Auch die Begegnung mit Eberhard Schoener war 1968 unvermeidbar, denn Schoener richtete an den Münchener Bavaria Studios ein Labor für elektronische Musik ein und experimentierte als einer der ersten deutschen Musiker mit dem Moog-Synthesizer.

PV: In den Gärten Pharaos

PV: Das Hohelied Salomos

Popol Vuh: Aguirre Soundtrack
Popol Vuh: Promo_3

Formierung – Gemeinsam mit Holger Truelzsch (Perkussion) und Frank Fiedler (Synthesizer) gründete Florian Fricke das Band-Projekt Popol Vuh (Schöpfungsgeschichte aus dem heiligen Buch der Mayas, Quiche Indianer). Signifikant waren vom Beginn, eine durchgängig Nicht-Kategorisierung und die exzessive Verwendung des damals ultrateuren, modularen, großen Ur-Synthesizer Moog III (der damalige Kaufpreis lag je nach Ausstattung weit über 50.000 DM). Er machte einen gewagten Schritt, ließ alle musikalischen Konventionen hinter sich und betrat neue Territorien. Florian Fricke: „Die Musik, die man mit einem Moog machen kann, umfasst schlechthin die Empfindungsmöglichkeiten des Menschen.“ Der ausgebildete Konzert-Pianist Florian Fricke hatte sich damals schon früh von typisch Klassik und Jazz abgewandt, weil Florian sich von den Konventionen und Regeln dieser Genres stark eingeengt fühlte. Er hatte bei diesem komplexen und mächtigen Instrument schon innerhalb von sechs Monaten die wichtigsten Hürden genommen und schöpfte das Potential dieser Klang-Maschinerie weidlich aus. Andere Bediener die dieses Gerät später benutzten (wie Klaus Schulze) sind jedoch, trotz viel weniger Virtuosität, wesentlich berühmter geworden. In der Folge verschmolz Florian immer intensiver mit diesem modernen damals untypischen Instrument, baute die synthetischen Klangstrukturen geschickt in seine Kompositionen ein. Das haben auch andere Künstler Anfang der 70er gemacht oder versucht, aber keiner hat es so human und komplex geschafft wie Florian Fricke. Durchaus passend bettete die Band oftmals religiöse oder mystische Motive damit synergetisch in ihren besonderen Kompositionen ein, da waren die künstlich eingefügten Klangmuster überhaupt kein Widerspruch. Aber es gibt auch noch einige andere Künstler die den Spagat zwischen natürlichen und synthetischen Klängen auch ähnlich gut geschafft haben. An dieser Stelle möchte ich schon mal die Klang-Visionäre Swami Chaitanya Hari Georg Deuter und Eberhard Schoener (ebenso Besitzer eines Moog) nennen. Beide sind auch Protagonisten der süddeutschen Szene. Durch Eberhard, damals Leiter der Münchener Kammeroper, kam Florian sogar in Kontakt mit diesen modernen elektronischen Tasten-Instrumenten und dessen Einsatz in populärer Musik. Das sind auch zwei erzählenswerte Geschichten, aber weitere Themen für später einmal. Popol Vuh wollte sich nicht in eine Genre-Schublade stecken lassen, selbst bezeichneten sie den eigenen Stil als lyrische Rockmusik, Picture Music oder kosmischer Space-Rock. Die Trio-Phase des Projekt ist nach zwei Alben bereits 1971 wieder Geschichte.

