Barry Window And The Movements

Künstlerpseudonyme werden manchmal regelrecht an den Haaren aus dem Kreativsumpf herausgezogen, bei Barry Window hingegen handelt es sich beim Künstlernamen plus/minus um die Übersetzung des bürgerlichen Namens ins Englische, aus dem in Basel geborenen Musiker Urs Fenster wurde so Barry Window. Okay, die Plattenfirma Intercord (damals das Stammlabel von Reinhard Mey) schaffte es trotzdem zu verwirren da sie auf den erschienenen Singles und LP’s auf den Namen Berry (von Chuck Berry beeinflusst?) setzte, das von MPS Records veröffentlichte Album Soul Hour von Dee Dee, Barry And The Movements dann allerdings mit „a“Barry anstatt mit „e“Berry. Wie dem auch sei, Barry Window blieb für den Rest seiner bis heute andauernden Musikerlaufbahn beim „a“, ich halte mich in diesem Artikel an die Schreibweise des Künstlers.

Die Begeisterung für die Musik wurde Barry vermutlich von seinem südafrikanischen Vater – einem Schlagzeuger – mit in die Wiege gelegt, jedenfalls versuchte sich Barry Mitte der Sechziger ebenfalls als Drummer in lokalen Beatbands, er wechselte aber schon bald ans Mikro und gründete eine eigene Band, Berry And The Movements mit welcher der Sänger 1967 die LP Soul & Love aufnahm. Der Longplayer baute ausschliesslich auf Coverversionen aus dem Soul-Bereich und kommt frisch und unbeschwert daher, als beste Beispiele dafür stehen das cool abrockende „Don’t Fight It“ (Wilson Pickett / Steve Cropper) oder „Tell Me The Truth“ von Fats Domino. Eine wirklich starke Leistung für ein mitteleuropäisches Langrillendebut in den 1960ern und erstaunlich, denn anders als viele zeitgenössische Bands orientierte sich die Unternehmung nicht am alles dominierenden britischen Beat, sondern am US-amerikanischen Soul. Bassist war hier Peter Riedmann von den Basler Local Heroes The Dynamites, Schlagzeug spielte Dietmar Carl, in die Pianotasten hämmerte der Schweizer Jazzer Fritz Trippel (alias Little Fritz). Rietmann und Little Fritz schlossen sich nach dem Gastspiel bei Barry Window den Sauterelles (mit Toni Vescoli und Düde Dürst) an und landeten 1968 mit “Heavenly Club” auf Platz eins der Schweizer Charts.

Nach diesem ersten gelungenen Gehversuch baute Barry die Band mit dem belgischen Multiinstrumentalisten Joel Vandroogenbroeck komplett um, von der ersten Formation blieben nur der Bandleader, Vandroogenbroeck und Gitarrist Ron Bryer übrig. Die Movements waren zwar in Basel zuhause (ab und zu mit Gastspielen im Kultlokal Atlantis) aber eine ziemlich internationale Angelegenheit, neben Window und Vandroogenbroeck gehörte wie bereits erwähnt auch der britische Gitarrist Ronald Bryer (später Brainticket, er verstarb 1973) zur Truppe, Bassist Peter Giske war wie der Frontmann Basler, Drummer Wolfgang Paap (später Brainticket, Klaus Doldinger) kam aus Danzig. Unter dem Einfluss von Vandroogenbroeck erweiterte sich allmählich auch das musikalische Spektrum, der Soul europäischer Prägung erhielt nun eine zusätzliche (psychedelische) Dimension.

“Loving You Is Sweeter Than Ever“ (von Stevie Wonder), der Opener der betörenden Soul/Rock-LP Soul In Action (1968) ist ein klassischer Soul-Song-Einstieg in die Platte die dann mit Vandroogenbroecks Eigenkompositionen und Eskapaden an Orgel, Sitar und Querflöte (fernöstlich) abhebt. Das eine schliesst das andere nicht aus, mir persönlich gefällt die mit Soul und abgedrehtem Ragarock jonglierende Zweigleisigkeit, das gilt auch für die ziemlich hippen und nicht auf der LP enthaltenen Sitar-Titel „I’ll Wait For You“ und „Hear Me, Help Me“ (1968, Single A- und B-Seite). Die LP Soul In Action ist ein echter Ausreisser der damaligen Schweizer Musikszene, mir ist nicht bekannt, dass damals sonst noch niemand versucht hätte eine Sitar in den Sound einzubauen, noch nicht mal bei Les Sauterelles auf ihrem Album View To Heaven (1968), erst bei Krokodil wurde die Sitar hierzulande salonfähig.

Das Album Soul Hour (1968) mit der aus Baltimore stammenden Sängerin Dee Dee McNeil (sie war mit dem Schweizer Rennfahrer Xavier Perrot verheiratet) ist ein weiterer Höhepunkt, hier aber ohne fernöstlich angehauchten Ragarock und Räucherstäbchen, dafür mit Unterstützung des französischen Tenorsaxophonisten Barney Wilen der schon mit Grössen wie Miles Davis und Art Blakey musiziert hatte. Aufgenommen wurde das Album trotzdem nicht im Jazz-Mekka New York oder in Paris, nein die LP entstand während zwei Tagen im April ‘68 im Tonstudio Max Lussi in Basel das einen ausgezeichneten Ruf als Recording- und Mastering-Stätte besass.




