George Benson – Shape Of Things To Come (1968)

Kommerziell erfolgreiche Arbeiten müssen in den Augen (Ohren) eines Rezensenten nicht immer in allen Belangen überzeugen, so sehe (höre) ich das zumindest bei dem Jazz-Gitarristen, Songwriter und Sänger George Benson. Das mit Grammys ausgezeichnete, aber leider komplett platt gebügelte No.-1- Album Breezin‘ (1976) ist ein Nichts im Gegensatz zu einem Juwel wie Shape Of Things To Come aus dem Jahr 1968.

Unter den Fittichen von Creed Taylor (bis ’68 Hausproduzent bei Verve Records, danach bei Herb Alpert’s Plattenfirma A&M, George Benson transferierte er von Verve zu seinem eigenen A&M-Sublabel CTI) und seinem Tontechniker Rudy Van Gelder wurde damals aus dem Sessionmusiker (Lou Donaldson, Brother Jack McDuff, Jimmy Smith etc.) und Bandleader des George Benson Quartet ab 1968 ein eigenständiger Star geformt. Die Songs die zwischen August und Oktober bei den Sessions im Van Gelder Studio in Eaglewood Cliffs, New Jersey aufgenommen wurden sind eine grossartige Exkursion in die Gefilde von Jazz, Swing („Chattanooga Choo Choo“), Latin, Pop und Soul, sie strotzen nur so vor Energie und Spielfreude, haben trotz dem samtenen Spiel von George Benson noch Ecken und Kanten, sind keine Sekunde langweilig und verlangen nonstop nach Replay. Die einzelnen Songs sind vermutlich Versuchsballone bei denen die Beteiligten nach dem passenden Format für Benson forschten. Der Sänger George Benson wurde auf Shape Of Things To Come noch nicht gross berücksichtigt, hier stand der Gitarrist mit seinem meist melodiösen und immer flüssigen Laidback-Stil im Vordergrund.

Mit Lobeshymnen überschütte ich vor allem für den Titelsong „Shape Of Things To Come“ von Barry Mann / Cynthia Weill der allerdings nichts mit dem Titel „Shapes Of Things“ der britischen Yardbirds zu tun hat. Die Mann/Weill-Nummer stammte aus dem Film Wild In The Streets von 1968 und wurde im Kinostreifen von der fiktiven Band Max Frost & The Troopers präsentiert, zwei Jahre später wurde der Song übrigens auch von der aufstrebenden britischen Rockband Slade gecovert. Bei George Benson wird „Shape“ zur instrumentalen Achterbahnfahrt auf die er sich zusammen mit dem Organisten Charles Covington begibt: Gitarre und Orgel tanzen dabei einen abstrakten Tanz übers Klangparkett für das Percussion, Bass und die orchestrale Begleitung inklusive Querflöte und Vibraphon verantwortlich zeichnen. Leicht expressionistisch vielleicht, aber dermassen gut gelungen und mitreissend, dass man wahrscheinlich gar nicht merkt, dass das alles ja vielleicht doch nur Easy-Listening-Trash ist. Eine Eingrenzung ist auf alle Fälle schwierig, es könnte auch grossartiges grenzüberschreitendes avantgardistisches Auto(h)ren-Kino sein, Space-Age-Pop oder eine Frühform der Fusion, ein Schmelztiegel verschiedener Genres sozusagen, vielleicht auch ganz lapidar eine frühe Inkarnation Progressiver Rockmusik, die Katalogisierung also schlussendlich eine Frage des Standpunktes des Betrachters. Wie dem auch sei, spätestens mit „Shape“ ist Benson und den Produzenten die Täuschung gelungen, der aufmerksame Zuhörer hat den ausgeworfenen Köder begeistert geschluckt und lässt sich nun ohne grossen Aufwand auf die Jazz-Seite ziehen. Die Ohren sind jedenfalls heiss und offen für Jazz-Exkurse à la „Footin‘ It“ oder die Coverversion „Last Train To Clarksville“ (der Monkees-Hit von Hart/Boyce) dem eine Blues Harp implantiert wurde.

