Müllhalde der Popmusik № 1

Jetzt mal ehrlich, jeder hat doch so seine dunklen Winkel in die noch nie der Lichtkegel einer Taschenlampe oder das flackernde Lichtlein einer uralten Öllampe vorgedrungen ist. Wer jetzt denkt meine dunkelste musikalischer Ecke sei vielleicht der deutsche Sixties-Schlager jenes Jahrzehnts, den muss ich enttäuschen. Nein, es sind neben den bekannten «Orchestern» des Genres «Leichtes Hören» die mitfahrenden No-Name-Trittbrettprodukte, vor allem ein Phänomen der 60er/70er, vermutlich sind sie das finsterste Verlies meiner musikalischen Vorlieben. Nun, ich stehe dazu, ich liebe es durch diesen Abfall der Musikindustrie zu schwimmen.

Vinyl-Exponate dieser vergangenen Epoche findet man derzeit wieder vermehrt in Brockenhäusern da die ehemaligen Schallplattenbesitzer jahrringbedingt in Altersresidenzen umziehen und sich von ihren gehorteten Schätzen trennen müssen, ich treffe also immer wieder mal auf grandiose Ware die im Schatten der Stars entstanden ist. Da kann man jetzt wettern wie man will, Easy Listening und James Last & Co. erzielten anno Domini gigantische Verkaufszahlen, eigentlich logisch, dass solche Tonträger weit verbreitet sind, auch wenn sich die Kinder die sie bei Wohnungsräumungen auffinden dafür – respektive für den Geschmack der Eltern – schämen. Normalerweise wurde dieses schrille Zeug über Kaufhäuser vertrieben, oft in Drehgestellen platziert, aber auch der Vertrieb über sogenannte „Schallplatten-Clubs“ grosser Medienhäuser (siehe nächster Abschnitt) war durchaus ein guter Absatzkanal.


 

Kürzlich stolperte ich über undatierte eine DoLP, vermutlich aus dem Jahr 1970, zumindest trägt das Exponat den Titel stereo HITPARADE international 69 – 70, veröffentlicht beim Label SR International, eine Subdivision von Bertelsmann und SR eigentlich eine Abkürzung für Schallplattenring. Der Doppeldecker, respektive die Studio-Orchester kümmerte sich um Hits besagter Jahre, respektive das Orchestra Cliff Carpenter (ein Studioband, der Name ein Pseudonym des Produzenten, Arrangeurs und Komponisten Dieter Zimmermann) und Orchestra Freddy L’Host, eine Studioequipe des belgischen Klarinettisten und Saxofonisten mit eben diesem Namen. Eigentlich ein Ding das man nicht anrühren sollte sagt der gesunde Menschenverstand, wenn man dann aber in der Titel-Auflistung auf «Honky Tonk Woman» stösst, dann wird sämtliches, noch vorhandenes Resthirn über Bord geworfen. Und ja, ich bin wieder ehrlich, diese Interpretation des Stones-Klassikers ist grandios und schält das Fleisch vom Knochen, ist grobkantig und mäandert lustvoll und irgendwie freizügig um die vorgegebene Songstruktur herum, glänzt mit schmutzig klingender CCR-Gitarre, Sax und wirbelnder, überbordender Hammondorgel. Klasse, da haben es die weiteren Nummern der Scheibe schwer an dieses Niveau zu halten. Okay, «Pretty Belinda» ist auch ein feiner Klopfer, «Venus» und «In The Year 2525» sind auch nicht von schlechten Eltern, an die Honky-Tonk-Lady reichen sie doch nicht ganz ran. Welches Orchester im Detail nun was zu verantworten hat ist nicht klar, schlussendlich aber auch egal, Qualitätsunterschiede kann ich keine erkennen zwischen den beiden Studiotruppen.