Popol Vuh: Promo_2

Frühe Werke – Mit ihrem Erstlingswerk »Affenstunde« (Heim-Studio-Aufnahme 1970, Liberty) bereits eine Expedition in mysteriöse, meditative Klanglandschaften sowie teutonischen Tiefsinn. Willkommen in der Welt von Popol Vuh, eine Formation die einst eine Schar von Jünger in Ekstase versetzte. Sanfter und meditativer als Weggefährten wie beispielsweise Tangerine Dream und die Düsseldorfer Elektroniker, blieb Popol Vuh eher konsequent unkommerzieller. In den Siebzigern war es in Deutschland noch möglich, regelmäßig schräge Platten rauszubringen ohne sich in erster Linie um Verkaufszahlen zu scheren. Obwohl gerne zu der selbstironischen Gattung Krautrock gezählt, passte Popol Vuh in keine Stil-Schublade, waren 30 Jahre eine Eigenmarke. Daran anknüpfend auch das nachfolgende Album »In den Gärten Pharaos« (1971, Pilz), dass noch eine Spur besser komponiert, produziert und Instrumentiert war. Beide Meilensteine der frühen Elektronik-Musik bilden die erste und wichtige Phase auf dem steinigen Weg des Florian Fricke. Danach klingt bereits seine Begeisterung für den damals magischen Synthesizer ab, Fricke verkauft den Moog an Elektronik-Papst Klaus Schulze, der das Gerät dann bis 2005 einsetzte. Zehn Jahre später erschien »Affenstunde« dann noch einmal als Vinyl bei Innovative Communication (IC/Digit), dem legendären Label von Klangmeister Wahnfried Schulze. Und noch einmal zwanzig Jahre später eine weitere Veröffentlichung als »Affenstunde – Die Nacht Der Seele: Tantric Songs« mit dem elektronischen Debüt und dazu noch als Gegenpol das 11-teilige esoterischen Material vom 1979-Album, veröffentlicht beim italienischen Label High Tide.

Popol Vuh: Promo_5

Popol Vuh: Promo_4

Zweite Inkarnation – Nun rückten esoterische, sakrale und religiöse Themen noch mehr in den Mittelpunkt. Mit dem dritten Album »Hosianna Mantra« (1972, Pilz) stießen Conny Veit (später Gila), Sängerin Sabine Merbach (damalige Lebensgefährtin von Conny), die koreanische Sängerin Djong Yun (exaltierte großartige Sopran-Stimme), Robert Eliscu (später Between), Klaus Wiese (ab 1981 sehr erfolgreicher Solist) und einige wechselnde Gäste zum Zeremonienmeister Fricke. Auch Florians Frau Bettina von Waldthausen arbeitet Non-Musikalisch nun noch stärker an den Werken ihres Mannes mit. Für »Seligpreisung« (1973, Kosmische Musik), aufgenommen in der Stiftskirche Baumburg in Altenmarkt war ebenso Schlagwerker Daniel Fichelscher (Amon Düül II, Niagara) in der Trommelburg erstmals dabei. Yun war ebenfalls nach einer Pause auch wieder auf den Alben »Einsjäger & Siebenjäger« von 1974 und »Das Hohelied Salomos« (1975, United Artists) zu hören. Die 70er sind die produktivste Phase von Popol Vuh, Alben teils in Halb-Jahres-Rhythmus. Neben regelmäßigen Studioalben und sehr seltenen Live-Auftritten wurde die Band besonders durch die intensive Zusammenarbeit mit dem innovativen bayrischen Regisseur Werner Herzog bekannt, für dessen Filme Popol Vuh mehrmals die passende musikalische Untermalung erschuf. Kennzeichnend für Aufnahmen aus dieser Phase ist auch die Verwendung der Choir Organ, ein skurriles Instrument in Einzelanfertigung. Mit diesem Mellotron ähnlichen Gerät konnten bereits einfache Samples erzeugt werden, die als synthetische Chorstimmen oder Orchesterklänge in die klassische Instrumentierung der Band integriert werden konnte. Über die Herkunft und den Verbleib des Instruments gibt es keine sicheren Erkenntnisse und laut Frank Fiedler auch keine Foto-Dokumente. Er beschreibt das Teil aber als verrücktes, lautes Gerät in zwei Holzkisten mit 60 bis 80 Bandschleifen die über eine Tastatur gesteuert wurden. Dieses einmalige Gerät wurde in den 70er von mehreren Personen der Münchner Musikszene verwendet und ist zum Beispiel auf Alben »Wolf City« oder »Tanz Der Lemminge« von Amon Düül II sowie auf Musik von Klaus Doldinger zu hören. Die ersten Auftritte im Ausland fanden im Herbst 1974 als Tournee und 1976 im Großraum Mailand statt.