George Benson – Shape Of Things To Come
(1968, A&M Records / CTI Records)
A1) Footin’ It
A2) Face It Boy, It’s Over
A3) Shape Of Things To Come
A4) Chattanooga Choo Choo
B1) Don’t Let Me Lose This Dream
B2) Shape Of Things That Are And Were
B3) Last Train To Clarksville

George Benson – Guitar
Herbie Hancock – Piano
Hank Jones – Piano
Charles Covington – Organ
Ron Carter – Bass
Richard Davis – Bass
Leo Morris – Drums
Jack Jennings – Vibes
Johnny Pacheco – Percussion
Bernard Eichen – Violin
Charles Libove – Violin
George Marge – Cello
Romeo Penque – Cello
Stan Webb – Cello (nicht der britische Bluesgitarrist Stan „The Man“ Webb)
Burt Collins, Joe Shepley, Marvin Stamm – Trumpet, Flugelhorn
Wayne Andre, Alan Ralph – Posaune
Buddy Lucas – Saxophone, Harmonica

Produced by Creed Taylor
Arranged by Don Sebesky
Executive Album Producer: Ron Moss
Engineer: Rudy Van Gelder
Original cover photograph: Pete Turner
Recorded at Van Gelder Studios, August – October 1968

Das Album Shape Of Things To Come ist ein genialer Einstieg in die musikalische Welt von George Benson (oder ins Jazz-Universum), hat man sich erst einmal so wie ich in die Scheibe verliebt, wird man wird sich vermutlich umgehend um die weiteren Benson-Tonträger dieser Phase kümmern. Tell It Like It Is (1969, mit “Soul Limbo” von Booker T. & The M.G.’s) oder das erst 1984 erschienene Album I’ve Got A Woman And Some Blues das mit weiteren Resultaten der 68er-Sessions bestückt war. An The Other Side Of Abbey Road (1969) gibt es natürlich auch kein vorbeikommen, das Beatles-Album beleuchtete George Benson mit blauem Licht, sprich jazzig abgehoben werden die Tiefen der Fab-Four-Songs ausgelotet, „Because“, „Something“ oder „Here Comes The Sun“ schillerten vielleicht nie farbiger als auf dieser Platte die irgendwo im Grenzbereich zwischen Kammermusik, Jazz und Pop angesiedelt ist.

Das Album Shape Of Things To Come wurde unzählige Male neu aufgelegt, die mir vorliegende Ausgabe ist Teil des schlicht gestalteten 3-CD-Sets George Benson – 3 Essential Albums (2016, Verve / Universal Italia) das auch Tell It Like It Is und I Got A Woman And Some Blues enthält. Goodies und Giblet Gravy (beide Alben ebenfalls von ’68) in die Forschung mit einzubeziehen lohnt sich ebenfalls, der fleissige Musik-Archäologe wird hier mit prickelnden Versionen “The Windmills Of Your Mind” oder von „Sunny“ belohnt.

LOVE SMOOTH JAZZ!
mellow

 

George Benson im Rockzirkus:
White Rabbit
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Ein Kommentar

  1. Yep. Grandios auf dem Punkt! Sehe ich genauso. Ich habe die CD schändlicherweise erst vor einem dreiviertel Jahr entdeckt. Als meine 12. Benson Pladde. sozusagen. Und sie hat sich im Player festgesetzt! Replay-replay-replay… Ja die is’ großartig. Vorallem auch wegen der reichlichen Orgel-Soli. Ich dachte erst an Jimmy Smith… wenn man sonst keinen Orgeljazzer kennt! Was will man machen? Der hier heißt anders, seinen Namen hab ich gerade oben gelesen und schon wieder vergessen – weil die CD nu mal klingt wie ein Root down/Body talk-Mix.

    Aber das allerbeste an deiner Rezi ist die Aussage zu Breezin’! Endlich mal einer, der’s genauso sieht. Auf DIE Anschaffung hab ich erfolgreich bis heute verzichtet. Pures Gedudel. “In flight” und “Weekend in LA” ringsrum waren um Läääängen besser!

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