Seltene-Rock-Musik-Perle: Heiliger Gral des Brit-Folk-Rock – Vermächtnis
Die ganz großen Namen der britischen Folk-Rock-Szene der frühen Jahre, die kennt fast jeder informierte Fan dieser Musikrichtung. Aber wer kennt Fotheringay, Samurai, Trader Horne, Jacqui McShee, Judy Dyble oder Trees. Letztgenannte Band aus London ist wieder so eine Formation, die zurzeit als sie ihre zwei grandiosen Studio-Alben »The Garden Of Jane Delawney« (04-1970) und »On The Shore« (01-1971) erschufen, leider wenig Beachtung weltweit fanden. Und das ist umso unverständlicher, weil die damalige Plattenfirma CBS als Major gut unterstützte. Aber wie guter schoTTischer Whiskey, edle flüssige Traubenprodukte oder handgemachter Berg-Alm-Käse, reifte die hochindividuelle Mixtur aus verträumter Melancholie sowie schwebender Musik und fand damit in der Nachfolgezeit immer mehr Anhänger und Interessierte bis heute. Warum erzähle ich das alles, im Spätherbst 2020 ist die Extraklasse 4-teilige-Box »Trees« (Earth Records) auf CD und Vinyl erschienen. Die Trees gehören ganz sicher zu den interessantesten britischen Folk-Combos, wieder ein echtes Folk-Rock-Vermächtnis.
The Garden Of Jane Delawney – Mit dem neunteiligen Debüt startete Anfang 1970 die VÖ-Karriere der im Frühjahr 1969 auf Initiative der beiden Gitarristen Barry Clarke und David Costa formierten britischen Psych-Folk-Rocker Trees. Die Wieder-Veröffentlichung dieses Werks 2008 beinhaltet auch noch zusätzlich jeweils zwei Demo- und unveröffentlichte Studio-Titel. Aber schon im gleichen Jahr endete die gemeinsame Studiozeit auch schon wieder, denn der nur wenige Monate später erschienene Nachfolger »On The Shore« war bereits die abschließende Veröffentlichung der Londoner Folk-Bäume. Die Trees boten, wie damals nicht unüblich in dieser Musikrichtung, eine Mischung aus eigenen Kompositionen und Bearbeitungen traditioneller Songs. Das beide Alben musikalisch recht ähnlich gestrickt und arrangiert sind verwundert nicht, da die stabile Besetzung das Material im kurzen Abstand mit Produzent Tony Cox im Chelsea’s Sound Techniques Studios einspielten. Die originalen neun Songs sind durchweg von einer seltsam surrealen Stimmung, dazu passend auch das Cover das ein wenig an die Gemälde von René Magritte erinnert, werden zum einen von Frontfrau Celia Humphris (nach Heirat Drummond, später bei Dodson And Fogg, am 11. Januar 2021 verstorben), mit einfühlsamen und zauberhaften Gesang sowie zum anderen von filigranen Klängen verzahnter akustischer und elektrischer Gitarren bestimmt. Immer wieder werden die Songs dabei von langen psychedelischen Gitarren-Ausbrüchen durchsetzt, die hier beim Debüt teilweise noch heftiger ausfallen als beim Nachfolger. Das namensgebende Titelstück (wurde unter anderem auch von Francoise Hardy gecovert) überragt alles. Sehr gelungen sind aber auch »Lady Margaret« mit spaciger Jam-Rock und dem längsten fast 10-minütigen »She Moved Thro’ The Fair« das die surreale Stimmung dann auf die Spitze treibt. Das Trees-Konzept des psychedelischen Folk-Rock mit progressiven Einsprenklungen war damals sicher keine Eintagsfliege, aber die exzellente Qualität lässt diese Musik dennoch herausragen aus der Masse. Für Liebhaber der psychedelischen folkloristischen Rock-Musik sicher unverzichtbar. Wie geschlossen die britische Folk-Szene bis heute ist, zeigt das Solo-Album »Talking With Strangers« von Judy Dyble, an dem unter anderem auch Celia Humphris 2009 mitwirkte (siehe hierzu auch bei Trader Horne).
On The Shore – Die beiden in relativ kurzem Abstand im April 1970 und im Januar 1971 erschienenen Werke der britischen Formation Trees blieben damals weitgehend unbeachtet. Wegen dieser Erfolglosigkeit, Trees spielten einen psychedelischen Folk-Rock, fand die Band für den Live-Mitschnitt »Live!« von 1973 erst Ende der 80iger einen Geschäftspartner. Der Studio-Nachfolger steht für Weiterentwicklung und ähnlich hohe Qualität. Songs wie beispielsweise »Sally Free And Easy« und »Polly On The Shore« haben auch wieder eine gewollt hypnotische Anziehungskraft, fast schon düstere Momente, die aber nicht bedrücken, sondern eher als herrlich verwunschen mit filigraner Schönheit zu beschreiben sind. Wieder ein guter Mix aus Traditionellen- und Eigen-Kompositionen wird auch beim diesem Nachfolgewerk mit einer typischen Folk-Instrumentierung dargeboten. Aber dazu kommen noch Dulcimer, 12-saitiger Gitarre und Mandoline, sowie auch Harfe und Tamburine. Und dann der wunderbare Gesang von Celia Humphris, mit dem alles zum einem bunten Klang-Teppich verwoben wird. Die verträumte, geradezu surreale Stimmung, die sich auch im von Hipgnosis (Storm Thorgerson) gestalteten Cover wiederfindet, zieht sich durch das ganze Album. Der Einfluss großer Folk-Rock-Vorbilder ist gewollt, dennoch zieht sich die psychedelische Note erfreulicherweise konsequent durch, fast jeder Titel wird zudem mit dosierten Jam-Sequenzen aufgewertet. Dabei kommt aber die rockige Komponente wie bei »When The Iron Is Hot« nicht zu kurz, meist bleibt die Musik jedoch in der elegischen Zone. Liebhaber des psychedelischen Folk-Rock kommen hier jedenfalls voll auf ihre Kosten. 2007 erschien auch dieses Werk »On The Shore« als aktualisierte limitierte Ausgabe, sogar mit Bonus-CD, mit sieben neuen Mixen, eine BBC Aufnahme, ein Demo-Titel. Leider war nach dem zehnten Song auf der Original-CD vom Frühjahr 1971 dann Schluss mit der Studio-Geschichte von den Ur-Trees.