Bei dieser Produktion war Barry Window vermutlich im siebten Himmel, der Fokus war auf den Gesang gerichtet, Dee Dee vermittelte Gospel- und Soul-Power und durch Wilen erhielten die ausgewählten Songs ein gewisses Jazz-Feeling. Die intonierten Titel bis auf eine Vandroogenbroeck-Nummer allesamt Soul-Klassiker, darunter auch eine umwerfende Bearbeitung von „Summertime“, ein Song von George Gershwin. Zusammen mit Dee Dee präsentierten Barry And His Movements (ohne Wilen, dafür mit 2-Mann-Bläsersection) bei der ARD den Soul-Special We Like Soul, auf der Setliste standen “Hold On, I’m Coming“, „Funky-Funky Broadway“ und „In The Midnight Hour“, Barry hat einen Ausschnitt davon auf das bekannte Y…Tube-Videoportal gestellt.





Der Versuch von 1969 mit „Ragazzina, Ragazzina“ einer Coverversion von „Mendocino“ (Sir Douglas Quintet) in den lukrativen italienischen Markt einzusteigen gelang nicht, die Band löste sich nach einer weiteren italienischen Single auf. Barry versuchte um ‘69/‘70 herum in London noch einen Neustart als Barry And The London Cats (die Katzen waren eigentlich eine jamaikanische Band), das Projekt hinterliess mit „I Thank You“ eine Single. Die beiden Titel landeten auch auf der einzigen Langrille des auf Reggae spezialisierten kurzlebigen Labels BAF, der Sampler special BAF sounds (1971) war eine Zusammenfassung der Singles die 1968 und 1969 produziert worden waren. Die Stunde des Souls in Europa verhallte offenbar schneller als erwünscht, einzig in Britannien sollte das Genre – getarnt unter dem Deckmantel des Northern Soul – bis zum heutigen Tag weitere Blüten treiben.

Querverbindungen: Joel Vandroogenbroeck und Ron Bryer starteten nach den Movements die legendäre Psychedelic-Band Brainticket (DER Siebziger-Jahre-Kiffer-Soundtrack!), bei deren erster LP Cottonwoodhill fallen auch die Namen Werner Fröhlich und Cosimo Lampis, zusammen mit dem Gitarrenvirtuosen Vic Vergeat gründeten sie 1971 das Powertrio Toad. Das Cottonwoodhill-Cover gestaltete übrigens der Zuger Grafiker, Maler und Künstler Elso Schiavo (das fand ich erst bei dieser Recherche heraus, er machte auch das Artwork für den ersten Longplayer von Toad), ich lernte ihn in den 1980er-Jahren kennen als ich im Auftrag meines damaligen Arbeitgebers in Elso-Kunstdruck-Projekte involviert war.

Barry Window verlegte sich in den Seventies auf Unterhaltungsmusik und widmete sich einer weiteren Liebe, dem Jazz. Als Unterhaltungsbands in den Dancings allmählich durch DJ’s abgelöst wurden, suchte sich Barry ein neues Revier, er verlegte sich auf Kreuzfahrtschiff-Engagements und Auftritte in Feriendestinationen. Mittlerweile ist es ruhiger geworden um Barry Window, der charmante Sänger mit dem wunderbaren Basler Dialekt veröffentlicht aber ab und zu noch neue Songs, ein aktueller Titel ist “Where Is The Soul And Love” (2020).

Über Barry, respektive zwei seiner Singles stolperte ich erst vor einigen Jahren. Der grellbunte Streifenanzug auf der Single-Hülle war es der mich zum Kauf verleitete, der stach heraus, irgendwie roch das nach Mod und Sixties-Soul. Und ich hatte mich also nicht getäuscht, der musikalische Inhalt der 45er setzte sich exakt daraus zusammen. Da professionelle Fotografen offenbar in den 1960ern schon recht kostspielig waren, wurden die Resultate von Intercord regelrecht ausgeschlachtet, gleich mehrere Single-Cover zeigen Barry in diesem auffälligen rot/gelb gestreiften Blazer. Vermutlich war das ebenfalls bei den britischen Small Faces der Fall, ihre Decca-Releases Mitte Sixties waren fast ausschliesslich mit Bildern aus ein und der gleichen Fotosession bestückt.

 

Die Intercord-Recordings gibt es zusammengefasst als The Early Years – 1967–1970 auf DoCD (2017, Fantasy Label). Die versammelten Aufnahmen klingen ausgezeichnet, man findet hier auch Barrys Schlagertestballon „Abschiedslied / Ich bin Allein“ von 1967 und die UK-Single „I Thank You / End Of The Road“ (1969) sowie die EP I Like Soul die 1967 von der Firma Kaiser Electronic Basel finanziert und veröffentlicht wurde.

Nicht auf der DoCD enthalten ist das MPS-Album Soul Hour, es wurde 2011 von Sonorama neu aufgelegt, als LP wie auch als CD, in jeder Form eine Anschaffung die sich lohnt, ein brandheisser  Tipp für Soul-Liebhaber die auch gerne mal Neuland betreten möchten.

LOVE SOUL MUSIC!
mellow

 

Weiterführende Rockzirkus-Lektüre zur Basler Musik-Szene von Canvey:
Die Sixties in Basel (Nordwestschweiz) auf Basis von drei Bands (Prolog)

Und auf diesem Weg geht es direkt zum Soulman:
Barry Window

 

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Ein Kommentar

  1. Natürlich ist der Barry Window ein Begriff, zumindest wenn man hier in der Nordwestschweiz lebt. Aber irgendwie ist der immer an mir vorbeigegangen und daher ein grosses Dankeschön an mellow für diesen Beitrag. Uebrigens, “vorbeigegangen” ist gut, ist Barry Window wohl doch einer der produktivsten Musiker aus der Gegend, da fallen andere “legendäre” Namen weit zurück.

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