Wes Montgomery – California Dreaming (1966)

Heutzutage ist der sympathische Jazz-Gitarrist Wes Montgomery längst vergessen, in den Sixties war er aber einer an dem sich viele 6-Saiten-Artisten orientierten, sogar Rock-Koryphäen wie Jimi Hendrix und Carlos Santana etwa verehrten ihn und nannten ihn als Einfluss.

Der 1923 in Indianapolis, Indiana geborene John Leslie „Wes“ Montgomery brachte sich in den 1940ern das Gitarrenspiel selber bei. Mit seinen ebenfalls musizierenden Brüdern Monk (Bass) und Buddy (Piano, Vibraphone) arbeitete er tagsüber in einer Fabrik, am Abend widmeten sie sich in den einschlägigen Clubs dem Jazz. Schon 1948 landete Wes im Orchester von Lionel Hampton, das Leben aus dem Koffer veranlasste ihn allerdings nach ein paar Jahren wieder sesshaft zu werden, er zog den Job in der Fabrik dem ruhelosen Musikerleben „on the road“ vor. Er gründete eine eigene Band und beteiligte sich Ende Fünfziger manchmal auch an The Mastersounds der Band seiner Brüder die mittlerweile nach Kalifornien emigriert waren. Ab 1958 veröffentlichte die Familienbande als The Montgomery Brothers eine Reihe von ausgezeichneten Tonträgern, darunter auch die 1960 bei Pacific Records erschienene LP Montgomeryland.


1959 vermittelte der Saxophonist Connonball Adderley dem Gitarristen einen Plattenvertrag als Solokünstler bei Riverside Records, bis 1963 erschienen dort in der Folge diverse Longplayer, darunter auch The Incredible Jazz Guitar Of Wes Montgomery die Wes‘ Ruf als exzellenter Instrumentalist zementierte. Als das Plattenlabel vom Inhaber Orrin Keepnews aufgegeben wurde wechselte Wes zu Verve, nicht nur damals so etwas wie der siebte Himmel für Jazz-Musiker. Auch für Verve legte sich Wes ins Zeug, er spielte dermassen viele Studio-Sessions, dass es vermutlich schwierig wurde die Ausbeute jeweils innert nützlicher Frist auf den Markt zu bringen, viele der entstandenen Aufnahmen landeten daher im Archiv. Neben all seinen Studioaktivitäten fand Wes noch Zeit für Gastspiele in Europa wo mehrere seiner Auftritte (u.a. in England, Belgien und Deutschland) für das damals noch junge Medium Television aufgezeichnet wurden.

Bei Verve stiess Wes Montgomery auf den Organisten Jimmy Smith, die beiden Geistesverwandten veröffentlichte 1966 bei ihrem Stammlabel die gemeinsame LP Jimmy Smith & Wes Montgomery – The Dynamic Duo. 1967 zog es Wes danach zu A&M Records, der Plattenfirma von Herb Alpert.

Das Album California Dreaming von 1966 war eine von Wes‘ letzten offiziellen Platten für Verve, ein Longplayer der von der ersten bis zur letzten Note ganz einfach nur begeistert, nur schon der Titeltrack „California Dreaming“ (von John Phillips, Mamas & Papas) in der Bearbeitung von Wes lohnt die Anschaffung, eine unglaubliche betörende Easy-Listening-Jazz-Bearbeitung des Gitarristen mit der seltsamen Schlagtechnik bei der die Saiten statt mit einem Plektrum mit dem Daumen angeschlagen werden. Die weiteren Songs brauchen sich aber beileibe nicht hinter der eröffnenden kalifornischen Träumerei zu verstecken, viele von ihnen erweiterten das Jazz-Spektrum um die Komponente Latin, so zum Beispiel „Winds Of Barcelona“ das an Eleganz kaum zu übertreffen ist. Die Nummer stammte wie „More, More. Amor“ und „Green Peppers“ von einem Songschreiber der sich Sol Lake nannte. Hinter dem Pseudonym verbarg sich Solomon Lachoff, er war Hauskomponist für Herb Alpert, auf sein Konto ging schon der Welthit „The Lonely Bull“. Den damals aktuellen Hit „Sunny“ von Bobby Hebb knöpfte sich Wes ebenfalls vor, auch dieser Track in glasklarem Klang, dem Markenzeichen des Tonmeisters Rudy Van Gelder. Ich bin mir sicher, selbst wenn jemand nichts mit Jazz am Hut hat, wenn er sich durch das Album California Dreaming hört wird er garantiert von der laidbacken und smoothen Stimmung mitgerissen. Auf die Idee, dass diese von Sonne durchfluteten Aufnahmen in Eaglewood Cliffs, New Jersey (dem Sitz von Van Gelder’s Studio, ein eigentliches Epizentrum des Jazz) entstanden sein könnten, kommt vermutlich keine Menschenseele.