Kurze Symbiose mit Düül II – Der dritte Teil der Popol Vuh Geschichte zeigt noch einmal deutlich wie geschlossen die Münchener Szene damals zusammenarbeitete. Nach der Moog-Choir-Organ-Phase, dann die schrittweise komplette Abwendung von elektronischen Geräten hin zu Musik mit traditionellen Instrumenten und vielfältigen Gesangsstimmen. Florian Fricke: „Ein schöner und ehrlicher Weg scheint mir heute zu sein, sich ohne technische Hilfsmittel zu reinigen und zu verinnerlichen.“ Ab »Seligpreisung« (1973) war Daniel Fichelscher bereits der Schlagzeuger bei Popol Vuh, ab der Filmmusik »Herz Aus Glas« (1977) war auch Renate Knaup für einige Jahre Mitarbeiterin und für »Sei Still, Wisse Ich Bin« (1981, mit Chor der Bayrischen Staatsoper) kurz auch Chris Karrer als Saxofonist mit dabei. Für mich ist 1972-1982 die stärkste Phase des Projekts um Florian. Gerhard Augustin war, neben Bettina und Florian, im gesamten 80/90er Jahrzehnt häufig fleißiger Helfer sowie Produzent und ist bis zu seinem Tod 2021 Vermächtnis-Verwalter.

Minimal, Ambient, New Age – In seinem letzten Karriereabschnitt, Mitreisender nun auch Sohn Johannes Fricke, entstanden auch noch zwar in größeren Abständen regelmäßig Alben und auch die waren weiter stark von Florians visionären Ideen geprägt. Aber leider hatte sich die Musik-Welt stark verändert, war noch viel weniger interessiert an den musikalischen Reisen des Florian Fricke. Ende der 70er beschäftigt sich Florian mit Klangtherapien und entwickelt mit dem Alphabet des Körpers eine eigene Therapieform. Mit der Atemtherapeutin Maya Rose als Vokalistin erscheint »City Raga« (1994, Milan), dann »Shepherd’s Symphony« (1997, Mystic Records) und zuletzt die Projektarbeit »Messa Di Orfeo« (1999, Spalax Music) für das italienische Time-Zones-Festival September 1998 in Molfetta (Bari). Alle drei Werke haben nichts mehr mit Fricke’s Pioniergeist der 70/80er gemein, waren aber solide Werke der 90er, die so oder ähnlich viele andere Elektro-Projekte auch hinbekommen haben.

Werner Herzog Biografie: Jeder für sich und Gott gegen alle: Erinnerungen (2022)

Geschichten in Ton & Bild – Am bekanntesten in der öffentlichen Wahrnehmung ist die mehrmalige Kooperation mit dem bekannten bayrischen Schriftsteller, Drehbuchautor, Produzent, Regisseur, Schauspieler Werner Herzog, den er bereits 1967 traf und in dessen ersten abendfüllenden Spielfilm »Lebenszeichen« (1968) Florian Fricke passenderweise in einer Nebenrolle als Klavierspieler zu sehen ist. Für dessen Filme wie: »Auch Zwerge Haben Klein Angefangen« (1970), »Aguirre: Der Zorn Gottes« (1972), »Die Große Ekstase Des Bildschnitzers Steiner« (1974), »Jeder Für Sich Und Gott Gegen Alle« (1974, Leben des Caspar Hauser, wieder Nebenrolle als blinder Klavierspieler), »Herz Aus Glas« (1976), »Nosferatu: Phantom Der Nacht« (1979, mit Musik-Material von den beiden 1978-Alben: Brüder Des Schattens – Söhne Des Lichts sowie On The Way To A Little Way) oder später noch »Fitzcarraldo« (1982), »Gasherbrum: Der Leuchtende Berg« (1985, Dokumentation Messner & Kammerlander), »Cobra Verde« (1987) und »Mein Liebster Feind« (1999, Dokumentation über Herzog & Kinski) schuf Florian die bombastischen Soundtracks. Ein prägendes Instrument mit himmlischen, außerweltlichen Klang war dabei wie schon erwähnt die Chor-Orgel. Die Musik passte wunderbar zu den Bildgemälden von Herzog, hier ist der Begriff Bild-Musik oder Klangmalerei durchaus passend. Die Filmmusiken von fünf der bekanntesten Spielfilme sind in der edlen 5CD-Box »The Werner Herzog Soundtracks« (2010, SPV, mit schönen, bebilderten 96-seitigen Buch) veröffentlicht worden. Nach »Cobra Verde« gingen Fricke und Herzog getrennte Wege. Laut Herzog beschäftigte Florian sich extrem mit Drogen und driftete musikalisch in seichtere Esoterik ab. Renate Knaup: „Das darf man halt alles auch nicht so leichtfertig nehmen: net sporteln, nur saufen und rauchen und sagen Who The Fuck. Da kriegt man irgendwann den Zettel vom Körper. Der war ja schon eine Drecksau zu sich. Ich glaube nicht, dass er sich wirklich geliebt hat. Er hat vergessen, dass er ein Mensch ist. Oder er wollt kein Mensch mehr sein. Als Mensch muss man halt sterben.“ Vielleicht war nun diese fehlende Zusammenarbeit mit Herzog der Grund warum er begann mit Frank Fiedler (diesmal Kameramann) die Welt zu bereisen und eigene Dokumentationen in Bild und Ton zu produzieren. Einiges von diesem Material ist nach Florian’s Tod durch einen Schlaganfall 2001 auf »Kailash« (2015) in einer Box als Audio und Video erschienen.