Populäre Sounds wurden schon immer gerne kopiert, das gilt auch für die angesprochene «goldene» Epoche. Noch nicht mal nur obskure Labels dockten an angesagte Trends an und brachten an die Szenestars erinnernde seltsame Tonträger auf den Markt, immer in der Hoffnung im Sog der Leithirsche Profit einfahren zu können. Das reicht von instrumentalen Hitzusammenstellungen bis zu Scheiben die sich eben nur «anlehnten», die wegen der Urheberrechte eigene Songs präsentierten, auch wenn das oftmals nur abgeänderte Versionen sattsam bekannter Hits waren.

Die LP Mexican Shuffle (1965) die hier kürzlich aus einem Vinylsarg im Brockenhaus befreit wurde, setzte beispielsweise voll auf die Karte Herb Alpert, respektive die mexikanische Tijuana-Mariacchi-Masche, hier wurde etwa «Whipped Cream» von genanntem Alpert seziert. Nicht schlecht gemacht, inklusive Knackbass und Schummerorgel, aber trotzdem meilenweit entfernt von der Qualität des Originals. Dasselbe gilt für The Border Brass, die mir vorliegende LP (1970) hat eine feine Brass-Version von «Aquarius/Let The Sunshine In» mit an Bord, ihre deutsche Pressung HITS im Tijuana Sound (1970) zudem mit einem sleazy Cover auf dem eine schwarze, in einen Sombrero gewickelte Schönheit an einer Trompete herumfingert. Huh, damals war eben alles möglich, vor allem schlechter Geschmack scheint mir.

So, das war mal ein Anfang, ich lasse die schockierten Leser dieser Zeilen jetzt erst mal durchatmen. Wie es der Titel ankündigt, handelt es hier um die Folge № 1, es ist daher zu befürchten, dass diese Serie fortgesetzt wird…

LONG LIVE LOUNGETRASH!
mellow

PS.
Das Thema ist übrigens nicht gänzlich neu im RZ, ich habe mich beispielsweise
auch hier schon mal geäussert:
Birds ‚N Brass
Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung

 

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3 Kommentare

  1. Ich bin dann hier wohl der Dritte: Ich finde auch, dass in diesem Orchestermüll die eine oder andere Rarität schlummert. Hatte mal eine Instrumentalversion von „Heart of Gold“ auf Band: Mundi und Geigen. Herrlich.
    Amiga a gogo war vor ca 10 Jahren ein Dreifachsampler mit DDR Raritäten. So Pausendudelnuggets. Günter Gollasch Orchester dabei mit „Es steht ein Haus in new Orleans“.
    Und die Theo Schuhmann Combo mit „Volle Pulle“. Na, wie hieß der 60er Jahre Evergreen richtig?
    Quincy Jones Jazz Orchester der frühen 60er – herrlich.
    Kaempfert sowieso.
    Ray Conniff – da gibt es auch Gutes.
    James Last – Nä! Der geht bei mir nich‘!

  2. Die wirklich guten Sachen aus dem Bereich „Müllhalde“ findest du nicht mehr in den Brockenhäusern dieser Welt. Und das sage ich als jemand, der seit Jahrzehnten seine „weird“ Sammlung kuratiert. Ich protestiere übrigens schärfstens gegen den Begriff „Müllhalde“. Das sind unschätzbare Preziosen aus längst vergangenen Zeiten und müssen ihren Platz im Pantheon der Populärmusik des 20. Jahrhunderts behalten.

    1. „Protest“ zur Kenntnis genommen.

      Ich denke wir verstehen uns, die Bezeichnung „Müllhalde“ wurde aus rein marketingtechnischer Überlegung gewählt und ist ein fieser, hinterhältiger und gemeiner Trick um potentielle Leser anzuziehen. Weil… also wenn jemand Namen wie Last, Kaempfert, Wunderlich oder eine Stilbezeichnung wie Easy Listening liest, dann macht er vermutlich einen Riesbogen um die entsprechende Kiste…

      mellow

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