Wes Montgomery – California Dreaming (1966, LP, Verve)
Tracklist der meisten CD-Reissues:
01. California Dreaming
02. Sun Down
03. Oh You Crazy Moon
04. More, More, Amor
05. Without You
06. Winds Of Barcelona
07. Sunny (Alternate Take, CD-Bonus)
08. Sunny
09. Green Peppers
10. Mr. Walker
11. South Of The Border

Wes Montgomery – Guitar
Al Casamenti – Guitar
Bucky Pizzarelli – Guitar
Herbie Hancock – Piano
Richard Davis – Bass
Grady Tate – Drums
Ray Barretto – Percussion
Don Sebesky – Percussion
Mel Davis – Trumpet
Bernie Glow – Trumpet
James Nottingham – Trumpet
Wayne Andre – Trombone
John Messner – Trombone
Bill Watrous – Trombone
Don Butterfield – Tuba
Ray Beckenstein – Woodwinds
Stan Webb* – Woodwinds
James Buffington – French Horn
Jack Jennings – Vibes, Percussion

*Trotz Namensgleichheit handelt sich hier nicht um den britischen Gitarristen Stan „The Man“ Webb.

Die auf California Dreaming nachfolgenden LP’s entstanden teilweise mit Beteiligung der gleichen Akteure, die aufgezeichneten Sessions wurden nun bei A&M veröffentlicht, A Day In The Life (1967), Road Song (1968) und Down Here On The Ground (1968) sind die konsequente Verlängerung des Albums California Dreaming.

 

Wes Montgomery wurde am 15. Juni 1968, bei sich zuhause in Indianapolis im Alter von 45 Jahren überraschend von einem Herzinfarkt aus dem Leben gerissen. Nach seinem Tod wurden immer wieder neue Aufnahmen ans Tageslicht gefördert und veröffentlicht. Die riesige Anzahl an mittlerweile existierenden Tonträgern gestaltet den Einstieg in die Montgomery-Welt nicht gerade einfach. Wenn man dann mal drin ist kann man noch leicht den Überblick verlieren oder aber man taucht nach der Verfolgung von Querverbindungen an einem ganz anderen Ort des Jazz-Universums wieder auf, aber genau das ist es ja eigentlich was Musikforscher wollen.

Monk Montgomery starb 1982, hier lohnt es sich seinen Soloalben Bass Odyssey (1971, mit den Crusaders-Mitgliedern Stix Hooper, Joe Sample und Wayne Henderson) und Reality (1974) nachzuspüren.

Buddy Montgomery starb 2009, Solo-Werke wie The Two-Sided Album (1968), This Rather Than That (1970) oder Ties (1977) schlummern noch immer in der Vergessenheit und warten auf die Restaurierung.

Wes‘ Enkel Anthony Montgomery ist Schauspieler, man trifft auf ihn in TV-Serien wie Startrek: Enterprise (2001 – 2005, in der Rolle von Ensign Travis Mayweather), Dr. House, Grey’s Anatomy, Magnum P.I. und Navy CIS.

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