Jeder Für Sich, Gott Gegen Alle

Herz Aus Glas

Cobra Verde
The Werner Herzog Soundtracks (2010)

Retrospektiven – Bis 1997 wurden über 20 Alben veröffentlicht. Label übergreifende Zusammenstellungen sind selten bei Popol Vuh, denn Florian Fricke veröffentlichte in drei Jahrzehnten auf mehr als zwei Dutzend Labels. Ich empfehle daher sich die prägenden Alben der jeweiligen Phase anzuschaffen. Es gibt aber die vollgepackte DCD »Revisited & Remixed 1970-1999« (2011, SPV) die 10 Jahre nach Florian’s tragischen Tod einen schönen Überblick der 70iger Studioarbeit und auch die Herzog-Phase berücksichtigt. Die erste 75-minütige CD (Piano Recordings) enthält neu abgemischte Versionen von Stücken aus allen Schaffensphasen, die zweite 80-minütige Remix-CD von bekannten DJs wie Peter Kruder, Thomas Fehlmann (The ORB), Mouse On Mars, Stereolab, somit ein Spagat von 1970 bis heute. Die beiden Vinyl-Boxen The Essential Album Collection Volume 1 (2019) und The Essential Album Collection Volume 2: Acoustic & Ambient Spheres (2021) sind mit insgesamt 10-mal 180 Gramm Vinyl eine Kollektion die am umfangreichsten und sehr nah sowie authentisch an der Geschichte dieser früher deutschen Band ist.

Kailash Box (2015)

Reise zum Thron der Götter – Eine Kombination von ambienten und folkloristischen Klänge, zu Bildern von kargen Bergregionen in 5.000 Metern Höhe, das sind die letzten posthumen, kreativen Zeugnisse eines Visionärs. „Popol Vuh haben einfach nicht genug Liebe abbekommen“, in dieser Aussage von Michael Gira (Swans) steckt viel Wahrheit. Soul Jazz Records hat diesen Krautrockern und ihrem früh verstorbenen Steuermann Florian Fricke und seiner kleinen Fangemeinde einen großen Liebesdienst erwiesen. Sie haben überraschend eine Box mit zum Teil unveröffentlichtem Material herausgebracht. »Kailash« (2015) ist einerseits ein Versuch, postum den Wunsch Florian Frickes nach einem Solo-Klavieralbum zu erfüllen, andererseits gibt es auf einer weiteren CD/Vinyl den elektronischen Soundtrack zu Frickes und Frank Fiedlers gemeinsamem Dokumentarfilm »Kailash – Pilgrimage To The Throne Of Gods« zu hören. Das Doppel-Vinyl mit Bonuskarte und Poster war auf 1.000 Stück limitiert. Auf einer eigenen DVD kann man schließlich den Film selbst anschauen, sie Musik dazu unterscheidet sich von den zwei Silberlingen. Die Klavierstücke stammen zum Teil aus den Jahren 1972 bis 1989 und dienten zum Teil als Vorarbeiten für Popol Vuh-Stücke, andere sind Improvisationen, die nach Frickes Tod gefunden wurden. Der Popol Vuh-typische, pastoral-meditative Ton und die offenen Harmonien finden sich hier in immer wieder neuen, konzentrierten Ausformulierungen – und variierender Aufnahmequalität. Diese höchst stimmige Auswahl bildet das musikalische Herzstück der Zusammenstellung. Der Soundtrack zu »Kailash« kombiniert flächige Synthesizer-Klänge mit ethnischen Instrumenten und Gesängen West-Tibets, also die Popol Vuh Musik der Spätphase. Werner Herzog: „Florian war immer in der Lage, Musik zu kreieren, von der ich glaube, dass sie dem Publikum hilft, etwas zu visualisieren, das in den Bildern auf der Leinwand und auch in unserer eigenen Seele verborgen ist.“ Bettina von Waldhausen: „Florian war ein Magier: Es waren zwei Magier. Werner war ein Magier und Florian. Er hätte Freude, wenn er jetzt so manches sehen würde, auch wie seine Arbeit jetzt anerkannt ist. Das ist immer wieder erstaunlich, weil er ja nun schon eine Weile weg ist, und nachdem er gestorben war, kamen von überall E-Mails, aus Russland, aus Polen, aus Japan – das hätte niemand erwartet. Also er am allerletzten.“