Mr. Fox – Trainer – Live! – Die Trees-Besetzung bildete sich in der Folgezeit bis 1972 noch einmal etwas um. Bias Boshell (Bass) und Unwin Brown (Schlagzeug) gingen, Drummer Alan Eden kam. Von dieser Inkarnation gibt es keine Studio-Aufnahmen. Dennoch arbeitete das gesamte Trees-MK2-Team 1972 noch beim Solo-Debüt namens »Trainer« vom US-Singer-Songwriter Philip Thomas Trainer mit. Mit den Original Trees blieb es für die Fan-Schar lediglich bei Bootleg-Aufnahmen und dem bereits erwähnte Live-Mitschnitt »Live!« als quasi drittes Album, alles neue Titel ohne Überschneidungen bis auf »Polly On The Shore«. Barry Lyons und Alan Eden spielten mit der Folk-Band Mr. Fox auch noch die beiden Alben »Mr. Fox« (1970) und »The Gipsy« (1971) ein.
Fore & After One – Die erste Bonus-CD »Fore & After Teil Eins« präsentiert den deutlich moderneren, aber meines Erachtens viel zu stark komprimierten 2007er-Mix, von sechs Titel des zweiten Albums »On The Shore« sowie zusätzlich zwei Demos (1970) davon, die jedoch klanglich aber etwas abfallen. Aber wie immer ist alles Geschmacksache. Während dann die zweite »Fore & After Teil Zwei« die drei guten 1969-Demos (Sound wieder besser), drei BBC-Aufnahmen (fallen klanglich wieder etwas ab), zwei Aufnahmen einer Tribute Band (On The Shore Band mit David Costa und Bias Boshell) von 2018 und zwei Neuaufnahmen (2007) älterer Songs zusammenfasst. Die überaus wertige Ausgabe erscheint im Taschenbuch-Format mit einem informativen 28-seitigen Booklet in fast derselben Größe. Darin sind viele Fotos aus der Glanzzeit sowie passable Liner Notes mit ausführlichen Bandhistorie (inklusive dem weiteren Werdegang der Bandmitglieder) zu finden. So richtig prall gefüllt sind diese beiden Silberscheiben freilich nicht, sie bringen es auf Spielzeiten von jeweils um die 45 Minuten, da hätten die neun Titel des dritten Albums »Live!« doch noch locker mit drauf gepasst. Aber man wollte wohl die Titel-Liste für CD und Vinyl identisch gestalten, das geht dann natürlich nur bei dieser begrenzten Spielzeit. Das ist aber der einzige kleine Kritikpunkt an dieser CD/Vinyl-Box, die nun zum fünfzigjährigen Jubiläum des Debüts »The Garden Of Jane Delawney« erschienen ist. Ansonsten ist diese Präsentation, quasi als Werkschau, würdig und sehr gelungen, somit allerhöchste Empfehlungsstufe !!
Fore & After Two – Trees-Bassist Bias (eigentlich Tobias) Boshell war in den 80igern übrigens auch als Session-Musiker für beispielsweise Barclay James Harvest, The Moody Blues und vielen anderen aktiv. Er lebt nun in Nord-Wales. Drummer Unwin Brown trommelte später kurz bei der Eintagsfliege Capricorn. Die beiden virtuosen Gitarristen Barry Clarke und David Costa tauchen 1973 bei den Funk-Rockern Casablanca auf, Costa gründete danach seine eigene Design-Firma Wherefore Art?, arbeitete dort an vielen Werken sehr bekannter englischsprachiger Künstler mit. Clarke’s musikalische Spuren verwischen sich. Barry Lyons kam von der Folk-Band Mr. Fox, machte nach Trees weiter mit Folk-Rock bei Five Hand Reel (1976 bis 1979 vier Alben) weiter, blieb also seinen Wurzeln treu. Sängerin Celia Humphris sprach nach ihrer Zeit bei Trees unter anderem Ansagen für die Londoner U-Bahn ein und unterstützte vokal bei Dodson And Fogg. Sie starb am 11. Januar 2021. Auszug aus dem Nachruf der Kollegen: „Wir waren damals ein ungleicher Haufen wandernder, sprachloser verwandter Seelen, denen Celia eine passende Stimme verlieh und denen sie Leben und Licht einhauchte.“
Weiterlesen im RZ: Quiet World – John Martyn – Klingende Grüsse, Der SchoTTe