Dieser Beitrag könnte durchaus unter der Rubrik Deutsche Legenden oder auch Klang Visionäre laufen. Warum ist diese Lebensgeschichte in vielerlei Hinsicht für mich so tragisch. Wenn man verschiedene Texte über Popol Vuh, aber etwas genauer gesagt über den genialen Visionär Florian Fricke studiert, wird einem das schnell klar. Er war einer der ersten Pioniere der elektronischen Bilder-Musik. Sein Musikstil ist über seine gesamte Karriere sehr besonders, dadurch wird er auch oft kontrovers diskutiert. Er verbindet rockige, rhythmische Klänge mit schwebender elektronischer Musik und spirituellen Elementen. Auf Grund des Einsatzes von verschiedenster Perkussion, exotischen Instrumenten aus der gesamten Welt, den unterschiedlichen internationalen Sängerinnen sowie Florian Fricke’s Affinität zu Yoga, Spiritualität und fernöstlicher Kultur kann man Popol Vuh im weitesten Sinne auch als Mitbegründer der esoterischen Welt-Musik bezeichnen. Seine Band hat sich stets sehr bemüht, sich gängigen Genre-Zuordnungen zu entziehen und ihre Musik ausschließlich mit Fantasiebegriffen wie Magic Music, Love Music, Cosmic Space Rock und ähnlich Etiketten zu versehen. Gründer, Steuermann Fricke zählt zu den Pionieren der damaligen Elektronik-Tüftler, war Herz und Seele des Projekts. Andere Musiker sind mit ihren Werken zu weltweit bekannten Ikonen geworden; beispielsweise Can, Cluster, Kraftwerk, Neu!, Tangerine Dream aber auch Gandalf, Kitaro, Vangelis. Leider erinnern sich nur ganz wenige an Popol Vuh, ein noch viel kleinerer Kreis an Florian Fricke. Er stirbt im Schlaf 57-jährig tragisch an Herzversagen, unbeachtet und ohne den wahren Lohn für seine visionären Klangbilder bekommen zu haben. Dennoch gibt es Gourmets wie Christian Much (Buchautor Goin’ Home oder: Ein Aufbruch) die sich an den tönernen Bildmaler aus Bayern erinnern. Ich habe diese Geschichte schon lange in meinem Kopf und sie ist hiermit geschrieben. Chapeau Florian, du hast in 30 Jahren mit deinen innovativen, spirituellen und ikonischen Werken bleibende deutsche Musikgeschichte geschrieben und mit Kompositionen für viele Filme sprichwörtlich Klanggebilde visualisiert !!

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Ein Kommentar

  1. Ich habe mich auch immer wieder gefragt, wie sich Popol Vuh das damalige Synthesizer Equipment leisten konnte. “Affenstunde” hat damals wirklich in die Zeit gepasst, aber sie waren nicht so weit weg von z.B. Kraftwerk mit ihren drei ersten Alben. Interessant war ja der fast totale Verzicht auf Rhythmik (etwa analog zu den frühen Tangerine Dream).

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